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Rollenspiel

(Warum) sind Unternehmen für „Nerd-Themen“ unprofessionell?

Einführung

In vielen Jahren „Interaktion“ mit Händlern, Handwerkern, Verlagen oder Dienstleistern aus dem Konvolut „Rollenspiel-Tabletop-LARP“ habe ich allerlei verrückte Erfahrungen gemacht. Immer wieder frage ich mich dann, ob das denn sein muss. Denn, auch wenn es anderswo auch unprofessionelles Geschäftsgebahren gibt, finde ich die Häufung in der Nerd-Branche bemerkenswert.

Doch zunächst – was ist eigentlich Professionalität? Ursprünglich aus dem Lateinischen kommend (profitērī) ist Öffentlichmachung gemeint. Im Laufe der Zeit wurde dies auf die Angabe des Gewerbes bezogen und schließlich auf den Stand oder Beruf (französisch: profession).

Demzufolge ist jeder, der einen Beruf ausübt, professionell (in diesem Berufe). Das ist natürlich nicht, was ich meine. Ich verstehe professionell im Folgenden als „bewanderte, sachkundige Berufsausübung – wobei dies auch Nebentätigkeiten einschließt“.

Und was geht da so schief? Eine ganze Menge! Hier ein paar Anekdoten – die Reihenfolge spielt keine Rolle:

  1. Vor vielen Jahren bestellten wir Kettenhemden. Die kamen aber nicht. Weil dem Händler sonst nichts einfiel, erklärte er, der Container mit den Kettenhemden sei von Schiff gefallen.
  2. Bekannt ist der Nachdruck des DSA4-Liber Cantiones, bei dessen Ankündigung seites Ulisses vollmundig angekündigt wurde, diese Neuauflage solle alle DSA4.1-Zauber enthalten – und dann nicht enthielt.
  3. Ein Freund von mir bestellte sich bei einem Handwerker maßgefertigte LARP-Stiefel. Neben der Tatsache, dass die Anfertigung sehr lange dauerte, konnte er sich nicht anziehen, da die Öffnung nicht dergestalt war, dass er den Fuß auf das Stiefelbett setzen konnte – er blieb am Schaft hängen. Das geschah sogar mit einer danach erneut angefertigten Version ein zweites Mal – bis der Handwerker den Auftrag zurückgab.
  4. Bei einem Bemalservice bestellte ich einst die Bemalung einer Truppe Legion of Everblight-Modelle. Die wurden mir jedoch erst viel zu spät zugesendet, da eine plötzliche Reise nach Ägypten dazwischen kam.
  5. Ein anderer Bemalservice übersah meine Bezahlung und begann damit nicht mit dem Bemalen der Modelle. Diese wurden daher erst nach rund sechs Monaten fertig.
  6. Schon zweimal wurden mir (von verschiedenen Händlern) gebrauchte bemalte Figuren zugesendet und bei der Verpackung geschludert. Folge waren zahlreiche Abplatzungen der Farbe, da die Modelle auf dem Versandweg gegeneinanderstießen.
  7. Die Crowd Funding-Finanzierungen von Prometheus Games sind vielen bekannt. Am populärsten ist sicherlich die Finanzierungsrunde für das Dresden Files-Rollenspiel, dass im Oktober 2017 erscheinen sollte – aber meines Wissens immer noch nicht erschienen ist (und realistischerweise dann wohl auch nicht mehr erscheinen wird
  8. Ähnlich gelagert, aber mangels Crowdfunding nicht unverschämt, sondern eher unorganisiert, war die Verzögerung der DSA-Güldenlandbox. Diese wurde für Mitte der Neunziger angekündigt – kam aber erst 2000.
  9. Ich gab mal einen LARP-Krummsäbel, der „Latex-Krebs” hatte, zur Reparatur. Leider war bei dem Händler regelmäßig das E-Mail-System nicht funktionierend, so dass er nicht mehr erreichbar war und mein Krummsäbel wohl auf immer verloren ist.
  10. Ein anderer LARP-Waffenhersteller fertigte mal einen Zweihänder für mich an. Kurz vor Fertigstellung ging das gute Stück aber kaputt; (angeblich) weil der Lehrling (?) eine falsche Maschine für die finale Schicht Lack verwendete.
  11. Jüngst erreichte mich ein Schreiben, in dem mit der Martin Ellermeier-Verlag mitteilte, dass er keine gedruckten Ausgaben seiner Magazine Tabeltop Insider und Mephisto mehr herstellen werde. Ich könne stattdessen einen Gutschein in Höhe meines Restguthabens aus dem laufenden Abonnement haben, um die Ausgaben verbilligt digital beziehen oder auf mein Guthaben verzichten. Dass ich auch auf Lieferung der gedruckten Ausgaben bestehen könnte, kam dem Verlag nicht in den Sinn. Ergänzend erreichte mich das Schreiben nach Ablauf der Frist für die Annahme der Alternativen.
  12. Beim ersten Conquest of Mythodea mit „Rüstungsdeal“ waren die Klingenbrecher der Rüstungen nicht „gebördelt“ – die Rüstungen waren aus dem Ausland importiert, und die Klingenbrecher waren scharf und man hätte sich daran verletzen können. Der Michl, der damals noch bei der gerade übernommenen Hammerkunst-Rüstungsschmiede tätig war, musste die Klingenbrecher daher alle auf der Veranstaltung „umbörteln“.

Viele dieser Erlebnisse sind, vor allem ex post, lustig, manchmal auch skurril – aber eben manchmal auch einfach unbeholfen. Nun darf man sich nicht der Hoffnung hingegen, dass außerhalb der „Nerd-Branche“ immer alle perfekt klappt – mitnichten! Aber die Häufung vom, im besten Fall ungewollt komischen, oder, im schlechtesten Fall, dilettantischen Aktionen sucht meines Erachtens schon seinesgleichen.

Für mich lassen sich diese Unzulänglichkeiten in drei Kategorien verordnen:

  1. Organisatorische Mängel (zum Beispiel Nr. 2, 5, 8)
  2. Unfähigkeit – nicht unbedingt aber böse gemeint (zum Beispiel Nr. 3, 6, 9, 12)
  3. Dreistigkeit – auch nicht zwingend gewollt (zum Beispiel Nr. 4, 6, 7, 11)

Freilich ist diese Einteilung nicht immer trennscharf – Nr. 6 ist sicher in erster Linie Unfähigkeit – der Umgang damit kann dreist sein (und war es in einem Fall auch). Auch um diese Entwicklung soll es im Folgenden gehen.

Erklärungen

In vielen Fällen steht hinter dieser Unbeholfenheit, so denke ich, dass die jeweiligen Tätigkeiten als Teil der Freizeit betrieben werden: Nur wenige Rollenspielautoren sind fest angestellt, kaum einer lebt allein von seiner Tätigkeit als LARP-Hersteller und so weiter. Diese Tätigkeiten sind vielmehr oft bestenfalls der nebenberuflichen Sphäre zuzuordnen.

Und selbst, falls wir einen hauptberuflichen Rollenspielautor ins Auge fassen, so ist dessen monetäre Bezahlung doch oft anscheinend eher mittelprächtig, wenn man sie mit vergleichbar qualifizierten Absolventen vergleicht.

Für die „Kunstschaffenden“ (man sehe mir die blumige Bezeichnung nach) wird ein Teil der Entlohnung jedoch, zumindest implizit, in immateriellen Werten erbracht: Es ist für diese einfach toll, Rollenspielautor oder LARP-Hersteller zu sein.

Das mögliche Gegenargument, dass die Preise aus Kundensicht aber mindestens so hoch sind, wie bei einem Nicht-Hobby-Produkt (Rollenspielbücher kosten beispielsweise vergleichbar viel, wie andere Bücher ähnlichen Umfangs und Ausstattung) und daher hierauf keine Rücksicht genommen werden könnte, man also „professionelles“ Verhalten verlangen, ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Denn: Würden die Kunstschaffenden alle hauptberuflich in der Nerd-Branche tätig sein und dort alle ein monetäres Gehalt erzielen, dass zwar nicht fürstlich sein muss, aber doch etwas dem Quervergleich mit vergleichbar Qualifizierten standhält, wären die Produkte teurer. Das dies so ist, liegt bei Rollenspielprodukten an der niedrigen Auflage (es werden nur wenige Skaleneffekte realisiert), bei LARP-Herstellern und Bemalservices an dem hohen Einsatz von Handarbeit in Deutschland.

Ich vertrete daher im Folgenden die These, dass es einen impliziten Konsens gibt, dass kleinere Nerd-Unternehmen ein gewisses Maß an Unprofessionalität an den Tag legen dürfen. Dies betrifft insbesondere die Akzeptanz organisatorischer Mängel, in Grenzen auch noch Unfähigkeit.

Viele Unternehmer der Nerd-Brache bemühen sich meiner Erfahrung nach um ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Kunden und sind sonst sehr serviceorientiert. Ich nenne dies die „Hobbyisten-Strategie“: Die implizite Annahme ist, dass „wir“ doch alle Rollenspieler, LARPer etc. sind und zusammenhalten müssen. Und dass einer nun eben für jemanden entgeltlich tätig ist, ist – unausgesprochen – eher in die Kategorie „bezahlter Freundschaftsdienst“ zu verordnen. Also alles nicht so streng nehmen. Und wenn der Freundschaftsdienst länger dauert oder komplizierter wird, macht das auch nichts. Das Arrangement baut also auf beidseitigem Verständnis, Rücksichtnahme und Gelassenheit auf.

Diesen Zustand sehe ich für die überwiegende Zahl von Unternehmen der Nerd-Brache als gegeben an. Die genannten Beispiele beziehen sich auch überwiegend auf solche kleinen, oft Ein-Mann-, Unternehmen. Jedoch: Vor allem die Nr. 2, 7, 8 und 12 sind meines Erachtens anders einzuordnen. Hier sind größere Unternehmen tätig.

Was geschieht also, wenn die Unternehmen größer werden? Schon aus operativen Gründen ist es dann nicht mehr möglich, „Freund“ eines jeden Kunden zu sein oder mit diesem persönlichen Kontakt zu halten. In diesem Moment wird die Hobbyisten-Strategie (schon zwangsweise) aufgegeben. Damit wird auch schleichend der von mir implizit vermutete Konsens obsolet, dass ein Teil der Entlohnung des Unternehmens in immateriellen Werten erfolgt. Vielmehr nehmen betriebswirtschaftliche Fragen eine größere Rolle ein. Das heißt nicht, dass dies schlecht ist. Es geht kaum anders: Man kann von „ganz normalen“ Angestellten nicht erwarten, dass sie wegen der Begeisterung für ein Hobby, das nicht das ihre ist, Abstriche beim Lohn akzeptieren. Ergo ist die Hinwendung zu einem mehr betriebswirtschaftlich geprägten Unternehmensführung fast zwingend.

Damit zeigt sich für mich, dass im Falle eines Unternehmenswachstums die inhärenten Schwierigkeiten der hier gegenständlichen Märkte oft ergänzt werden, um ein inhärentes Problem der Unternehmensführung: Die fehlende Schaffung einer funktionierenden Organisation. Die meisten Unternehmen außerhalb der Nerd-Brache haben einen technischen und einen kaufmännischen Geschäftsführer. Letzterer fehlt oft bei Unternehmen der Nerd-Brache. Virulent wird dieses Problem jedoch insbesondere mit zunehmender Komplexität und steigenden Kosten.

Diese Diagnose hatte auch schon Ben Riggs, als er über den Aufstieg und Fall TSRs schrieb.

Ich fühle mich bei dieser These auch empirisch bestätigt; die Geschäftsführer der großen Nerd-Unternehmen in Deutschland haben meines Wissens eine kaufmännische Ausbildung.

Deren Qualität dürfte Hinweis darauf sein, wie das Unternehmen sich im Falle von Wachstum entwickelt. Meines Erachtens gibt es zwei Möglichkeiten – von denen eine problematisch ist.

Organisationsstrategien bei Wachstum

Mache Nerd-Unternehmen meinen, dass das Unternehmersein dann besondere Qualität aufweist, wenn man gegenüber seinen Geschäftspartnern, insbesondere Kunden, nachdrücklich auftritt und eine (vermeintlich oder tatsächlich) „professionelle“ Linie fährt. Dies kann ich mir nur als Reminiszenz aus einer Zeit erklären, als man sich als Pionierunternehmen wähnte, dass die Szene voranbrachte und daher „Dankbarkeit“ der Kunden erwarten könnte. Nur – selbst, falls es diese Zeiten gab, sind diese nun vorbei und betriebswirtschaftliche Aspekte stehen nunmehr im Vordergrund.

Ein markantes Auftreten wird in der Regel dann beobachtbar, wenn ein Problem aufkommt: Aus Unfähigkeit oder organisatorischen Mängeln wird dann Dreistigkeit – mitunter schon die rechtliche Lage weder kennend noch beachtend. Unnötig zu sagen, dass genau dies gerade kein Zeichen guter (oder gar erfolgreicher) Unternehmensführung ist, sondern ein Weg, um früher oder später Schiffbruch zu erleiden.

Ergänzend kommt hinzu, dass solche Unternehmen natürlich ihre Unzulänglichkeiten verneinen – man ist nun ja „professionell“ – allerdings nur vom Kunden ein akkurates Verhalten einfordern möchten. Ich nenne dies die „Übervorteilsstrategie“.

Unternehmen, die einfach nur wachsen und sich hierbei dergestalt professionalisieren, dass ihre Organisation mitwächst; sie mithin also einfach zuverlässiger werden und hierbei die „Hobbyisten-Strategie“ (zwangsweise) aufgeben, folgen einer klassischen „organischen Strategie“.

Beispiele

Ein Beispiel für die Hobbyisten-Strategie ist der eine geschilderte Fall Nr. 6, als Figuren schlecht verpackt waren: Der Verkäufer war so bekümmert, dass er mir ohne Aufforderung eine weitere, bemalte (und gut verpackte) Figur zusendete.

Der zweite Fall bei Nr. 6 war hingegen ein Beispiel für die Übervorteilsstrategie: Dieser zweite, deutlich größere, Händler bot mir einen Rabatt in Höhe von zunächst knapp 6,5% und dann 11% an – der Schaden war aber, monetär gemessen, weit größer. Gleichzeitig war bei diesem zweiten Fall der Preis der Figuren höher.

