Bild des Monats

Monthly Archives: April 2023

Werteübertragung aus der Realität und „gerechte“ Bezahlung von Charakteren im Liverollenspiel – eine Erweiterung

In meinen letzten beiden Beiträgen versuchte ich, Lösungen für das mögliche Problem der gerechten Entlohnung von Charakteren und einer möglichen Übertragung realweltlicher Werte in die Spielwelt, in beiden Fällen beim Pen & Paper-Rollenspiel, aufzuzeigen.

Nunmehr soll es darum gehen, ob diese Lösungen auch für das Liverollenspiel denkbar sind. Dem vorgelagert ist sachlogisch die Frage, ob die Probleme überhaupt bestehen. Damit kommen wir zu

  1. „Gerechte“ Bezahlung von Charakteren im Liverollenspiel

Beim Liverollenspiel stellt sich die Frage nach einer (monetären) Entlohnung in der Regel nicht. Ich habe nur in Ausnahmefällen erlebt, dass die Lösung des von dem Veranstalter geplanten Plots eine Belohnung in Form von Münzen mit sich brachte.

Das ist nicht verwunderlich. Im Gegensatz zum Pen & Paper-Rollenspiel haben Münzen beim LARP praktisch keinen Gegenwert. Man kann in der Spielwelt mit diesem praktisch nichts erwerben. Selbst Nahrungsmittel müssen auch in Euro bezahlt werden. Nur Intime-Dienstleitungen sind mit dem Spielgeld bezahlbar. Hierunter fallen unter anderem einfache Botendienste, die Benutzung eines Badezubers oder gelegentlich Sölderdienste oder magische Dienstleitungen. In der Regel ist das Spielgeld daher vor allem als Einsatz für Intime-Spiele (vor allem Karten- oder Würfelspiele) wichtig.

Damit ist das Geld seiner wesentlichen Funktion beraubt. Es wird als Tauschmittel nicht oder nur für vereinzelte Dienstleistungen verwendet. Man kann aber keine Gegenstände, vor allem keine magischen, damit erwerben. Da alle Gegenstände ein realtweltiches Pendant haben, ist hierfür auch immer reales Geld zu entrichten. Daher besteht für niemanden die Möglichkeit mit viel Spielgeld den Charakter mit besserer Ausrüstung auszustatten, wie es beim Pen & Paper-Rollenspiel möglich ist.

Ergänzend ist zu sehen, dass das LARP-Geld „Fiat-Money“ par excellence ist. Man kann sehr günstig gewaltige Münzvorräte outttime kaufen und diese intime verwenden. Dies ist beim Pen & Paper-Rollenspiel naheliegenderweise nicht möglich (wenn man davon absieht, dass es bestechliche Spielleiter geben könnte). Allein dies macht die praktische Irrelevanz des Spielgeldes beim LARP deutlich.

Daher besteht de facto nur ein verhaltenes Interesse daran, Spielgeld zu haben. Es muss daher nicht gerecht verteilt werden – wenn es überhaupt als Belohnung in Betracht gezogen wird. Im Ergebnis ist auch ein spielerischer Vorteil reicher Charaktere fernliegend.

  1. Übertragung von realweltichen Werten in die LARP-Spielwelt

LARP ist in vielen Fällen, „anything goes Fantasy“. Ein einheitlicher Werte-Referenzrahmen liegt nicht vor und ist auch de facto auf Cons, die keine vordefinierte, allgemein bekannte Welt bespielen, nicht implementierbar.

Man ist daher gut damit beraten, bei der Einforderung von Werten sehr anspruchslos zu sein. Schon naturgemäß werden je nach realzeitlicher Vorlage die Werte der Charaktere divergieren (z.B. Revolutionszeit versus Mittelalter). Dazu kommen noch mögliche Ausprägungen in Bezug auf die Fantasy-Stoßrichtung. Zwischen dem Elfenbild des Hexer-Universums und dem Tolkiens liegen Welten. Mein Ratschlag ist daher, dass ein LARP-Charakter „in sich“ stimmig sein sollte und möglichst wenig auf die Akzeptanz bestimmter Setzungen außerhalb seiner selbst, oder seiner Gruppe, angewiesen ist. Im Extremfall ergibt sich sonst das Problem der LARP-Stasi.