Auch der Fall der Crowdfundings von Prometheus Games dürfte eher der Übervorteilsstrategie zuzuordnen sein – ich kann mir nur mit Mühe vorstellen, dass Prometheus Games eine vergleichbar unbestimmt verspätete Zahlung der Unterstützer für das Crowdfunding akzeptiert hätte. Auch wurde eine Rückzahlung der Crowdfunding-Beiträge meines Wissens nicht angeboten. Ökonomisch richtig (sozusagen „professionell“) wäre es zudem gewesen, diese mit Zinsen zurückzuzahlen (wobei die Zinsen unter Umständen auch in Form von Produkten „gezahlt“ hätten werden können). Ich gehe allerdings davon aus, dass vor dieser Dreistigkeit, die Auslieferung auf unbestimmte Zeit in die Zukunft zu schieben, Unfähigkeit und organisatorische Mängel standen. Ich vermute also nicht, dass Prometheus Games bewusst die Übervorteilsstrategie wählte. Dies war, nach meiner Einschätzung, vielmehr Konsequenz fehlender Organisation bzw. von Inkompetenz.

Zu beachten ist zudem, dass Crowdfundings von den Unterstützern freiwillig getätigt werden und ein Rückzahlungsanspruch in der Regel nicht besteht. Man könnte also sagen „Selbstverschuldet“. Mit Blick darauf, dass der Fall bei Prometheus Games aber mehrfach auftrat, bleibe ich aber bei meiner Einschätzung.

Davon zu unterscheiden ist der Fall Nr. 8. Die Verzögerungen bei der Güldenlandbox sind sicherlich peinlich. Allerdings wurden die Kunden hier nicht vorab zur Kasse gebeten. Daher ist diese Form der Unzulänglichkeit zwar ebenfalls unprofessionell, aber zumindest nicht zum unmittelbaren Nachteil der Kunden. Ergänzend verweise ich auf die oben dargelegte Problematik bezüglich der Autorentätigkeit im Rollenspielbereich. Der Fall fällt daher für mich unter die Hobbyisten-Strategie.

Was sollte ein Unternehmen tun, dem ein Fehler unterläuft? Hier finde ich das Verhalten von Ulisses im Beispiel Nr. 2 beispielhaft. Sowohl gegenüber dem Kunden – aber auch aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen:

Es war sicherlich nicht professionell, einer gemachten Ankündigung, nämlich einer Auflage des Liber Cantiones mit allen DSA 4.1-Zaubern, nicht zu entsprechen. Ulisses sah den Fehler aber ein und sendete den Käufern der unvollständigen Auflage eine vollständige Version zu – kostenfrei.

Was wäre die Alternative gewesen? Der Übervorteilsstrategie hätte es entsprochen, das Ersatzangebot nicht explizit zu machen und in irgendwelchen Ausflüchten Heil zu suchen und darauf zu verweisen, wie etwa, dass die Erstellung des Buches mit viel Mühe „neben dem sonstigen Geschäft“ erfolgt sei und dergleichen mehr. Dann hätten ein paar (sicher aber nicht alle; möglicherweise wäre das Widerrufsrecht auch nicht übermäßig prominent platziert worden) Käufer das unvollständige Buch zurückgesendet. Die nicht zurückgesendete Exemplare wären weiter bezahlt geblieben.

Ulisses hätte vermutlich gleichwohl die gesamte Auflage, inklusive der zurückgesendete Bücher, verkaufen können – die ebay-Preise zeigten eine großen Nachfrage an.

Ergänzend hätte Ulisses aber später die vervollständigte Version des Liber Cantiones auf den Markt bringen können – und so von allen, die nicht zurückgesendet haben, den Preis zweimal einstreichen können, da sicherlich viele (auch) die vollständige Version hätten haben wollen.

Auf der Suche nach einem Unternehmen in den hier einschlägigen Branchen, das für meine Begriffe professionell gewachsen ist, fiel mir die Burgschneider GmbH (samt Tochterunternehmen ein): Ich nehme das Conquest of Mythodea als professionell organisiert wahr – ohne dass die Kunden übervorteilt werden. Zuvor hätte ich diese der Hobbyisten-Strategie zugeordnet. Allerdings ist man heute auch nicht (mehr) jedes Kunden „Freund“. Das mag man bedauern – es ist aber letztlich der Regelfall, nicht mit jedem befreundet zu sein. Zudem bezweifele ich, dass es möglich ist, eine so große Veranstaltung wie das Conquest of Mythodea auf Basis der Hobbyisten-Strategie zu veranstalten, ohne Verluste zu schreiben.

Fazit

Um zur Frage des Beitrags zurückzukommen: Ja, oft sind Unternehmen der Nerd-Branche unprofessionell. Dies liegt daran, dass sie praktisch alle dem Hobbybereich entstammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen dieser Branche wächst ist per se schon gering. Dass es sich hierbei nicht verrennt – sei es in Chaos (oft) oder in unbilliger Vorteilsnahme (weniger und mitunter ungeplant), noch geringer. Dies dürfte in vielen Fällen auf die mangelnde Ausbildung des Führungspersonals zurückzuführen sein.

Ergänzend kommen geringe Marktgröße und Kostenintensität hinzu. Dem zum Trotze gelingt es dennoch einigen wenigen Unternehmen, sich in diesem Umfeld zu behaupten und professionell zu agieren. Neben der oft besser ausgebildeten Führungsmannschaft gelingt es solchen Unternehmen auch, die inhärenten Marktprobleme zu migrieren:

  1. Die Produktion kann ins kostengünstigere Ausland verlagert werden; man denke nur an Mytholon oder Games Workshop.
  2. Die Zielgruppe ist vergleichsweise groß. Verwiesen sei auf Wizards of the Coast, das, aufgrund der Publikation in englischer Sprache, praktisch den Weltmarkt offen hat.
  3. Das Geschäft generiert wiederkehrende Umsätze. LARP-Veranstalter haben diesen Vorteil; Editionswechsel bei Rollenspiel- oder Tabletop-Anbieter versuchen dies, oft unter Ausnutzung diskretionärer Spielräume, durch Einführung neuer Editionen nachzuzeichnen.

Dies im Blick komme ich nicht umhin, eine gewisse Achtung vor Verlagen wie dem Uhrwerk-Verlag oder auch Ulisses aufzubringen. Trotz kleinem Markt und hohen Kosten behaupten diese sich doch einigermaßen – zugegebenermaßen mit Aussetzern und Höhen und Tiefen.

Was bleibt? Ja, die Unternehmen sind oft nicht im klassischen Sinne professionell. Bevor man sich jedoch über ein Nerd-Unternehmen ärgert, könnte bedacht werden, welche Möglichkeiten dieses hat – und wie es vor diesem Hintergrund Kritik umgeht. Falls aber augenscheinlich die Übervorteilsstrategie gewählt wurde, scheint mir Empörung angebracht und angezeigt.

Kosten des Hobbies – Teuer oder Günstig?

Einführung

Vor rund anderthalb Jahren beklagte ich mich, wie auch in einem früheren Beitrag hier allgemein, an anderer Stelle im Speziellen darüber, dass eine Würdigung der neuen Edition Warmachines (MK IV) außer Betracht lasse, dass diese die bei den Spielern vorhandenen Modelle entwerte.

Als Gegenargument wurde damals dort angeführt, dass man ja sehen müsse, dass man die Voredition ja nun schon lange Zeit habe nutzen können. Pro Stunde seien die Kosten daher sehr niedrig – viel niedriger als bei einem Kinobesuch. Daher sei Tabletop doch recht günstig pro Stunde.

Dieses Argument ist dermaßen verfehlt, dass ich damals die Diskussion nicht weiterführte. Seitdem (und auch zuvor) bin ich aber immer wieder mit der „Kosten-des-Hobbys-Frage“ konfrontiert worden. Und zwar sowohl in Bezug auf Pen & Paper-Rollenspiel als auch in Bezug auf Tabletop oder LARP. Immer wieder lese ich Beiträge, in denen über die Kosten der hier relevanten Hobbys fabuliert wird. Oft mit dem Grundtenor, dass dies doch alles zu teuer wäre. Oder auch mit dem, eher entgegengesetzten, Hinweis, dass Rollenspiel ein „antikapitalistisches“ Hobby sei.

Der Klassenkampf ist also offenbar in der Hobbywelt angekommen. Oft las ich auch, dass eben jedes Hobby Geld koste und daher jedwede Auseinandersetzung mit dieser Frage (hier beim Tabletop) verfehlt sei.

All dies hat meinen Argwohn erregt.

Wertungsrahmen

Versucht man jedoch, sich dem Thema zu nähern, so wird klar, dass der Wertungsrahmen verschieden sind. Mir scheint, dass einige Argumente aus dem Übersehen bestimmter Grundlagen resultieren oder teilweise die Problematisierung nur auf eine andere Ebene verschieben.

  1. Ein populäres Argument ist beispielsweise, dass man sich für Rollenspiel, aber auch für Tabletop und LARP, „alles“ leihen könne. Das stimmt. Nur ist diese Aussage für praktisch jede Freizeitbeschäftigung zutreffend: Wer ein Pferd und Ausrüstung leihen kann, kann ohne Weiteres Polo spielen. Wer einen Sportwagen leihen kann, kann Sportwagenfahren – unter Umständen sogar ohne Führerschein. Nur in wenigen Fällen gibt es nicht-verleihbare Rechte, wie einen Segel-, Tauch-, oder Führerschein. Und auch in diesen Fällen kann man auf privatem Grund und Boden davon absehen, diese Berechtigungen zu verlangen.

    Die Frage, ob man etwas leihen kann, ist daher unerheblich. Bewertungsmaßstab muss ein Szenario sein, in dem man zumindest „übliche“ Gegenstände selbst erwerben muss. Als gedankliche Brücke kann man sich vorstellen, dass der gesamte Freundeskreis neu mit einem Hobby anfängt und die Möglichkeit, sich Material zu leihen, ausscheidet.

    Was eine „übliche“ Ausstattung an Gegenständen umfassen sollte, ist natürlich unklar.

  2. Auch gerne angeführt ist die Erläuterung, man könne sich „alles“ selbst machen. Das trifft vor allem für LARP(-Kleidung) zu, ist aber auch beim Pen & Paper-Rollenspiel denkbar, wenn man an gekaufte vs. selbst geschriebene Abenteuer denkt.

    Auch dieses Argument hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Statt Geld muss im Falle des Selbermachens nämlich Zeit aufgewendet werden. Zeit und Geld stehen im Wesentlichen in einem Austauschverhältnis. Grundsätzlich könnte jeder seine (berufliche) Tätigkeit reduzieren, um mehr Zeit zu erhalten. In gleicher Weise kann jeder grundsätzlich eine (weitere) Tätigkeit aufnehmen oder die aktuelle ausbauen, um mehr Geld zu erlangen.

    Realiter sind diese Optionen möglicherweise wenig sinnvoll – etwa, weil der Stundenlohn gering oder hoch ist und daher eine klare Präferenz für weniger oder mehr Arbeit bestehen könnte. In praktisch jedem Fall ist eine Substituierbarkeit aber gegeben.

  3. Es ist zu unterscheiden zwischen dem zeitlichen Anfall der Kosten und des Nutzens/ der „Freude“ aus einem Hobby.

    Ein Theaterbesuch kostet einmalig Geld. Der Konsum ist aber auch einmalig. Das ist das Charakteristikum einer Dienstleistung. Ein Buch hingegen kostet Geld beim Kaufe, kann dann jedoch über einen längeren Zeitraum gelesen werden, ohne das erneute Kosten anfallen. Es kann auch danach noch nützlich sein als Designobjekt, weil es nochmals gelesen wird oder weil es verkauf werden könnte. Computerspielen hingegen ist schon zu Beginn mit Kosten verbunden, weil die entsprechende Hardware beschafft werden muss. Es fallen aber auch laufende Kosten für Spiele oder Abonnements und auch relevante Mengen Elektrizität an. Allerdings kann zumindest der Computer, vielleicht aber auch das Spiel, lange genutzt werden. Man denke an World of Warcraft. Theoretische könnte der unterschiedliche zeitliche Anfall in Form eines Bar- oder Endwertes uniformiert werden. Dies gelingt in praxi aber nur bei Zahlungsströmen gut und praktisch überhaupt nicht bei dem individuellen Nutzen/ der „Freude“ des Hobbies.

  4. Fraglich ist auch, was Teil des Hobbys ist und was Teil einer (möglicherweise weniger geschätzten) Vorbereitungszeit ist. So könnte man anführen, dass die Zeit, die ein Spielleiter ein Pen & Paper-Abenteuer vorbereitet, nur Mühe darstellt (damit ein „Schlecht“ und kein „Gut“ darstellt) und nur der Spielabend selbst ein Gut. In ähnlicher Art und Weise könnte über das Bemalen von Tabletop-Figuren oder die Anfahrt zu einer LARP-Veranstaltung nachgedacht werden. Auch das Aneignen relevanter Fertigkeiten, wie das Erlernen eines Regelwerks oder das Erarbeiten von Gebeten oder Zaubern beim LARP können, je nach Gusto, jeweils ein Schlecht oder ein Gut sein.

  5. Damit kommen wir zur Frage des Umfangs, vorstehend als „übliche“ Ausstattung an Gegenständen, bezeichnet. Auch dies ist höchst subjektiv. Dennoch meine ich, dass es einen, mehr oder weniger allgemein akzeptierten, Mindeststandard gibt. Beim LARP sind sogenannte Motorrad-LARPer verpönt; wer zum Pen & Paper-Rollenspiel nicht mal seinen Charakterbogen mitnimmt, ist nicht wohl gelitten und beim Tabletop werden Proxies in der Regel nur in begrenztem Maße gerne gesehen. Klar, das Vorstehende sind meine subjektiven Erfahrungen. Aber andere habe ich nicht.

Vor allem die Punkte 4. und 5. sind kaum allgemein zu beantworten. Ich schilderte aber schon, dass nach meiner Erfahrung das Spielleiter-Sein beim Pen & Paper-Rollenspiel, die Rolle des NSC beim LARP und die Bemalung von Figuren beim Tabletop oft etwas ins Hintertreffen gerät. Für die meisten dieser Probleme versuchte ich auch Lösungen aufzuzeigen – obgleich ich weiß, dass die Umsetzung im Konkreten schwierig sein mag.

Dieser, zugegebenermaßen etwas grob umrissene, Ausgangspunkt soll das „Gut“ vom „Schlecht“ abgrenzen – und kann im Einzelfall grob falsch sein.

Zur Frage des „Mindeststandards“ denke ich, salomonisch, dass man an einer öffentlichen Veranstaltung jenseits des eigenen Freundeskreises teilnehmen kann, ohne dort negativ aufzufallen.

Sind die Hobbys nun teuer?

Wie können diese Aspekte, zumindest einigermaßen, auf die Frage nach den Kosten der Hobbies übertragen werden?

Es gibt hierbei zwei Dimensionen: Die Frage nach den Absolutbeträgen, die für ein Hobby aufwendet werden müssen und die, letztlich relevantere Frage, nach dem Quervergleich mit anderen Hobbies, also den relativen Kosten.

Für das Verfassen dieses Beitrags startete ich eine Recherche, um die absoluten Kosten des Einstiegs in Pen & Paper-Rollenspiel, Tabletop und LARP zu ermitteln. Ich merkte aber, dass dies sowohl in der Recherche als auch beim Lesen wenig erbaulich ist. Zudem müsste ich diese Analyse regelmäßig ergänzen – und daran habe ich kein Interesse. Daher im Folgenden nur die Conclusio im Kürze.

Bei der Ermittlung der relativen Kosten geht es um Vergleiche mit anderen Hobbys. Solche sollten aber, wenn sie nicht untauglich sein sollen, äquivalente Tätigkeiten vergleichen: „Bewerten heißt Vergleichen“, schrieb der Großmeister Prof. Moxter – und forderte damit Äquivalenz. Dementsprechend versuche ich mich von den vorstehenden Grundsätzen leiten zu lassen – und mir der Grenzen der Operationalisierung derselben bewusst zu sein. Hiermit wird das vorstehende Problem, der Uniformierung der Freude, versucht einzugrenzen. Wenn die Hobbies ähnlich sind, sollten sie auch vergleichbare Freude bereiten.

Da diese Vergleichbarkeit realiter nicht in Gänze gegeben ist, sind meine Vergleiche zwar nicht unplausibel – zumindest hoffe ich das – aber sicherlich auch nicht immun gegen Kritik.

Welche Hobbies wähne ich als Vergleichbar?

Für das Hobby Rollenspiel könnten Lesen oder Computerrollenspiele vergleichbar sein.

Vergleichbare Hobbys zu Tabletop könnten strategische Brettspiele oder Modellbau sein.

Vergleichbar mit LARP könnte Theaterspielen oder Schwertkampf/ Fechten sein. Aber auch, Geochaching kommt im weiteren Sinne in Frage. Ebenso Mittelaltertanzgruppen oder sogar die Tätigkeit bei den Pfadfindern. Im ganz weiten Sinne könnte ich mir auch noch Wandern/ Klettern als vergleichbar vorstellen.

Aufgrund der Überschneidungen der Hobbyistengruppen der Hobbies dürften diese auch miteinander vergleichbar sein; wobei Pen & Pape-Rollenspiel thematisch zwischen Tabletop und LAPR liegen dürfte.

Pen & Paper-Rollenspiel

Pen & Paper-Rollenspiel kostet eher im Einstieg Geld; hier fallen um die 100 Euro an – je nach System kann es aber auch günstiger sein (Shadowrun). Dazu kommt die Einarbeitungszeit. Die „laufenden“ Kosten können minimal sein; nur der Spielleiter hat dauerhafte Kosten in Form aufgewendeter Zeit.

Möchte man Erweiterungsbände kaufen, bleibt man meist unter 1.000 Euro. Auch dann trägt der Spielleiter die meisten Folgekosten – sei es in Form von Vorbereitungszeit oder dem Erwerb (komplexerer) Abenteuer.

Fazit: Die meisten Kosten fallen mit dem Einstieg an, danach „zahlt“ insbesondere der Spielleiter.

Bei Vergleiche gilt: Beim Lesen über einen langen Zeitraum dürften höhere Kosten als beim Pen & Paper-Rollenspiel anfallen (da Romane nachgekauft werden müssen, dies aber beim Rollenspiel aber nicht zwingend der Fall ist).

Computerspielen ist deutlich teurer; die entsprechende spezielle Hardware, allem voran die Graphikkarte, kann schon die vorstehenden 1.000 Euro übersteigen. Auch Computerspiele selbst kosten schon kurzfristig mehr.

Ergo ist meine Schlussfolgerung: Rollenspiel ist ein relativ günstiges Hobby.

Tabletop

Im Ergebnis schlägt der Einstieg wohl monetär mit rund 200 Euro zu Buche. Auch hier geht es günstiger (zum Beispiel Freebooters Fate). Damit, und dem Erlernen der Regeln, ist es aber nicht getan: Dann stehen Zusammenbau und möglicherweise Bemalung der Figuren ins Haus. Letzteres ist de facto nicht zwingend erforderlich – auch wenn ich dies nachdrücklich befürworte.

Möchte man das Hobby ausbauen, wird es teurer. Schnell können mehrere tausend Euro in verschiedene Armeen fließen. Von der Zeit des Zusammenbaus und der Bemalung ganz zu schweigen. Und dann gibt es ja noch Gelände, Transportausstattung und vieles mehr, für das Geld ausgegeben werden kann.

Modellbau hingegen ist meiner Recherche nach vergleichbar teuer. Brettspiele erreichen auch mit allen Erweiterungen nur selten die 200 Euro, die bei Tabletop schon der Einstieg kostet.

Ergo ist meine Schlussfolgerung, dass Tabletop ein relativ durchschnittlich bis etwas teures Hobby ist. Im Falle einer neuen Edition mit der Entwertung alter Modelle ist Tabletop als relativ teuer anzusehen. So etwas gibt es beim Modellbau nur sehr eingeschränkt und ist bei Brettspielen deutlich günstiger zu bewältigen.

LARP

Eine Einsteigerausrüstung für einen Abenteurer kostet wohl um die 400 Euro. Weitere Vorbereitungszeit wird in der Regel nicht zwingend benötigt; bei Magiern oder Klerikern mag es anders sein, da Zaubersprüche oder Gebete ersonnen und eingeübt werden. Allerdings kostet das Spielen selbst in der Regel eine Teilnahmegebühr. Zudem fallen, mitunter erhebliche, Fahrtkosten an.

Das ändert sich auch nicht. LARP ist damit, im Gegensatz zu Pen & Paper-Rollenspiel und Tabletop, fast zwingend mit dauerhaften Kosten verbunden – auch wenn diese in aller Regel niedriger sind als die Einstiegskosten.

Auch hier kann eine weitere Betätigung schnell deutlich teurer werden: Eine Rüstung kann weit über 1.000 Euro kosten. Für Zelte, Möbel für dergleichen gilt dasselbe.

Im Vergleich mit den anderen beiden Hobbys ist LARP daher wohl das Teuerste. Das kann auch nicht durch die Teilnahme als NSC an der Veranstaltung umgangen werden. Die gesparten Kosten beziehen sich nämlich auf die Teilnahmegebühr – diese macht aber, vor allem langfristig, nur einen geringen Teil der Kosten aus.

LARP ist auch teurer als die meisten der obenstehenden als von mir als vergleichbar bezeichneten Hobbies – ausgenommen dem Fechten, dass mit hohen Kosten für Ausrüstung und Reiseaufwendungen einher gehen kann.

Ergo stelle ich fest, dass LARP relativ teuer ist.

Abschluss: Woran mangelte es im Eingangs geschilderten Beispiel?

Im einführenden Negativbeispiel wurde Tabletop mit Kinobesuchen verglichen. Dieser Vergleich ist aus folgenden Gründen untauglich:

Schon grundlegend ist festzustellen, dass ein Kinobesuch die Nachfrage nach einer Dienstleistung darstellt. Dienstleistungen werden definitorisch beim Produzieren verbraucht. Tabletopprodukte sind physischer Gestalt und insofern mit einer Nutzungsdauer versehen. Diese ist in Bezug auf physischen Verschleiß der Produkte lang. (Nur) durch das Einführen einer neuen Edition soll diese künstlich verkürzt werden.

Setzt man sich über diese grundlegende Unterscheidung hinweg, fallen weitere fehlende Äquivalenzen auf:

  • Zum einen weiß man, dass ein Kinofilm z.B. zwei Stunden lang ist. Um Analogie herzustellen, müsste der Tabletop-Produzent also ankündigen, wie lange das Spiel (auch auf seinen Turnieren) gespielt werden kann, bevor es sang- und klaglos als obsolet erklärt wird. Oder der Kinofilm müsste ebenfalls abrupt enden können oder eine Gebühr zum Weiterschauen verlangt werden können.
  • Dies gilt umso mehr, als dass ein Neueinsteiger gibt, die erst kurz vor der Ankündigung des Editionswechsels mit dem Hobby gestartet haben.
  • Zudem anderen hinkt der Vergleich schon aufgrund mangelnder Äquivalenz der Tätigkeit: Man könnte statt einem Kinobesuch als alternative Vergleichstätigkeiten Lesen, Joggen oder Krafttraining mit dem eigenen Körpergewicht anführen. All diese Beschäftigungen sind sehr viel günstiger pro Stunde als Tabletop. Sportreiten oder Yachtfahren sind dafür sehr viel teurer.

Das willkürliche Herausgreifen einer zwar unpassenden, aber dafür den eigenen Standpunkt unterstützenden aber nur mutmaßlich vergleichbaren Tätigkeit ist zumindest schlechter Stil.

Vielmehr ist, wie oben dargestellt, Tabletop nach meinem Dafürhalten im Quervergleich als teuer zu beurteilen – vor allem aufgrund des Editionsproblems.

Die RPV tritt das Erbe der RPC an!

Normalerweise gehe ich nicht auf Cons. Rollenspiel in großen Hallen (mit ensprechendem Lärmpegel und ohne Musik) ist das meine nicht. Auch auf einem Tabletop-Turnier war ich noch nie – für ein paar Spiele lange Fahrten in Kauf zu nehmen, erschien mir noch nie reizvoll.

Aber: Ich war auf der RPC („Roleplay Convention“). Zu Beginn vor allem, um dort tatsächliche oder vermeintliche Schnäppchen zu machen – an den Wühltischen irgendwelcher Händler. Dieses Motiv änderte sich schnell: DIe RPC war der Ort, wo ich am meisten RPG- oder vor allem LARP-Freunde und Bekannte auf einem Fleck treffen konnte.

Die Geschichte der RPC endet traurig: Sie ging in Comic Con Experience Cologne auf – und damit unter.

Damit hatte es sich. Letztes Jahr sagte man mir, die Ratcon Ulisses‚ habe viel der RPC übernommen – und in der Tat gab es dort im vergangenen Jahr 2023 ein paar der Stände, über die ich mich auf der alten RPC gefreut hätte.

Gestern aber erfuhr ich, dass die alten Organisatoren sich zusammengerafft haben und eine Wiederauflage der Veranstaltung planen: Unter dem Namen RPV! Am 8. und 9. Juni 2024 soll diese in Obernhausen stattfinden.

Und das stimmt mich im Zweifel noch etwas hoffnungsvoller. Schon das Logo läßt erahnen, in welcher Tradition man sich sieht:

Für das gerade begonnene Jahr heißt es also: Auf zur RPV!

Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen bei Ulisses

Basierend auf meinen Überlegungen, inwiefern die historischen Probleme TSRs auf Ulisses übertragbar waren (offenbar allenfalls teilweise), fand ich heraus, dass das Geschäftsjahr 2022 Ulisses‘ (das ist das letzte, für das zum heutigen Tage Bilanz und Anhang publiziert wurden), Besonderheiten aufweist:

Dem Leser dieser Unterlagen fällt zum einen die veränderte Struktur des Anhangs, aber auch des Bilanzausweises auf. Zudem wurde die Unterlagen erst sehr spät, nämlich am 27. September 2023 veröffentlicht, also mehr als 15 Monate nach Geschäftsjahresende (30. Juni 2022). Die Finanzinformationen der Vorjahre ließen auch schon länger auf sich warten (März bis August des Folgejahres) – aber nicht so lange.

Zudem wird im Geschäftsjahr 2022 erstmals das Halten eigener Anteile ausgewiesen (100 Tsd. Euro). Offenbar kaufte Ulisses also Anteile von ihren Gesellschaftern. Ergänzend ist dies das einzige Geschäftsjahr im Betrachtungszeitraum der Geschäftsjahre 2018 bis 2022, in dem eine Gewinnausschüttung (nämlich in Höhe von rund 13 Tsd. Euro) erfolgt.

Dies im Blick habe ich mir Handelsregisterauszüge, Gesellschaftsvertrag und Gesellschafterlisten Ulissesbeschafft.

Das Geschäftsjahr 2022 war insofern unspektakulär. Der Erwerb der eigenen Anteile wurde notariell am 15. Dezember 2022 durch Abtretung beurkundet, wie sich aus der Gesellschafterliste ergibt.

Allerdings zeigte sich, dass zum 30. September 2023 (also vor wenigen Wochen) eine Anpassung des Gesellschaftervertrages Ulisses‘ in das Handelsregister eingetragen wurde (notariell verhandelt am 9. Juni 2023). Hierbei wurde der Zweck des Unternehmens angepasst auf „das Erstellen von sowie den Handel mit Spielwaren und Spielmedien“. In der Alt-Fassung war vom „Großhandel mit An- und Verkauf von Spielwaren und Spielmedien“ die Rede. Da Ulisses jedoch realiter schon länger den „neuen“ Geschäftszweck verfolgt, gehe ich davon aus, dass diese Änderungen eine Formsache war.

Warum diese Formsache? Sieht man die Gesellschafterlisten Ulisses‘ durch, so wird ersichtlich, dass 90% der Anteile seit dem 3. Februar 2023 der Infiniverse AG gehören. Diese Gesellschaft wurde ebenfalls am 3. Februar 2023 errichtet. Bei der Gründung wurden 90% der Geschäftsanteile Ulisses‘ als sog. Sachagio eingebracht. Diese Infiniverse, die nun die Muttergesellschaft Ulisses‘ ist, hatte zur Gründung nur Markus Plötz als Gesellschafter. Ob die Gesellschafterstruktur mittlerweile verändert wurde, kann nicht gesagt werden, da das Aktienregister nicht öffentlich einsehbar ist.

Davon unbenommen stellt sich die Frage, welchen Hintergrund diese Umstrukturierung hat. Naheliegend (aber natürlich nicht zwingend) ist, dass Investoren gesucht werden. Die Anteile an einer AG sind ohne Weiteres übertragbar; insbesondere ist hierfür, im Gegensatz zur GmbH, kein Notar erforderlich. Die Infiniverse verfügt zudem ein sogenanntes genehmigtes Kapital. Dies ermöglicht es sehr einfach, weitere Aktien an neue Aktionäre auszugeben. Eine rein steuerlich motivierte Struktur ist nicht naheliegend, weil hierzu die Errichtung und Erhaltung einer GmbH höchstwahrscheinlich günstiger gewesen wäre.