Im Kern ist diese Empfehlung des Setzen eines Rahmens, der möglichst omni-kompatibel mit anderen Charakteren ist, der Ersatz dafür, dass der Spielleiter beim Pen & Paper-Rollenspiel einen solchen definiert.

Im Kern ist dieser Gedanke in den „zwei Regeln“ niedergelegt: Wenn Du angespielt wirst, zeige irgendeine plausible Reaktion. Spiel irgendwas, egal was, aber spiel. Und: Wenn Du jemanden anspielst, erwarte keine bestimmte Reaktion. Akzeptiere, was Dein Gegenüber draus macht.

Bei bereitwilliger Einhaltung der zwei Regeln ist die Frage nach dem Wertereferenzrahmen gelöst. Spieltechnische Effekte sind hiervon nicht zwingend abgedeckt.

Alternativ dazu kann man freilich geschlossene Setzungen für LARP-Veranstaltungen festlegen. Diese könnten zum Beispiel in der Hexer-Welt, oder im Herr der Ringe-Universum angesiedelt sein. Diese „Lösung“ funktioniert in weiten Teilen, weil hierdurch der Wertereferenzrahmen gesetzt wird. Sie scheitert aber insoweit, als dass selbst eine sehr ausgearbeitete Spielwelt wie Aventurien noch Diskussionen über den „richtigen“ Umgang mit allem Möglichen erforderlich zu machen scheint. Gerade deshalb diskutierte ich in meinem anderen Beitrag über Interpretationserfordernisse und mögliche Lösungen.

Die vermeintliche Idee, dass der LARP-Veranstalter, anstelle des Spielleiters im Pen & Paper-Rollenspiel, diese Setzungen vornimmt scheitert aus meiner Sicht aus zwei Gründen:

  1. Meiner Erfahrung nach befassen sich die Spieler vor einer Veranstaltung nicht oder kaum mit solchen Setzungen. Gelegentlich auch die Mitglieder der Spielleitung nicht.
  2. Eine LARP-Veranstaltung ist in vielen Fällen, und immer zunächst, eine einmalige Sache. Hierfür wird in aller Regel kein neuer Charakter entwickelt, schon allein deshalb, weil dieser in vielen Fällen auch den Erwerb neuer Ausrüstung erforderlich machen könnte. Es werden vielmehr schon bestehende Charaktere für die Veranstaltung verwendet. Solche Charaktere sind mit Setzungen, die von ihrem Charakter-Konzept abweichen, aber folgerichtig nur bedingt kompatibel. Da die Setzung der Veranstaltung vorab auch oftmals gar nicht gelesen wird (es ist ja nur eine Veranstaltung! – siehe Punkt 1.), ist diese de facto nicht durchsetzbar.

Aus meiner Sicht landet man dann wieder bei den zwei Regeln.

Nur im Falle des wiederholen Bespielens einer Reihe kann ein verbindlicher Referenzrahmen gesetzt werden. Damit wird mit der „anything goes Fantasy“ aufgeräumt.

In beiden Fällen zeigt sich für mich, dass insbesondere der wenig ausgeprägte Simulationismus ursächlich für die Unterschiede sind: Wo Geld de facto kaum oder keine Kaufkraft hat, kann man nicht erwarten, dass es relevant ist. Andererseits ist dies aus gameistischer Sicht ein Vorteil mit Blick auf die Probleme, die bei unterschiedlichen Finanzniveaus von Spielercharakteren entstehen können. Das objektiv kein Grund besteht, im LARP Geld haben zu wollen, kann auch narrativistisch kompensiert werden, in dem man sich über diese Tatsache spielerisch hinwegsetzt.

Im Falle der fehlenden Werte- oder Weltsetzung ist es nicht ganz so einfach. Ich wage zu behaupten, dass dies überwiegend ein Nachteil ist. Man kann dem mit gameistischen Ideen entgegentreten (was ich im Grunde mit meinem Vorschlag, dass jeder für sich einen in sich stimmigen Ansatz für seinen Charakter finden soll ohne fremde Charaktere zu tangieren, in gewisser Weise anrate). Am befriedigendsten dürfte die Festlegung eines (langfristig) verbindlichen Wertereferenzrahmens durch den jeweiligen LARP-Veranstalter sein.