Zudem sieht der Geschäftszweck der Infiniverse explizit vor, dass weitere Gesellschaften erworben werden können. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass neben Ulisses weitere Beteiligungen erworben werden – möglicherweise mit den Mitteln, die ein neuer Investor zur Verfügung stellt. Auch ein Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen ist denkbar. Der Geschäftszweck der Infiniverse sieht auch Due Diligence-Tätigkeiten (also Untersuchungen im Vorfeld eines Unternehmenserwerbs) bei dem Kauf weiterer Gesellschaften vor. Da der Geschäftszweck der Infiniverse aber nicht auf das Halten von Unternehmen wie Ulisses beschränkt ist, sind grundsätzlich auch völlig andere Erwerbe denkbar.

Jedoch wurde mit Urkunde vom 30. September 2023 Markus Plötz vom Wettbewerbsverbot gegenüber Ulisses befreit. Er darf damit Tätigkeiten aufnehmen, die in Konkurrenz zu Ulisses‚ stehen. Dies drüfte ein Hinweis darauf sein, dass völlig Neuartiges nicht geplant ist.

Man darf also gespannt sein, was bei Ulisses respektive der Infiniverse in der nächsten Zeit ins Haus steht.

„Slaying the Dragon“ – Lehren von TSR?

Gedanken nach einer Lektüre

Im Urlaub jüngst las ich „Slaying the Dragon“, ein Buch von Ben Riggs, dass im Grunde den Untergang TSRs vor der Übernahme von Wizards of the Coast beschreibt. Der Drache ist Dungeons and Dragons – und dem ist zwar schwer beizukommen, aber er wurde dann doch niedergestreckt, indem das Unternehmen TSR, das Dungeons & Dragons vertrieb (und bis heute vertreibt), nahe an die Insolvenz gebracht wurde.

Freilich behauptet der Autor nie, dass diese „Drachenhatz“ gewollt war (dass also das TSR-Management das Unternehmen beziehungsweise das Spielsystem zerstören wollte) – aber es wird doch deutlich, dass Riggs der Auffassung ist, dass vor allem Missmanagement zum Untergang TSRs als eigenständiges Unternehmen führte. Im Kern werden nach meiner Lesart drei Ursachen für den Niedergang identifiziert:

  1. Die Not, fortlaufend neue Produkte zu publizieren
  2. Fehlender Wille beziehungsweise die fehlende Bereitschaft, herausragende Autoren und Zeichner zu behalten
  3. Fehlende Qualifikation des Managements

Beim Lesen fragte ich mich, inwiefern diese Probleme auf andere Rollenspiel-Unternehmen übertragbar sein könnten. Naheliegenderweise ziehe ich hierzu den deutschen Primus Ulisses heran, der lustigerweise auch einen Drachen im Logo führt. Hierbei kamen einige für mich interessante Einsichten zu Tage, die ich nach einer Zwischenbetrachtung zu den obenstehenden Fragestellungen darlege.

Der ebenfalls im Buch diskutierte Vertrag mit dem Vertriebspartner Random House, welcher der Überschuldung TSRs Vorschub leistete, bleibt bei meiner Betrachtung außen vor, da ich freilich keine Einblicke in die Verträge Ulisses habe.

Ad 1. Die Not, fortlaufend neue Produkte zu publizieren

Dies ist im Grunde das von mir schon an anderer Stelle geschilderte, der Rollenspielbranche immanente, Problem: Der Markt ist recht schnell gesättigt, die Produkte (die Bücher aber auch der Nutzen hieraus) sind jedoch langlebig. Infolgedessen ist ein Rollenspielverlag stets mit der Frage befasst, woher die Umsätze von Morgen kommen. Damit laufen die Interessen von Kunden und Hersteller diametral auseinander: Während der Kunde mit seinem Produkt grundsätzlich noch lange leben kann, benötigt der Hersteller etwas Neues. Dieses Problem kann einige Zeit mit Zusatzprodukten wie weiteren Quellenbüchern, man denke nur an DSA am Ende der vierten Edition, kaschiert werden – aber irgendwann ist dieses Mittel ausgeschöpft. Für den Hersteller bietet es sich dann an, eine neue Edition zu publizieren, um damit bei Null zu starten. Allein, ob die Kunden hierbei mitgehen, ist zumindest nicht sicher. Ebenfalls ist auch der Mehrwert einer neuen Edition nicht immer gegeben.

Ausweislich des vorstehenden Buches war TSR sehr früh mit diesem Problem konfrontiert. Die Lösung war die „Fish bait-Strategie“. Diese bestand im Grunde darin, neue Welten für D&D zu erschaffen. Die immer neuen Quellenbücher, welche diese neuen Welten beschrieben, wurden gekauft, wodurch Umsatzerlöse für TSR generiert werden. Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis war es offenbar so, dass die Einführung weiterer Spielwelten zu einer Aufsplitterung des Marktes führten und hierdurch die Stückzahlen der verkauften Bücher pro Spielwelt zurückgingen. Ergänzend schreibt Riggs, dass hierdurch die Stück-Produktionskosten schließlich über den Stückpreisen der Bücher lagen und hierdurch in vielen Fällen Verluste gemacht wurden. Sprich: Die Bücher wurden in so geringer Zahl gekauft, dass die Herstellungskosten die Umsatzerlöse überstiegen.

Mit der Übernahme TSRs durch Wizards of the Coast wurden zahlreiche Spielwelten eingestellt. Augenscheinlich wurde sich stattdessen darauf verlegt, Bücher zu produzieren, die grundsätzlich für den gesamten Kundenstamm, und nicht nur für die Spieler einzelner Welten, von Interesse waren. Dies sind üblicherweise Regelbücher. So zeigt sich, dass bis zur Übernahme durch Wizards of the Coast 1997 nur drei Editionen des Regelwerks produziert wurden: Nämlich das Original im Jahre 1974, die AD&D-Version 1977 und eine zweite AD&D-Version im Jahre 1989. Es wird also eine neue Edition rund alle fünf Jahre veröffentlicht.

Demgegenüber wurden nach der Übernahme vier Editionen veröffentlicht – durchschnittlich alle vier Jahre eine. Die gegenwärtig fünfte Edition, die es seit 2014 gibt, ist mit Blick darauf „überfällig“ ersetzt zu werden – und in der Tat soll im Jahr 2024 eine Aktualisierung der fünften Edition erfolgen. Es wurde zudem mit D&D Beyond eine Möglichkeit geschaffen, dauerhaft Umsatzerlöse in Form von Abonnementgebühren zu erwirtschaften. Damit wird das „Editionsproblem“ zumindest abgemildert.

Bei Ulisses ,beziehungsweise DSA, besteht das brancheninhärente Problem freilich analog. Parallelwelten wurden bei DSA aber nur in geringem Umfang geschaffen – und alle nicht weiter fortgeführt. Myranor, Utharia oder auf DSA Chutulhu werden gegenwärtig nicht weiter bedient – dies soll sich aber zeitnah ändern, wenn auch nicht durch Produkte Ulisses‘. DSA 5 war meiner Einschätzung nach (zumindest auch) aus der Not geboren, dass für DSA 4.1 so ziemlich alles erschienen war, was man sich vorstellen konnte (wenn man die aktuellen Publikationen ansieht, wird aber klar, dass noch viel mehr möglich gewesen wäre).

Ad 2. Fehlender Wille beziehungsweise die fehlende Bereitschaft, herausragende Autoren und Zeichner zu behalten

Das Buch schildert eindrücklich mehrere Fälle, in denen sehr begabte Mitarbeiter TSR verließen. Im Kern ging es hierbei stets um fehlende Anerkennung: Das Gehalt war zu niedrig, Maler durften ihre Bilder nicht behalten, Lizenzgebühren wurden Kreativen vorenthalten und dergleichen mehr.

Auch bei Ulisses gab es schon mehrfach unglückliche Personalrochaden. In vielen Fällen wurden hierbei auch besonders begabte Talente verloren: Man denke nur an Thomas Römer oder Uli Lindner, die schließlich beim Uhrwerk-Verlag eine neue berufliche Heimat fanden. Hierbei ging es meines Wissens weniger ums Geld, als mehr um die Arbeitsbedingungen. Bei Michael Masberg oder Bernd Ochs schienen persönliche Gründe eine Rolle zu spielen. Demnach spielte anscheinend ein fehlender Wille oder die mangelnde Fähigkeit, Personal zu halten, auch bei Ulisses schon eine Rolle. Dennoch bewerte ich die Sachverhalte in gewisser Weise verschieden: Riggs schildert in seinem Buch, dass viele der Angestellten die TSR verlassen hatten, später eine besser bezahlte Anstellung fanden. Das scheint mir bei den früheren Mitarbeitern Ulisses zumindest nicht immer der Fall zu sein. Hierbei spielt aber sicherlich auch die geringere Größe des Arbeitsmarktes, und damit die Nachfrage nach solchen Talenten, eine Rolle.

Neben dem Ersatz der Mitarbeiter als solche waren aber sowohl TSR als auch Ulisses in der Vergangenheit mit dem Problem konfrontiert, dass Autoren verloren wurden, die für die Fortsetzung einer Reihe erforderlich waren. So wurden deshalb weder die Galotta– nach die Answin-Romane fortgestetzt. Und dass die Fortsetzung von Salon der Schatten nicht erscheinen wird, schmerzt mich bis heute.

Ich komme daher zu dem Schluss, dass Ulisses zumindest teilweise Probleme in der Personalpolitik hat (oder zumindest hatte), die mit denen TSRs vergleichbar sind.

Ad 3. Fehlende Qualifikation des Managements

Bis zur Übernahme im Jahre 1997 gab es bei TSR zwei CEO: Garry Gygax und Lorraine William (ab 1985). Garry Gygax wird im Buch vorgeworfen, über keinerlei betriebswirtschaftliche Ausbildung zu verfügen. Dieselbe Kritik wird auch bezüglich dem übrigen Management TSRs aus dieser Zeit geübt.

Lorraine William wird demgegenüber ein mangelndes Produktverständnis attestiert. Riggs zeichnet das Bild, dass sie offenbar teilweise gar nicht wusste, wie das Produkt „Rollenspiel“ oder D&D funktionierte.

Beide Vorwürfe kann man dem Ulisses von heute nicht machen. Markus Plötz ist Diplom-Kaufmann und selbst Rollenspieler, der sich zudem regelmäßig zu aktuellen oder historischen Rollenspielthemen äußert.

Exkurs: Versteht Ulisses das USP DSAs?

Ich persönlich frage mich zuweilen, ob das Ulissses-Management den USP der Spielwelt DSA verstanden hat. Dies ist aus meiner Sicht die engmaschig beschriebene Spielwelt und deren ebenfalls vielfach verzahnte Hintergrundgeschichte. Genau darauf nehmen aktuelle Publikationen meines Erachtens aber weniger Bezug, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war, wo sich zahlreiche Rückverweise auf frühere Werke fanden, samt einem Abkürzungsverzeichnis für diese. Im Gegenteil: Die meisten Abenteuer heute sollen „für sich“ spielbar sein – ein Anspruch, der, sobald Vorprodukte eine maßgebliche Rolle spielen, nicht oder nur schwer erfüllbar ist. Dann aber wird das von mir idendifizierte USP jedoch nicht genutzt. Das Spielsystem wird dadurch austauschbarer.

Demgegenüber ist jedoch zu sehen, dass hierdurch die Einstiegsbarrieren für neue Spieler gesenkt werden. Wenn das Ulissses-Management zu dem Ergebnis gelangt, dass dies wichtiger ist als der Erhalt des USP vor allem für Altspieler, kann es sinnvoll sein, diesen Weg einzuschlagen. Zumal viele Altspieler angeblich unbesehen (fast) alles kaufen. Es ist daher für Ulissses nicht vordringlich relevant, es diesen recht zu machen. Mit Blick auf die für mich erkennbare Qualifikation des Managements gehe ich daher prima facie davon aus, dass die getroffene Strategie sinnvoll ist.

Zwischenbetrachtung

Ulisses hat, zumindest mit Blick auf die von mir auf Basis des Buches von Riggs identifizierten Themen, vermutlich primär das dem Markt immanente Problem, neue Produkte bei Marktsättigung zu produzieren, beziehungsweise die Marktsättigung herauszuschieben.

Das Management kommt, zumindest aus der Außensicht, nicht mit den Kompetenzmängeln einher, die das TSR-Management hatte.

Nicht ganz eindeutig ist, ob Ulisses maßgebliche Mängel im Umgang mit seinen Mitarbeitern hat. Die mitunter unschönen Trennungen sprechen klar dafür. Und die nicht erschienenen Produkte auch – schließlich hätten diese zumindest potentiell einen postiven Deckungsbeitrag erwirtschaften können. Allerdings gelang es Ulisses auch immer wieder Nachbesetzungen vorzunehmen. Nur wenn man annimmt, dass die aktuellen Autoren und Zeichner nicht an das Niveau der Früheren herankommen, ist dies aus Verlagssicht problematisch. Bei einem solchen Urteil darf aber nicht übersehen werden, dass auch die Strategie des Verlages und damit der Anweisungen an die Mitarbeiter für eine subjektiv vermindert empfundene Qualität ursächlich sein könnte. Inwiefern Ulisses eine wirtschaftlich schädliche Personalpolitik betrieb oder betreibt, vermag ich daher nicht zu sagen.

Evident ist demgegenüber für mich, dass Ulisses mit der Marktsättigung zu kämpfen hat – und zwar in größerem Maße, als dies bei TSR der Fall war oder ist. Da die Produkte Ulisses‘ originär oder ausschließlich in deutscher Sprache erscheinen, ist der adressierbare Markt erheblich kleiner – für die Entwicklungskosten dürfte das in deutlich geringerem Umfang gelten. Und in der Tat deuten zahlreiche strategische Entscheidungen an, dass Ulisses bestrebt ist, die eigenen Erträge hochzuhalten oder zu steigern:

  • Es werden Produkte eingeführt, deren Nutzen beim Spiel überschaubar, dafür die Marge aber große sein dürfte, wie zum Beispiel die Acrylmarker, die in steter Regelmäßigkeit erscheinen.
  • Inhalte werden über mehrere Produkte verteilt; man denke nur and das DSA 5-Magieregelwerk in der ersten Variante (das heißt vor dem Kodex-Bänden), bei dem die Bände zudem auch nicht redundanzfrei sind. Inhalte können damit mehrfach verumsatzt werden.
  • Über VTT wird versucht, ein Abonnenten-System zu etablieren (Ulisses erhält vermutlich Lizenzzahlungen von Foundry Gaming.
  • Die schon diskutierte Trennung von Spielwelt und Regeln geht in eine ähnliche Richtung.

Ich habe mir daher die Frage gestellt, wie kommerziell erfolgreich Ulisses wohl in den letzten Jahren war.

Einblicke in die wirtschaftliche Lage Ulisses

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir aus dem Bundesanzeiger die Geschäftszahlen der letzten Jahre beschafft. Da die Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH nur eine kleine Kapitalgesellschaft im Sinne des § 267 Abs. 1 HGB ist, sind die publizierten Informationen jedoch spärlich (insb. wird nur die Bilanz (und der Anhang), nicht aber die Gewinn- und Verlustrechnung publiziert) und deren Interpretation schwierig. Infolgedessen sind die folgenden Rückschlüsse mit hoher Unsicherheit behaftet.

Quelle: Bundenanzeiger. VGG steht für Vermögensgegenstände.

Für einen ersten Blick zur Einschätzung der Ertragslage lohnt die Betrachtung von Jahresüberschuss und Cashflow. Der Jahresüberschuss („Gewinn“) ist seit dem Geschäftsjahr 2017 bis zum Geschäftsjahr 2020 kontinuierlich und auch erheblich gestiegen – war aber im Geschäftsjahr 2022 jedoch mit minus 98 Tsd. Euro wieder negativ.

Der Cashflow (hier gemessen an der Veränderung des Kassenbestandes) war nur in den Geschäftsjahren 2019 und 2022 negativ. Allerdings wurden im Geschäftsjahr 2022 die Verbindlichkeiten („Schulden“) erheblich zurückgeführt – um rund 725 Tsd. Euro – für ein kleines Unternehmen wie Ulisses keine Kleinigkeit! Dass führt natürlich auch zu einer Verminderung des Kassenbestandes. Ohne diese Begleichung von Schulden ergibt sich ein (ganz überschlägig) gerechneter operativer Cashflow im Geschäftsjahr 2022 von rund 137 Tsd. Euro. Hierbei habe ich zudem beachtet, dass im Geschäftsjahr 2022 augenscheinlich erstmals eine Gewinnausschüttung im Betrachtungszeitraum in Höhe von 13 Tsd. Euro erfolgte.

Aus dem positiven operativen Cashflow kann der Schluss gezogen werden, dass das Unternehmen zumindest nicht ungesund ist. Der negative Jahresüberschuss im Geschäftsjahr 2022 kann auf nicht-zahlungswirksame Geschäftsvorfälle zurückzuführen sein. Unter anderem nimmt das Sachanlagevermögen um rund 86 Tsd. Euro an. Es ist denkbar, dass im Geschäftsjahr 2022 praktisch nichts erneuert wurde um Geld für die Rückzahlung des Darlehens verfügbar zu haben. Dennoch wird z.B. die Betriebs- und Geschäftsausstattung älter, was durch Abschreibungen angezeigt wird. Allein diese Abschreibungen erklären weite Teile des negativen Jahresüberschusses. Richtig ist aber auch: In den Vorjahren war der Jahresüberschuss deutlich höher. Gleiches gilt für den (sehr überschlägig ermittelten) operativen Cashflow. Eine Verschlechterung der operativen Performance ist daher naheliegend.

Resümee

Über Ulisses muss man sich gegenwärtig wohl keine Sorgen machen – obgleich das Geschäftsjahr 2022 nicht glänzend war. Dieser Drache wird darauf basierend nicht „versehentlich“ erschlagen. Bilanz und Anhang des Geschäftsjahres 2023 ist jedoch noch nicht publiziert. Interessant dürfte sein, ob dieses Geschäfsjahr besser abgeschlossen werden konnte. Allerdings war die Analyse der Bilanzen Ulisses‘ bis zum Geschäfsjahr 2022 Auslöser weiterer Recherchen: Im Geschäftsjahr 2022 wurden nämlich Geschäftsanteile zurückgekauft. Und das ist nur die erste gesellschaftsrechtliche Maßnahme.

Die Veränderungen des DSA-Rastullah-Glaubens durch die zweite Offenbarung

Ausgangslage

In der neuen DSA5-Regionalspielhife „Wüstenreich – Die Wüste Khom und Thalusien“ wird eine zweite Offenbarung Rasthullahs beschrieben bzw. festgelegt, die den Rasthullah-Glauben dahingehend modifiziert, als dass nunmehr eine weitgehende Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht.

Rezeption und Einordnung

Diese Geschehnisse haben sowohl positive wie negative Reaktionen hervorgerufen. Auch mich lassen sie nicht unberührt zurück.

Mitunter lese ich, dass diese Änderung einen „Retcon“ darstelle. Wie ich an anderer Stelle schrieb, sind mir als Simulationist derartige „Retcons“ zuwider. Allein – es handelt sich nach meiner Sicht bei den geschilderten Anpassungen im Rasthullah-Glauben nicht um eine Retcon. Vielmehr wird genau das getan, was ich angeraten hätte: Änderungen der Welt werden durch innerweltliche Ereignisse herbeigeführt – für mich eine Stärke und Voraussetzung der Dichte der DSA-Spielwelt.

Fraglich könnte sein, ob diese Änderungen begrüßenswert sind. Hier fallen mir zwei Dimensionen ein, die zur Würdigung herangezogen werden könnten:

  1. Ergeben sich aus der Änderung realweltliche Vorzüge?
  2. Bietet die Änderung spieltechnische Vorzüge?

Ad 1.)

Mir wurde im persönlichen Gespräch jüngst gesagt, die Novadi-Kultur in Aventurien sei ohnehin ein Fehler gewesen; man hätte sich nicht so eng an einer irdischen Kultur orientieren (gemeint war der Islam), und diese zudem klischeebehaftet darstellen dürfen. Eine anderer Diskussionsteilnehmer meinte hingegen, es sei ratsam sich bei der Gestaltung einer Rollenspiel-Welt an der realen Welt zu orientieren – sonst sei der Zugang zur Welt deutlich erschwert.

In der Tat sehe ich diesen letzten Punkt: Der Zugang zu einer Welt, die wenig Anleihen an der wirklichen Welt nimmt (oder an Dinge angelehnt ist, die ich nicht kenne), ist für mich schwieriger – auch wenn die Innovationskraft einer solchen Spielwelt höher sein mag.

Die klischeebehaftete Darstellung könnte aus demselben Grunde nicht maßgeblich sein: Letztlich werden beim Rollenspiel dauernd Klischees bedient – schon aus Praktikabilitätsgründen. Sie erleichtern damit den Zugang zum Spielsystem.

Dennoch ist der Verweis auf realweltliche Gründe für die Begründung der Änderung des Rastullah-Glaubens sicherlich naheliegend. Von Befürwortern der Änderungen wurde unter anderem ausgeführt, dass man kein novadisches Patriachat mehr wolle; die Novadis bislang kaum spielbar gewesen seien und nun „modernisiert“ wären. Außerdem sei die Kultur bisher an die Karl May-Romane angelehnt und nicht mehr zeitgemäß.

Zudem wird dargelegt, dass durch die Änderungen die Kalifats-Region spielbarer werde. Ich las auch oft, dass in der eigenen Gruppe (des jeweiligen Diskutanten) noch nie ein Novadi gespielt worden wäre (und dass sich dies nun ändern könnte).

In der Tat kann ich die vorstehenden Punkte nachvollziehen. Die Änderungen könnten mit Blick auf diese gutgeheißen werden. Dies geschieht auch allenthalben – die OrkenspalterTV-Rezession folgt beispielsweise im Wesentlichen dieser Sicht der Dinge.

Man kann es jedoch ebenfalls einen genau entgegengesetzten Standpunkt einnehmen und anführen, dass man froh gewesen wäre, wenn die Spielwelt „altmodisch“ (bei einem Fantasy-Rollenspiel kein fernliegender Gedanke) und damit auch wie bekannt und gemocht geblieben wäre. Oder weil man Anlehnungen an Karl May sehr schätze und genau diese Art von Welt DSA ausmache. Zudem sei es doch gerade großartig, beim Rollenspiel auch Charaktere zu spielen, die ein völlig anderes Weltbild beziehungsweise andere Moralvorstellungen haben.

Ergänzend ließe sich wohl anführen, dass in vielen Runden auch zahlreiche andere Charaktere nie gespielt werden. Hierzu gehört der sprichwörtlich gewordene Zuckerbäcker – aber vermutlich auch der ein oder andere Geweihte. Das Argument, dass Novadis nie gespielt würde, wäre damit nur bedingt wesentlich, um eine Änderung des Rastullah-Glaubens zu begründen.

Aus meiner Sicht kann man beiden Standpunkten folgen (oder auch eine Position dazwischen einnehmen) – schlussendlich ist es eine subjektive Abwägung, welchen Aspekten mehr Gewicht eingeräumt wird. Objektiv lässt sich meines Erachtens keine vorziehenswürdige Vorgehensweise auf Basis realweltlicher Erwägungen ausmachen.

Ad 2.)

Eine große Umwälzung Aventuriens war die Schaffung der Schwarzen Lande im Zuge des Borbarad-Krieges. Diese Änderung wurde ausdrücklich damit begründet, dass man „Horror“ als neues „Setting“ erlebbar machen wollte. Zu diesem Zwecke wurde das, teilweise als wenig ikonisch betrachtete, Tobrien aufgegeben.

Auch wenn es zahlreiche Kritik an dieser Entwicklung innerhalb der Spielwelt gab: Meines Erachtens kann zweifelsohne festgestellt werden, dass das Spielangebot durch diese veränderten Regionen erweitert wurde. Landstriche, in denen Dämonen verehrt werden und entsprechende Beschwörungen an der Tagesordnung waren, gab es vorher nicht.

Für meine Begriffe ist dies bei der Entwicklung des Rastullah-Glaubens jedoch gerade nicht gegeben. Es gibt in Aventurien schon mehrheitlich Regionen, in denen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrscht. Es wird, wenn man diesem Gedanken folgt, sogar eher eine Angleichung an die anderen Regionen vorgenommen und hierdurch Spielpotential aus der Welt entfernt.

Insoweit wird Aventurien durch die Änderung des Rastullah-Glaubens ärmer.

Aus der simulationistischen Warte kann man zudem anführen, dass es „unlogisch“ sei, dass der Wandel im Rasthullah-Glauben schnell vollzogen ist und nicht mehrere Jahrzehnt Religionskrieg mit sich bringt und vielleicht auch ein Schisma der Religion. Gleichwohl ist zu beachten, dass auch beispielsweise die Bildung der Schwarzen Lande unweit des Mittelreichs die Glaubwürdigkeit der Welt für einige belastete – und das ist nur ein Beispiel für vermeintlich oder tatsächlich „unlogische“ Setzungen. Die Spielwelt hat solche „unlogischen“ Entwicklungen trotzdem überstanden.

Gesamtwürdigung

In Kombination der beiden Aspekte (realweltlich und spieltechnisch) zeigt sich für mich jedoch eine latente Gefahr. Möchte man nämlich konsistent „modern“ sein, so müsste man das Patriachat auch bei den Orks und das Matriarchat bei den Goblins und in Aranien ändern. Noch gravierender wären die erforderlichen Änderungen bei den Amazonen, die gegenwärtig Männer vollständig ausschließen. Gerade letzteres würde die Amazonen zudem auch völlig ihrem irdischen Klischee entheben, was, wie oben dargelegt, nachteilig sein kann.

Von all dem möchte ich aber aus einem anderen Grund abraten: Aventurien ist eine Fantasy-Welt. Für mich geht eine erwachsene Fantasy-Welt damit einher, dass sie Konflikte ermöglicht, auch solche, die jenseits eines klaren Schwarz-Weiß-Musters verlaufen.

Gerade unterschiedliche Weltanschauungen sind meiner Erfahrung nach gut geeignet, interessantes Rollenspiel zu ermöglichen. Persönlich würde ich sogar eher zu einer Vertiefung solcher weltanschaulichen Konflikte raten und nicht zu einer Nivellierung. Daher hätte ich eine unveränderte Beibehaltung des Rastullah-Glaubens bevorzugt, auch unter Berücksichtigung der realweltlichen Argumente. Aus demselben Grund wären für mich natürlich auch weitere, insoweit schlüssige, „Modernisierungen“ anderer aventurischer Kulturen abzulehnen.

Andererseits kann (sollte?) mir, bei Lichte betrachtet, die Änderung des Rastullah-Glaubens völlig egal sein: Ergänzend dazu, dass jede Gruppe ihre individuelle Spielwelt ausgestalten kann wie es jeweils beliebt, ist nicht mal im entferntesten absehbar, dass ich die Zeiten bespiele, welche die derzeitige aventurische Gegenwart sind. Was in den aktuellen Regionalbänden steht, ist für mich daher bedeutungslos; selbst, falls ich streng dem „offiziellen“ Aventurien folgen würde.

Analyse der (wichtigen) Ankündigungen zu DSA auf der CCC 2023

Auf der Collector’s Club Convention („CCC“) Ulisses‘ am vorvergangenen Wochenende wurden vor allem zwei erwähnenswerte Neuigkeiten für DSA verkündet. Hierzu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Voilá:

1. Trennung zwischen Regel- und Hintergrundbänden

Als Folge der Turbulenzen rund um die Open Gaming Licence („OGL“) und hierbei insbesondere der Ankündigung, die DSA-Regelwerke im Zuge einer Open RPG Creativ („ORC)-Version für Ulisses-Regelwerke allgemein und unentgeltlich verfügbar zu machen, ist eine Trennung der Regelwerke von Hintergrundmaterialien (d.h. der Weltbeschreibung) nur folgerichtig.

Wir erinnern uns: Ulisses kündigte an, eigene Regelwerke in einer Art zur Verfügung zu stellen, wie es heute schon für das D&D-Regelwerk („D20“) der Fall ist – welches für eine Vielzahl von, auch fremden, Hintergrundwelten verwendet wird. Diese Verwendung des D&D-Regelwerkes erfolgt für die Verwender kostenfrei und wird über die sog. OGL, einem Lizenzvertrag, abgedeckt. Dieser umfasst aber nur das Regelwerk. Die (originären, Wizards of the Coast gehörenden) Hintergrundwelten sind nicht frei verfügbar. Auch die Marken, allen voran „Dungeons & Dragons“, nicht.

Dies soll perspektivisch auch für die Ulisses-Regelwerke möglich sein. Hierdurch könnte, zumindest theoretisch, erreicht werden, dass diese Regelwerke eine größere Verbreitung erfahren und hierdurch als Nebeneffekt Werbung für Ulisses gemacht wird.

Allein dieses Vorhaben macht eine strikte Trennung von Regel- und Hintergrundbänden zumindest zwecksmäßig: Durch eine solche Trennung ist auch im Zweifel klar, welche Teile des Spielsystems (als Überbegriff für Regelwerk und Hintergrundmaterial) frei verfügbar sind, und welche nicht. Dies wäre dann schon daran erkennbar, in welchem Band diese veröffentlicht worden sind.

Ergänzend war der von DSA5 beschrittene Weg, Hintergrundbände mit Regelelementen anzureichern auch vorher nicht immer wohlgelitten. Das ist verständlich: Eine Trennung in Regel- und Hintergrundbände ist alles andere als unüblich.

Die Ankündigung ist damit nicht nur konsequent sondern auch begrüßenswert, da sie zu einer besseren Struktur innerhalb des Spielsystems führen dürfte.

Freilich gibt es etwas Wasser im Weine.

Grundlegend frage ich mich, wie viele Spieler, die nicht die offizielle DSA-Welt bespielen möchten, Interesse an Regeln für Regionen in just dieser Welt haben. Aber gut – das mag für bestimmte Spezialregeln oder –ausrüstungsgegenstände auch der Fall sein.

Zudem soll es nunmehr für DSA-Hintergrundbände, die Regionen beschreiben, nicht, was erwartbar gewesen wäre, zwei, sondern drei Bände geben. Der dritte Band soll sog. Meisterinformationen beinhalten (nur für den Spielleiter bestimmte Informationen) und zudem ein zu der jeweilige Region passendes Abenteuer. Obgleich auch die Trennung zwischen Spieler- und Spielleiterwissen schon vielfach gefordert und gut begründbar ist, stelle ich mir zwei Fragen:

  1. Die Kombination aus Abenteuer und Meisterinformationen könnte etwas gekünstelt werden – einfach deshalb, weil das Abenteuer oft in keiner Verbindung zu dem Großteil der Meisterinformationen stehen dürfte.
  2. Kunden (wie ich), die bislang nur die Abenteuer kauften, werden über dieses neue Kuppelprodukt nun auch die Meisterinformationen erwerben. Umgekehrt gibt es sicher Kunden, die bislang keine Abenteuer kauften, sondern die Meisterinformationen nutzten, um eigene Abenteuer zu entwerfen. Diese Kunden werden nun diese offiziellen Abenteuer „zwingend“ miterwerben müssen.

Ich nehme an, dass der zweite Punkt ursächlich für die Entscheidung Ulisses‘ ist, drei Bände anzubieten. Die Kuppelprodukte werden naheliegenderweise, da sie mehr Inhalt bieten, teurer sein und die beschriebenen Kundengruppen daher höhere Preise zu entrichten haben – was für dem Ulisses-Umsatz zuträglich ist. Das umgekehrte Risiko, dass sich die beschriebenen Kunden dazu entschließen, die Produkte gar nicht mehr zu kaufen, wird Ulisses-seitig vermutlich weniger stark gewichtet. Aus meiner Sicht eine wohl realistische Einschätzung.

Weniger schwer wiegt aus meiner Sicht dass Käufer, die bereits die kombinierten Produkte für bislang abgedeckte Regionen erwarben, nunmehr nicht damit rechnen dürfen, dass künftige Regionen auch in dieser kombinierten Form angeboten werden – den dies würde nicht nur die Ankündigung konterkarieren, sondern auch mit erheblichen Mehrkosten einhergehen.

Erforderlich wäre eine solche „Doppelauflage“ auch nur, um den geschilderten Käufern die Möglichkeit zu geben, ihre Sammlung mit einheitlich gestalteten Büchern fortzuführen. Dieses Interesse dürfte seitens Ulisses als weniger wichtig gewertet werden – zumal auch während DSA3 ein Umbruch in der Gestaltung erfolgte – nämlich als Fanpro das Spielsystem von Schmidt Spiele übernahm. Man mag jedoch einwenden, dass eine solche Übernahme einen herberen Einschnitt darstelle und andere Ursachen hatte als die aktuelle Entwicklung.

Vielmehr zeigt sich aus der künftigen Gestaltung der Hintergrundbände meines Erachtens noch ein anderes Vorhaben Ulisses‘: Deren Gestaltung ist gegenwärtig sehr schlicht vorgesehen und nicht der aktuellen Edition entsprechend. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass derartige Bände auch (sonst) von Regeleditionen unabhängig sein sollten, und keiner erwarten darf, dass die Weltbeschreibung noch während der aktuellen fünften Regeledition komplettiert werden wird. Sie könnte vielmehr nahtlos bei möglichen künftigen Regeleditionen weitergeführt werden.

Mit Blick auf das Editionsproblem begrüße ich dies.

2. DSA4.1 wird wieder aufgelegt

Das ist wirklich ein Ding. Es wurde angekündigt, die alten Wege-Bände wieder aufzulegen. Später wurde zudem annonciert, ergänzend dazu auch noch die Bücher Liber Cantiones und Liber Liturgium neu aufzulegen.

Dieses Vorhaben lässt einige Thesen zu.

These 1: Es gibt eine große Nachfrage nach DSA4.1-Regelwerken

Dass allein vergriffene Bücher wieder aufgelegt werden, hat jüngst eine gewisse Regelmäßigkeit erfahren. Es begann mit der „Kaiser-Retro-Box“ und setzte sich zuletzt über vergriffene Abenteuer fort. Insofern könnte man anführen, dass die Wiederauflage von DSA4.1 nur ein weitere Schritte in dieser Tradition sind. Das ist bei Lichte betrachtet aber nicht so: Ausgenommen der Kaiser-Retro-Box, die DSA1 zum Inhalt hatte, wurden Hintergrundbände und Abenteuer neu aufgelegt. Und bei DSA1 ist unbedingt davon auszugehen, dass dieses Regelwerk aus verschiedenen Gründen nicht in Konkurrenz zur aktuellen fünften Auflage des Regelwerkes zählt. Bei DSA4.1 ist dies jedoch so: Ich ließ mir jüngst sagen, dass über 50% der Spieler DSA4.1 spielten. Ob das stimmt kann ich nicht sagen – aber in meinem Umfeld ist DSA4.1 weit weiter verbreitet als DSA5. Und aus zahlreichen Foren-Diskussionen lässt sich entnehmen, dass DSA4.1 weiterhin viele Spieler hat. Davon gehe ich aufgrund meiner Datenlage nachfolgend aus und unterstelle damit, dass Netzwerkeffekte keine der beiden Editionen begünstigen (was sonst der entscheidende Faktor sein dürfte).

DSA5 ist deshalb aber nicht gescheitert – vielmehr scheint die Zahl der DSA4.1-Spieler so groß zu sein, dass es sich Ulisses nicht (mehr) leisten kann, diesen Markt nicht zu bedienen. Allein – wird dies kommerziell erfolgreich sein?

In der Tat sind auf dem Sekudärmarkt die Preise für DSA4.1-Regelwerke sehr hoch. Es läge daher der Schluss nahe, dass es eine große Nachfrage nach DSA 4.1-Produkten gibt. Allein – das kann so sein, muss es aber nicht: Alternativ zu einer hohen Nachfrage würde auch eine unelastische Nachfrage die hohen Preise erklären: Das bedeutet, dass es nur ein paar wenige Interessenten für die alten Regelwerke gibt (und zwar etwas mehr als Anbieter) – diese Interessenten aber bereit sind, sehr hohe Preise zu bezahlen. Sobald aber diese wenigen Interessenten fündig geworden wären, würde der Preis fallen. Der Markt wäre schnell gesättigt.

Aufgrund dieser Zusammenhänge werden im Übrigen Abenteuer, nach denen die Nachfrage schon grundsätzlich geringer ist, selten neu aufgelegt. Dies ist bei Regelwerken grundsätzlich anders: Diese nutzen nicht nur dem Spielleiter, sondern auch den Spielern. Die Nachfrage und damit auch die Zahl der verkauften Exemplare ist daher höher.

Zudem kann gehofft werden, dass Ulisses aufgrund der Erfahrungen mit den bereits erfolgten Neuveröffentlichungen eine Vorstellung hat, welche Nachfrage nach neuen DSA4.1-Regelwerken besteht. Im Übrigen sollen, ausweislich der vorhandenen Bilder, die Einbände der Bücher mit den Illustrationen der DSA4.0-Boxen versehen sein. Das bedeutet zum einen, dass Sammler einen „Grund“ haben, diese neuen Auflagen auch zu erwerben, da sie insoweit verschieden sind. Zum anderen aber auch, dass Kunden, wie ich, welche die Umschlag-Illustrationen der Wege-Bände für missraten halten, sich möglicherweise die Neuauflagen kaufen werden.

In meinem Umfeld schätze ich, dass rund zehn Spieler die neuen Bände erwerben werden. Ich werde dies allein der anderen Titel-Illustrationen wegen tun. Meine Mitspieler meistenteils deshalb, weil sie erst vor einiger Zeit bei uns mit DSA (und damit DSA4.1) angefangen haben, und die Regelbände gerne besäßen.

Nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund der anderen genannten Punkte, gehe ich davon aus, dass die DSA4.1-Bände freudige Abnehmer finden werden. Im Übrigen sind für Ulisses die Kosten minimal, da die Bücher bereits druckfertig existieren. Es müsse keine Kosten für das Verfassen von Texten, das Lektorat etc. gedeckt werden – der Deckungsbeitrag ist weit höher und die Amortisation beginnt schon bei kleineren Stückgrößen. Ich denke daher, dass Ulisses profitieren wird.

These 2: DSA 4.1 läuft DSA5 den Rang ab

An anderer Stelle habe ich mich über das Editionsproblem im Rollenspiel ausgelassen. Und – die Wiederauflage der Wege-Bände könnte genau dieses Problem aus Spielersicht mindern. Da die beiden Regelwerke ohnehin schon de facto im Wettbewerb miteinander stehen, könnte fraglich sein, welche Edition nach der Ankündigung wohl langfristig besser angenommen wird. Folgende Aspekte könnten eine Rolle spielen:

Aktualität

Für DSA5 spricht mit Sicherheit, dass es schlichtweg die jüngste Edition ist und daher die, zu der Neueinsteiger wohl am ehesten greifen werden – nur könnte die Zahl der Rollenspiel-Neueinsteiger überschaubar sein, da diese eher D&D wählen, welches durch die sozialen Medien eine umfassende Bewerbung erfährt. Inwiefern dies durch die Zurverfügungstellung des DSA-Regelwerks durch eine ORC-Variante eine Änderung erfährt, bleibt zunächst abzuwarten (ich bin aber skeptisch).

Weitere Punkte sprechen für DSA5: Die neuen Abenteuer werden mit Sicherheit für die Standardversion, das heißt gegenwärtig DSA5, erscheinen. Wer DSA4.1 spielt, müsste diese also „konvertieren“. Erfahrenen Spielleitern dürfte dies leichtfallen (ich konvertiere die Werte von Gegnern üblicherweise, während der Würfel rollt), andere mögen damit hadern.

Vollständigkeit

Ergänzend ist bislang keine Ankündigung dahingehend erfolgt, ob auch die weiteren „regelnahen“ DSA4.1-Bände neu aufgelegt werden. Allen voran ist das Zoo Botanica Aventurica zu nenne, welches die Werte von Kreaturen (und ferner: Pflanzen) enthält. Des Weiteren könnten die Wege der Alchemie, das Aventurische Arsenal und der Meisterschirm als fehlend empfunden werden. All diese Werke stehen für DSA5 zur Verfügung oder sind erwartbar. DSA5 wäre also insofern zu präferieren.

Ganz anders fällt die Würdigung aus, wenn man eine Gruppe hat, welche die Spielwelt DSAs „ganzheitlich“ bespielen möchte: Für Myranor, Tharun, Rakshazar und auch Die Dunklen Zeiten stehen keine DSA5-Regeln zur Verfügung. Solche Spieler werden daher höchstwahrscheinlich auf DSA4.1 zurückgreifen. Allerdings – und dies kann kaum hoch genug bewertet werden – Bände für die oben genannten Schauplätze sind gegenwärtig nur mit großer Mühe und unter hohen Kosten erwerbbar – die Neuauflage nur der Wege-Bände hilft solchen Spielgruppen daher nur wenig. Schwerer wiegt vermutlich, dass die „großen“ ikonischen Kampagnen (7G, Phileasson, Simyala, Königsmacher, Jahr des Greifen, Jahr des Feuers) alle für DSA4.1 verfügbar sind – gegenwärtig nicht aber für DSA5. Für DSA5 gibt es „nur“ die jüngeren Theaterritter– und die Sternenträger-Kampagne.

Ein Punkt für DSA5 könnte die Verfügbarkeit einer englischen Ausgabe sein. Ich meine zwar, dass internationale Runden selten sind (ich kenne nur eine, bei der aber alle deutsch sprechen) – aber für solche Spielgruppe dürfte wenig an DSA5 vorbeiführen.

Ergänzend, aber keineswegs nachrangig, muss gesehen werden, dass es (nur) für DSA5 eine vernünftige VTT-Unterstützung gibt. Online-Runden dürften dieses „Manko“ DSA4.1s vermutlich hoch gewichten und das Regelwerk daher eher weniger schätzen. Auch das DSA5-Regelwiki ist ein ähnlich gelagerter Vorteil.

Struktur

Auch wenn DSA-Regelwerke nicht gerade für ihre intuitive Struktur gelobt werden, mag diese für Käufer doch eine Rolle spielen. Ich wage zu behaupten, dass DSA4.1 besser strukturiert ist, bzw. war: Die große Schwäche von DSA5, Regeln über zahlreiche Bände zu verteilen oder nicht frei von Redundanzen zu sein, könnte über die Kodex-Bände geheilt werden. Die Regelwerke könnten hier also vergleichbar sein bzw. werden.

DSA5 liegt aber vermutlich vorne, wenn es um die Struktur innerhalb eines Buches geht – aber hier bin ich mir keineswegs sicher.

Stil

Sehr subjektiv – aber dennoch relevant: Bei DSA5 wird die vollfarbige Aufmachung oft gelobt. DSA4.1 war stets in schwarz-weiß gehalten. Nach meiner Einschätzung finden farbige Seiten mehr Anklang. Eine völlig andere Frage ist, inwiefern die Sprache der Edition 5 oder 4.1 vorziehenswürdig ist. In meinem Umfeld wird oft (aber keinesfalls unisono) beklagt, dass DSA5 „gegenderte“ Texte hat. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass andere, insbesondere jüngere Spieler, genau dies vorziehenswürdig finden.

Fazit

Mir scheint, als ob die Wiederauflage der DSA4.1-Bände für „Altspieler“ erfolgt, die möglicherweise neue Mitspieler haben, oder die Exemplare ihres Regelwerkes ersetzen möchten. Hierfür spricht insbesondere:

  1. Insbesondere derartige Spieler dürften noch DSA4.1. spielen.
  2. VTT und dergleichen spielt für langjährige Spieler, die feste Gruppen haben dürften, eine untergeordnete Rolle.
  3. „Altspielern“ ist es eher egal, ob die neuen Abenteuer zu ihrem verwendeten Regelwerk passend sind. Wenn sie solche überhaupt spielen, fällt ihnen die Konvertierung leicht.
  4. Solche Spieler dürfte auch am Ehesten die anderen Kontinente bespielen – diese waren schon immer speziell und wurden meines Erachtens kaum von Einsteigern gewählt.
  5. Zudem dürfte diese Spielergruppe am meisten Sammler aufweisen und die höchste Bereitschaft sowie die finanzielle Möglichkeit, für alte Regelwerke nochmal in die Tasche zu greifen. Ob sie, DSA5 gekauft haben, darf in eigen Fällen wohl in Zweifel gezogen werden.

Es liefe damit auf eine (verlagsseitig gewissermaßen akzeptierte oder gar geförderte) Teilung der Spielerschaft hinaus. Außerhalb von Cons dürfte das keine große praktische Rolle spielen.

Ein „Rang ablaufen“ gibt es dann nicht, sondern eine Koexistenz. In Kombination mit der Trennung von Spielregeln und Hintergrundbänden besteht für Ulisses sogar die Hoffnung, dass Spieler früherer Editionen (allen voran Spieler von DSA4.1) die neuen Hintergrundbände kaufen, da diese nun nicht im Widerspruch zu ihrem Regelwerk stehen. Jeder weitere so verkaufte Hintergrundband ist für Ulisses ein gutes Geschäft. Für den Verlag daher ein kommerziell sinnvoller Zug.

Und weiter? Eine Vision.

Ich versuchte schon aufzuzeigen, welche Synergien für Ulisses aus der Kombination der beiden Ankündigungen denkbar sind.

Darüber hinaus wird aber auch die Möglichkeit sichtbar, DSA zu einem gezielt „regelagnostischen“ System zu machen. Dies geht weit über die Ankündigungen im Zusammenhang mit der OGL hinaus, die keinesfalls das Nachdrucken alter Editionen zwingend machten (auch Hasbro druckt die alten D&D-Regelwerke meines Wissens nicht nach): Ulisses möchte nun DSA4.1-Regelwerke publizieren. Das Ilaris-Regelwerk gibt es ebenfalls als gedruckte Ausgabe im f-shop. Den Band „Harteschales Hausregeln“ gab es ebenfalls mal gedruckt zu erwerben, wenn auch nicht von Ulisses unterstützt. Über einen Nachdruck von DSA3 und DSA2 wird zumindest spekuliert.

Mit jeder unterstützten Regelvariante hat Ulisses die erhöhte Chance, dass deren Anhänger die neuen „regelagnostischen“ Bände (das heißt Hintergrundbände) erwerben. Gleichzeitig geht der Verlag das Risiko ein, sein primäres Regelwerk (DSA5) und dessen Verkäufe zu schwächen. Jede Drucklegung muss daher von Ulisses sorgsam abgewogen werden, wenn man nicht darauf baut, dass Sammler ohnehin alles kaufen (was bis zu einem bestimmten Grad aber denkbar ist). Grundsätzlich dürften aber die Fixkostendegressionseffekte pro als Buch erhältlicher Regelversion sinken. Allen voran gilt dies für die aktuelle Version, deren ungedeckte Fixkosten am höchsten sind, da sie in Erstellung befindlich ist.

Interessant könnte ein DSA-Regelwerk auf D20-Basis sein (gibt es inoffiziell auch schon). Damit könnnten vor allem Spieler angesprochen werden, die durch die sozialen Medien bei D&D gelandet sind. Wäre dies für Ulisses ein Problem, wenn sie DSA-D20-Regelbücher unter der OGL verkaufen können? Wohl kaum: Ich denke, das Erschließen dieser Zielgruppe wäre für Ulisses hochinteressant. Dies würde auch dann gelten, wenn diese neuen Spieler so zahlreich wären, dass die DSA-D20-Version über Netzwerkeffekte der neue Standard würde. Für Ulisses könnte dies sogar von Vorteil sein, weil man sich keine Mühe machen müsste, neue Regeleditionen grundständig zu entwickeln, sondern auf die D20-Vorlagen zurückgreifen könnte. Auch etwas kleinere Auflagen (wegen Kunden, die beispielsweise das DSA4.1-Regelwerk kaufen), wären dann profitabel.

Unbenommen von einem DSA-D20-Regelwerk ist künftig eine Koexistenz verschiedener DSA-Regelwerke denkbar. Für die Community bietet sich damit die Möglichkeit, die Editionsstreitigkeiten ad acta zu legen. Jede Spielgruppe könnte nach ihrer Façon glücklich werden – da der Wettbewerb um das „bessere“ Regelwerk weniger wichtig würde. Ein zumindest denkbares und doch auch schönes Szenario.

Mit einem neuen Pen & Paper-Rollenspielsystem anfangen

Immer wieder werde ich mit der Situation konfrontiert, dass ein neues Rollenspiel ausprobiert oder sogar gleich langfristig gestartet werden soll. Mir wird hierbei zunehmend klar, dass mir dies immer mehr schwerfällt.

Hierbei bin ich nicht (so) dogmatisch wie andere („Wenn wir Fantasy spielen, können wir auch gleich DSA spielen, das ist am besten.“ – womit zahlreiche Systeme per se keine Chance haben), aber einfach aufgrund meiner Präferenzen schwierig.

Zur Welt

Einerseits erwarte ich von der Welt, dass sie so innovativ ist, dass es sich „lohnt“ diese auszuprobieren. Auch kann ich nur anhand einer solchen Welt einen für mich schönen Charakter erstellen oder aber, als Spielleiter, mir eine Geschichte ausdenken. Dazu bedarf es in beiden Fällen einer recht guten Beschreibung der Spielwelt – den sonst finde ich nur schwer Anknüpfungspunkte. Andererseits, meine gerade angebrachte Forderung konterkarierend, möchte ich mich möglichst wenig einlesen. Diese beiden Anforderungen schließen praktisch einander aus – und (leider) fallen damit viele System hinten runter. Dennoch gibt es zwei mögliche Auswege:

  1. Ich kann die Welt anderweitig erfahren. Hier sind Romane an erster Stelle zu nennen. Sowohl das Witcher- als auch das Splittermond-Universum habe ich mir über Romane erschlossen und könnte mir nun gut vorstellen, hier mal zu spielen. In ähnlicher Weise haben sich die Iron Kingdoms über das Tabletop für mich erschlossen.
  2. Das System spielt auf der Erde. Hexxen ist hier für mich das jüngste Beispiel. Wenn man sich ein wenig mit Geschichte auskennt, kann man mit „echtem“ Wissen die Spielwelt erfahren. Problematisiert wird dies allein dadurch, dass Spielwelten in aller Regel einem alternativen Geschichtsverlauf folgen, was die Nutzbarkeit eigenen Wissens einschränkt.

Zu den Regeln

Ich lese im Grunde keine neuen Regeln mehr. Das ist nicht einmal böse gemeint. Selbst wenn ich es mir fest vornehme und ein neues System gerne spielen möchte – ich tue es einfach nicht. Zu einem konkreten Zeitpunkt, wenn ich das Regelwerk lesen könnte, scheint mir stets eine andere Beschäftigung attraktiver.

Zudem schätze ich narrativistische Elemente nicht, wie sie heute in Regelwerken üblich sind. Ich verweise hierzu auf meinen Beitrag zur Spielphilosophie.

Zum Spielsystem

Mich interessieren heutzutage kampflastige Systeme weniger. Der Fokus sollte für mich auf der Charakterdarstellung liegen. Das ist aber weniger etwas, was aus dem Spielsystem erwächst, sondern ist eine Spielstilfrage, die durch die Spielgruppe maßgeblich beeinflusst wird. Aus meiner Sicht bietet jedes System die Möglichkeit, ein intensives Charakterspiel zu betreiben.

In Kürze: Ich bin vermutlich ein schwerer Fall, wenn man neue Systeme ausprobieren möchte. Aber zum Glück habe ich genug Runden und Spielsysteme.

Vielleicht bin ich auch einfach alt und eingefahren.

Übertragung von Werten in die Spielwelt

In meinem letzten Beitrag befasste ich mich mit dem Thema, dass Spielercharaktere beim Pen & Paper-Rollenspiel oft die gleiche Entlohnung für alle einfordern, andere aber mit Blick auf ihren Stand oder seltene Fähigkeiten genau dem nicht zustimmen wollen. Ich identifizierte als Ursachen die Übertragung der Gleichheit am Spieltisch auf die Gleichheit der Charaktere.

Ähnlich gelagert ist die Frage einer Übertragung von realweltlichen (hier: europäisch-westlichen in der aktuellen Zeit) Werten auf die Spielwelt beim Pen & Paper-Rollenspiel. Während realweltlich die Demokratie akzeptiert ist, ist dies beim Fantasy-Rollenspiel oft gerade nicht der Fall: Bei DSA ist die meistverbreitete Staatsform die Monarchie. Bei Battletech ebenfalls bzw. die Aristokratie. Bei den Warhammer-Systemen sind meines Wissens sogar Diktaturen prägend.

In gleicher Weise ist es mit der Gleichheit. Realtweltlich gilt ein rechtlicher Gleichheitsgrundsatz. In den Spielwelten muss dies keineswegs so sein. Es gibt oft Stände (Adel, Klerus, Rest), Leibeigenschaft, Sklaverei, Rassentrennung – je nach System das volle Programm. Nun soll es mir nicht, zumindest nicht vordergründig, darum gehen, zu hinterfragen, ob solche Systeme als Spielweltsysteme akzeptabel sind. Mir geht es um die beizeiten vorzufindende Beobachtung, diese Systeme aus Sicht der Charaktere in Frage zu stellen – weil die Spieler sie realweltlich nicht teilen.

Vor einiger Zeit spielte ich kurz bei einer DSA-Gruppe mit, die in Mirham zu Gast an der dortigen Akademie war. Mirham ist Teil des Al’Anfanischen Imperiums, das ein Sklavenhalterstaat ist. Die Charaktere stammten demgegenüber mehrheitlich aus dem Mittelreich, wo man Sklaverei ablehnt. Soweit so gut – die Charakter konnten also begründet gegen Sklaverei sein, ohne aus der typischen Rolle zu fallen. Erstaunlich fand ich aber, dass Spieler und Charaktere übereinkamen, dass es richtig wäre, nunmehr in Mirham gegen die Sklaverei vorzugehen. So wurden bei einer Exkursion in den Dschungel die Sklavenfänger der Akademie festgesetzt und die „Wilden“ unterstützt. Gleichzeitig war man sich aber aufgrund der realweltlichen Akzeptanz dieses Tuns, sicher, dass die Akademieführung damit kein Problem haben würde. Das fand ich, gelinde gesagt, grotesk.

Ein häufiger auftretendes Spannungsfeld, liegt in der sozialen „Hackordnung“ der Charaktere begründet. Grundsätzlich ist einer mittelalterlichen Ständegesellschaft zu eigen, dass Mitglieder höherer Stände über die niederen Stände „verfügen“ können. Ergänzend werden niedere Stände höheren Ständen in einer solchen Gesellschaft Respekt entgegenbringen. Beides passt natürlich in kleinster Weise in das realweltliche Wertekonstrukt. Wenn Spieler sich darüber mokieren und eine Ständegesellschaft nicht darstellen zu wollen, dann meiner Erfahrung nach, weil, zumindest implizit, Gleichberechtigung der Realität entsprechend eingefordert wird.

Diese realweltliche Forderung kann grundsätzlich um am einfachsten in die Spielwelt übertragen werden, indem die betreffenden Spieler Revoluzzer oder Vertreter anderer Kulturen spielen. Sie geht aber oft darüber hinaus und wird auch sonst vertreten.

Wie geht mit einem solchen Konflikt um? Im Grunde gibt es meines Erachtens drei Lösungen:

  1. Man passt die Spielweise dergestalt an, bis sie eine für alle hinreichende Kompatibilität mit realweltlichen Werten aufweist. So könnte die Ständegesellschaft aufgeweicht sein, vielleicht sogar teilweise mit historischem Vorbild, wo Kaufleute große Macht erlangen konnten. Oder die Spieler adliger Charaktere spielen diese liberaler.
  2. Es wird der Konflikt akzeptiert. Im besten Fall bleibt dieser im Spiel, also auf Charakterebene. Dies klappt vor allem dann, wenn, wie oben dargestellt, zum Beispiel ein Revoluzzer gespielt wird. Die Parteien versuchen sich dann mit ihren innerweltlichen Mitteln durchzusetzen. Im schlechtesten Fall bricht der Konflikt aus der Spielwelt auf die Realwelt aus und führt zu Kontroversen, wie „richtig“ zu spielen sei. Hierbei wird schnell über die Meinungshoheit bezüglich der Funktionsweise respektive Setzung der Spielwelt gerungen – man ist damit im Punkt 1.
  3. Man ist sich des Problems realweltlich bewusst und nutzt die Macht der Charaktere höheren Standes dazu, Anweisungen und dergleichen zu erteilen, welche die Spieler der Charaktere niederen Standes ohnehin wünschen.

Variante 3 ist vermutlich der Königsweg. Aber auch dieser ist nicht ohne Hindernisse. Zum einen erfordert diese Lösung Abstimmung zwischen den Spielern, damit klar wird, welche Anweisungen zu erteilen sind. Zum anderen darf nicht per se vorausgesetzt werden dass die Spieler der höhergestellten Charaktere auch tatsächlich genau die von Spieler der niedriger gestellten Charaktere gewünschten Anweisungen durch seinen Charakter geben möchte. In diesem Falle scheidet Lösung 3 aus.

Sowohl die Variante 1, wie die Variante 2 führen schnell zu der realweltlichen Frage, wie die Spielwelt zu gestalten ist. Dies kann und sollte natürlich grundsätzlich konsensual festgelegt werden – im Zweifel ist es für mich aber am Spielleiter, Festlegungen zu treffen. Er schafft, interpretiert und repräsentiert die Spielwelt. Bei seinen Festlegungen kann er Vorstellungen und Wünsche wie in Variante 1 angesprochen, berücksichtigen. Er muss es meines Erachtens aber nicht.

Nach einer solchen Festlegung und Kommunikation des Ergebnisses durch den Spielleiter steht einer innerweltlichen Lösung des Konfliktes im Sinne der Lösung 2 nichts im Wege. Dies dürfte auch rollenspielerisch am interessantesten sein.

Im Ergebnis plädiere ich damit für

  1. eine Festlegung und Kommunikation der Interpretation durch den Spielleiter vorab im Allgemeinen. Im Speziellen kann er natürlich, wenn die Spielsituation es verlangt, die maßgebliche Interpretation klarstellen.
  2. Hierbei sollen die Spieler anstreben, dass Situationen, bei denen ein Charakter und der Spieler düpiert werden, möglichst vermieden werden, und
  3. sind Konflikte innerweltlich zu lösen. Hierbei dient die Weltinterpretation des Spielleiters als Referenzrahmen.

Nach meinem Dafürhalten ist damit auch das Problem des Umgangs mit der einer Sklavenhaltergesellschaft in der Spielwelt gelöst: Der Spielleiter entschied in meinem Fall (wohl implizit), dass eine solche Gesellschaft Kritik akzeptiert und wertschätzt. Meine persönliche, anders gelagerte Vorstellung ist unerheblich.

Wichtig ist freilich, dass man den Interpretationsreferenzrahmen des Spielleiters vorab kennt, da dies Auswirklungen auf die Auswahl des Charakters haben kann. Auch können sich Spieler aufgrund der getroffenen Festlegungen im Extremfall entschließen, die Runde zu verlassen – oder, alternativ, sich freilich selbst als Spielleiter mit anderen Festlegungen vorschlagen. Im Ergebnis könnnten sich so alle mit dem Referenzrahmen anfreunden.

Unterschiedliche Entlohnungen von Charakteren innerhalb der Spielwelt

Kürzlich kam mal wieder die Frage auf, ob alle Mitglieder einer Abenteurergruppe im Fantasy-Pen & Paper-Rollenspiel die gleiche Entlohnung für einen Auftrag erhalten sollten. Für mich treffen hierbei zwei mögliche Ansichten aufeinander:

  1. Die innerweltliche Logik. Häufig gibt es entweder Stände oder ökonomische Gründe oder beides, zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Bezahlung. Dass der Adel mehr erhält (einfach weil er adlig ist), ist eine Standesfrage – und findet ihre Entsprechung in der historischen Standesgesellschaft. Dass hingegen ein Magiekundiger mehr Entlohnung enthält, ist, zumindest ergänzend, mit der Seltenheit seiner Fähigkeiten begründet – in der Regel gibt es nicht viele Zauberer, auch in Fantasy-Welten. In beiden Fällen liegt ein simulationistisches Argument vor.
  2. Der Fairness-Gedanke. Wichtig ist, dass im hier skizzierte Fall nicht allein die Gegebenheiten der Realwelt übertragen werden. Zwar ist die Ständegesellschaft in der hier besprochenen Form nicht mehr existent. Das ökonomische Argument ist aber einschlägig: Es gibt auch realiter unterschiedlich hohe Löhne und Gehälter. Vielmehr kommt beim Fairness-Gedanken die Gleichheit der Spieler zu Tragen und wird auf die Charaktere übertragen. Da jeder Spieler (für gewöhnlich) gleiche Rechte hat, sollten dies auch die Spieler haben. Damit handelt es sich um ein gameistisches Argument.

Im Besonderen ist zu beachten, dass die Frage nach dem Mehr an Geld unmittelbare Auswirkungen auf die Stärke (d.h. die Macht) der Charaktere haben kann: Wenn der adlige Zauberer, oder ein anderer im Folgenden deshalb als „Privilegierter“ bezeichneter, viel mehr Geld hat, wird es sich in der Spielwelt oft auch eine bessere Ausrüstung leisten können und dadurch nur deshalb „besser“ sein. Dies dürfte für viele Spieler ein gewichtiges Problem sein.

Falls die Stärke des Charakters den Spielern wichtig ist, könnten diese daher einen Anreiz haben, nur noch Charaktere zu spielen, die einen hohen Stand haben. Falls man dies nicht möchte, müsste man überlegen, den Zugang zu solchen gesellschaftlichen Charakteren zu limitieren. Zum Beispiel könnte ein adliger Charakter weniger sonstige Fähigkeiten haben (umgesetzt dadurch, dass der Vorteil „Adlig“ Erschaffungs- oder Generierungspunkte benötigt, die nicht für Anderes zur Verfügung stehen – so regelmäßig auch regelseitig umgesetzt). Dies ist aber ebenfalls unschön, da eigentlich davon ausgegangen werden könnte, dass Vertreter privilegierter Schichten zumindest keine schlechteren Fähigkeiten mitbringen (wegen der besseren Ausbildung) und nicht körperlich beeinträchtigt sind (wegen besserer Ernährung und Gesundheitsvorsorge).

Aus diesem Grund ist das ökonomische Argument, zumindest auf den ersten Blick, weniger schwerwiegend: Wer viel Zeit in die Ausbildung zum Beispiel zum Zauberer gesteckt hat, wird in der Regel andere Fähigkeiten weniger stark entwickelt haben. Hintergrund hierfür ist, dass jeder gleich viel Zeit hat. Es hat aber nicht jeder gleich viel Geld. Die Geldmenge wird bei der Charaktererschaffung durch den Stand der Eltern bestimmt. Wobei jedoch Geld teilweise in Zeit getauscht werden kann (bessere Lehrer). Auf den zweiten Blick folgt das ökonomische Argument damit dem „Ständeargument“.

Die ganze Sache kann leicht ins Weltanschauliche abdriften. Eine einfache Lösung könnte sein, dass der Stand der Eltern schlicht ausgewürfelt wird. Das dürfte aus Sicht Vieler auch der realen Situation am ehesten, wenn auch unter Vorbehalten, entsprechen.

Dieser Gedanke führt aber Charaktere potentiell per se ad absurdum: Man möchte vielleicht ganz gezielt einen Ritter spielen. Oder einen (mittellosen) Dieb. Daher kommt dieser „Auswürfelmechanismus“ vermutlich mit größeren Problemen einher, als er welche löst. Die Schwierigkeit, dass man einfach mehrfach würfeln könnte, bis das „richtige“ Ergebnis feststeht, ist davon unbenommen vorhanden.

Aus meiner Sicht ist das ganze Argument der Ungleichheit aber auch ein Stück weit konstruiert. Mir leuchtet durchaus ein, dass fremde Dritte sich in der Spielwelt so verhalten, dass sie ihrem Stande nach bezahlt werden. In aller Regel sind die Spielercharaktere jedoch nach kurzer Zeit keine fremden Dritten mehr, sondern Gefährten und Freunde. Und dann sollte das Argument, dass auch am Spieltisch für Gleichheit sorgt, greifen: Wenn die Charaktere wissen, dass ihnen allen besser geholfen ist, wenn der (arme) Dieb zum Beispiel den magischen Bogen bekäme, so werden sie dies (hoffentlich) so entscheiden und die monetären Mittel entsprechend allokieren – was zumindest im Ergebnis einer Gleichverteilung der Belohnung entspricht. Damit ist das gewichtige Problem, dass nur oder eher die privilegierten Charaktere die Mittel haben, bessere Ausrüstung zu erwerben, gemindert oder gelöst.

Aber auch mit diesem Ansatz bleiben (mindestens) zwei mögliche Probleme bestehen:

  1. Wie verhält es sich mit dem „Lebensstand“? Wer schläft in der Taverne in der Suite, wer im Stall? Wer kann sich teure oder günstige Kleidung leisten etc.?
  2. Was ist, wenn der oben geschilderte, kollaborative Einigungsprozess nicht zustande kommt, weil die Spieler der privilegierten Charaktere auf ihrem Stand pochen?

Ad 1)

Wenn im Laufe der Zeit eine Gleichverteilung der Belohnungen eintritt, stellt sich schnell der (m.E. unschöne) Effekt ein, dass die Einkommensverhältnisse der Charaktere identisch werden. Der adlige Zauberer wird nicht mehr im Stande sein, die Suite im Gasthaus zu beziehen; der (eigentlich) mittellose Dieb hat keinen Grund mehr, im Stall zu nächtigen. Das ist für mich deshalb nicht wünschenswert, weil sich die Spieler ja gerade dazu entschieden haben, einen reichen oder armen Charakter zu spielen – mithin also ihren Charakter nicht mehr wie vorgesehen (glaubhaft) darstellen können.

Ich kenne hierzu drei mögliche Lösungen, dargestellt am Beispiel der Unterbringung:

  1. Der „arme“ Charakter wird so gespielt, dass er das Geld fortlaufend sinnlos verprasst. Er hat daher im Ergebnis immer weniger Mittel übrig und muss im Stall schlafen. Ich bin kein Freund dieser Lösung, weil es auch reiche Charaktere geben kann, die ihr Geld verprassen und auch (ursprünglich) arme, die ihr Geld sparen.
  1. Es wird zwar die Belohnung augenscheinlich gleich verteilt. Der Spielleiter nimmt jedoch hintergründig eine Ungleichverteilung vor. Diese erfolgt aber nicht explizit sondern implizit in der Gestalt, dass „reiche“ Charaktere immer das bessere Zimmer mieten können. Hierfür muss auch nichts explizit aus dem Vermögen des Charakters bezahlt werden, dies erfolgt implizit. In gleicher Weise muss der arme Charakter auch nichts für den Stall zahlen. Dessen Bezahlung erfolgt ebenfalls implizit. Nur wenn ein Charakter über seinen Stand hinaus etwas möchte, muss er hierzu auf seinen explizites Geldvermögen zurückgreifen.

    Diese Lösung ist angelehnt an das Konzept des Lebensstils bei Shadowrun. Für zum Beispiel 5.000 Euro oder Nuyen pro Monat hat ein Charakter dort einen mittleren Lebensstil, der alle damit verbundenen Ausgaben abdeckt. Übertragen auf das Fantasy-Rollenspiel würde bei Belohnungen immer ein Fixbetrag zur Seite gelegt, der die jeweiligen Lebensstile der Charaktere finanziert. Bei DSA5 gibt es den bereits erwähnten Vorteil Einkommen, der aber meines Wissens nur bei Charaktererschaffung erworben werden kann, während der Shadowrun-Lebensstil flexibel anpassbar ist – aber auch monatlich Kosten veursacht. Die Spieler werden jedoch in beiden Fällen an den Lebensstil nicht erinnert, es passiert völlig automatisch im Hintergrund. Im Spiel könnte auch nur die Belohnung genannt werden, welche die Charakter explizit als Geldvermögen erhalten.

    Ich finde diese Lösung hat einiges für sich. Die implizite „Lebensstilfinanzierung“ hat jedoch manchmal etwas Abstraktes und Künstliches an sich – kann aber auch willkommene Erleichterung sein. Meines Erachtens ist ein denkbares Problem, dass auch mal eine Situation angestrebt werden könnte, in der die Charakter mittellos sind. Im Falle einer impliziten Verwaltung des Lebensstils wäre dies in der Darstellung leicht unglücklich und könnte als beliebig aufgefasst werden („Gerade jetzt reicht das Geld nicht, dabei habe ich nie soviel ausgegeben.“).
  2. „Reiche“ Charaktere bekommen eine Geldquelle zugesprochen (im Myranor-Regelwerk als Vorteil Apanage in ähnlicher Form erwerbbar, vergleichbar bei DSA5 als Vorteil Einkommen) für die Diskussion hier nun quasi Folge eines hohen Sozialstatus). Zum Beispiel könnte ein reicher Charakter jeden Monat 50 Goldstücke von seiner Familie erhalten, um seinen Lebensstandard zu finanzieren. Es scheint mir plausibel, dass Charaktere mit einem gewissen sozialen Stand Zugriff auf einen Vermögensstock haben. Hierdurch gibt es auch keine indirekte und intransparente Schattenbuchhaltung. Zudem mag ein drohender Wegfall der Geldquelle (wie kriegerische Aktivitäten in der Heimat des Charakters), Anknüpfungspunkt für Abenteuer sein.

    Im Einzelfall könnte überlegt werden, wie dieses Geld zum Charakter gelangt (falls es kein Bankwesen gibt). Zudem klappt die Idee vor allem bei Charakteren, die ihre Privilegien durch Geburt erlangt haben. Für Charaktere, die durch ihre Ausbildung Spezialisten geworden sind (die also aus ökonomischen Gründen eine höhere Bezahlung erhalten), muss oft noch eine Brücke geschlagen werden, woher das Geld innerweltlich kommt. Denkbar könnten aber Lizenzerträge für Forschungsergebnisse sein. Meiner Erfahrung nach besteht realiter das Problem der „gerechten“ Entlohnung aber eher bei Charakteren, die durch ihre Familie privilegiert sind (wie Adlige), weniger für solche, die durch ihre Fähigkeiten privilegiert sind.

Ad 2)

Die mögliche Schwierigkeit, dass Spieler der privilegierten Charaktere, deren Privilegien bei der Entlohnung auch dann voll einfordern, wenn die Charaktere einander gut kennen und aufeinander angewiesen sind, ist meines Erachtens durch Rollenspiel zu lösen. So könnten die anderen Charaktere den auf sich bedachten Charakter zur Rede stellen oder, im Extremfall, auch verlassen. Hier hilft es sich vielleicht zu fragen, warum ein Charakter ursprünglich die Heimat verlassen hat. Diese Gründe könnten innerweltlich der Grund sein, sich von der Gruppe zu trennen. Idealerweise bleibt freilich der nur auf sich bedachte Charakter zurück.

Eng mit dem hier skizzierten Problem, gerade im letztgeannten Punkt der Werte innerhalb der Gruppe, steht die Frage nach der Gültigkeit von Werten im Allgemeinen: Akzeptiert ein Charakter oder auch ein Spieler Zustände in der Spielwelt, die aus Sicht der Realwelt inakzeptabel sind? Zum Beispiel ist die Realwelt in Europa stark durch demokratische Prozesse gekennzeichnet – im Fantasy-Rollenspiel sind oft Monarchien vorherrschend; bei Warhammer 40k sogar eine Diktatur. Realweltlich gilt in Europa die rechtliche Gleichheit aller Menschen. In der Rollenspielwelt mag Sklaverei oder Leibeigentum Usus sein.

Zum Umgang damit mit solchen Werten der Spieler im Rollenspiel mit den Charakteren werde ich mich demnächst äußern.

Änderung am 9. April 2023: DSA 5-Vorteil „Einkommen“ nach Hinweis ergänzt.