Übertragung von Werten in die Spielwelt

In meinem letzten Beitrag befasste ich mich mit dem Thema, dass Spielercharaktere beim Pen & Paper-Rollenspiel oft die gleiche Entlohnung für alle einfordern, andere aber mit Blick auf ihren Stand oder seltene Fähigkeiten genau dem nicht zustimmen wollen. Ich identifizierte als Ursachen die Übertragung der Gleichheit am Spieltisch auf die Gleichheit der Charaktere.

Ähnlich gelagert ist die Frage einer Übertragung von realweltlichen (hier: europäisch-westlichen in der aktuellen Zeit) Werten auf die Spielwelt beim Pen & Paper-Rollenspiel. Während realweltlich die Demokratie akzeptiert ist, ist dies beim Fantasy-Rollenspiel oft gerade nicht der Fall: Bei DSA ist die meistverbreitete Staatsform die Monarchie. Bei Battletech ebenfalls bzw. die Aristokratie. Bei den Warhammer-Systemen sind meines Wissens sogar Diktaturen prägend.

In gleicher Weise ist es mit der Gleichheit. Realtweltlich gilt ein rechtlicher Gleichheitsgrundsatz. In den Spielwelten muss dies keineswegs so sein. Es gibt oft Stände (Adel, Klerus, Rest), Leibeigenschaft, Sklaverei, Rassentrennung – je nach System das volle Programm. Nun soll es mir nicht, zumindest nicht vordergründig, darum gehen, zu hinterfragen, ob solche Systeme als Spielweltsysteme akzeptabel sind. Mir geht es um die beizeiten vorzufindende Beobachtung, diese Systeme aus Sicht der Charaktere in Frage zu stellen – weil die Spieler sie realweltlich nicht teilen.

Vor einiger Zeit spielte ich kurz bei einer DSA-Gruppe mit, die in Mirham zu Gast an der dortigen Akademie war. Mirham ist Teil des Al’Anfanischen Imperiums, das ein Sklavenhalterstaat ist. Die Charaktere stammten demgegenüber mehrheitlich aus dem Mittelreich, wo man Sklaverei ablehnt. Soweit so gut – die Charakter konnten also begründet gegen Sklaverei sein, ohne aus der typischen Rolle zu fallen. Erstaunlich fand ich aber, dass Spieler und Charaktere übereinkamen, dass es richtig wäre, nunmehr in Mirham gegen die Sklaverei vorzugehen. So wurden bei einer Exkursion in den Dschungel die Sklavenfänger der Akademie festgesetzt und die „Wilden“ unterstützt. Gleichzeitig war man sich aber aufgrund der realweltlichen Akzeptanz dieses Tuns, sicher, dass die Akademieführung damit kein Problem haben würde. Das fand ich, gelinde gesagt, grotesk.

Ein häufiger auftretendes Spannungsfeld, liegt in der sozialen „Hackordnung“ der Charaktere begründet. Grundsätzlich ist einer mittelalterlichen Ständegesellschaft zu eigen, dass Mitglieder höherer Stände über die niederen Stände „verfügen“ können. Ergänzend werden niedere Stände höheren Ständen in einer solchen Gesellschaft Respekt entgegenbringen. Beides passt natürlich in kleinster Weise in das realweltliche Wertekonstrukt. Wenn Spieler sich darüber mokieren und eine Ständegesellschaft nicht darstellen zu wollen, dann meiner Erfahrung nach, weil, zumindest implizit, Gleichberechtigung der Realität entsprechend eingefordert wird.

Diese realweltliche Forderung kann grundsätzlich um am einfachsten in die Spielwelt übertragen werden, indem die betreffenden Spieler Revoluzzer oder Vertreter anderer Kulturen spielen. Sie geht aber oft darüber hinaus und wird auch sonst vertreten.

Wie geht mit einem solchen Konflikt um? Im Grunde gibt es meines Erachtens drei Lösungen:

  1. Man passt die Spielweise dergestalt an, bis sie eine für alle hinreichende Kompatibilität mit realweltlichen Werten aufweist. So könnte die Ständegesellschaft aufgeweicht sein, vielleicht sogar teilweise mit historischem Vorbild, wo Kaufleute große Macht erlangen konnten. Oder die Spieler adliger Charaktere spielen diese liberaler.
  2. Es wird der Konflikt akzeptiert. Im besten Fall bleibt dieser im Spiel, also auf Charakterebene. Dies klappt vor allem dann, wenn, wie oben dargestellt, zum Beispiel ein Revoluzzer gespielt wird. Die Parteien versuchen sich dann mit ihren innerweltlichen Mitteln durchzusetzen. Im schlechtesten Fall bricht der Konflikt aus der Spielwelt auf die Realwelt aus und führt zu Kontroversen, wie „richtig“ zu spielen sei. Hierbei wird schnell über die Meinungshoheit bezüglich der Funktionsweise respektive Setzung der Spielwelt gerungen – man ist damit im Punkt 1.
  3. Man ist sich des Problems realweltlich bewusst und nutzt die Macht der Charaktere höheren Standes dazu, Anweisungen und dergleichen zu erteilen, welche die Spieler der Charaktere niederen Standes ohnehin wünschen.

Variante 3 ist vermutlich der Königsweg. Aber auch dieser ist nicht ohne Hindernisse. Zum einen erfordert diese Lösung Abstimmung zwischen den Spielern, damit klar wird, welche Anweisungen zu erteilen sind. Zum anderen darf nicht per se vorausgesetzt werden dass die Spieler der höhergestellten Charaktere auch tatsächlich genau die von Spieler der niedriger gestellten Charaktere gewünschten Anweisungen durch seinen Charakter geben möchte. In diesem Falle scheidet Lösung 3 aus.

Sowohl die Variante 1, wie die Variante 2 führen schnell zu der realweltlichen Frage, wie die Spielwelt zu gestalten ist. Dies kann und sollte natürlich grundsätzlich konsensual festgelegt werden – im Zweifel ist es für mich aber am Spielleiter, Festlegungen zu treffen. Er schafft, interpretiert und repräsentiert die Spielwelt. Bei seinen Festlegungen kann er Vorstellungen und Wünsche wie in Variante 1 angesprochen, berücksichtigen. Er muss es meines Erachtens aber nicht.

Nach einer solchen Festlegung und Kommunikation des Ergebnisses durch den Spielleiter steht einer innerweltlichen Lösung des Konfliktes im Sinne der Lösung 2 nichts im Wege. Dies dürfte auch rollenspielerisch am interessantesten sein.

Im Ergebnis plädiere ich damit für

  1. eine Festlegung und Kommunikation der Interpretation durch den Spielleiter vorab im Allgemeinen. Im Speziellen kann er natürlich, wenn die Spielsituation es verlangt, die maßgebliche Interpretation klarstellen.
  2. Hierbei sollen die Spieler anstreben, dass Situationen, bei denen ein Charakter und der Spieler düpiert werden, möglichst vermieden werden, und
  3. sind Konflikte innerweltlich zu lösen. Hierbei dient die Weltinterpretation des Spielleiters als Referenzrahmen.

Nach meinem Dafürhalten ist damit auch das Problem des Umgangs mit der einer Sklavenhaltergesellschaft in der Spielwelt gelöst: Der Spielleiter entschied in meinem Fall (wohl implizit), dass eine solche Gesellschaft Kritik akzeptiert und wertschätzt. Meine persönliche, anders gelagerte Vorstellung ist unerheblich.

Wichtig ist freilich, dass man den Interpretationsreferenzrahmen des Spielleiters vorab kennt, da dies Auswirklungen auf die Auswahl des Charakters haben kann. Auch können sich Spieler aufgrund der getroffenen Festlegungen im Extremfall entschließen, die Runde zu verlassen – oder, alternativ, sich freilich selbst als Spielleiter mit anderen Festlegungen vorschlagen. Im Ergebnis könnnten sich so alle mit dem Referenzrahmen anfreunden.

Unterschiedliche Entlohnungen von Charakteren innerhalb der Spielwelt

Kürzlich kam mal wieder die Frage auf, ob alle Mitglieder einer Abenteurergruppe im Fantasy-Pen & Paper-Rollenspiel die gleiche Entlohnung für einen Auftrag erhalten sollten. Für mich treffen hierbei zwei mögliche Ansichten aufeinander:

  1. Die innerweltliche Logik. Häufig gibt es entweder Stände oder ökonomische Gründe oder beides, zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Bezahlung. Dass der Adel mehr erhält (einfach weil er adlig ist), ist eine Standesfrage – und findet ihre Entsprechung in der historischen Standesgesellschaft. Dass hingegen ein Magiekundiger mehr Entlohnung enthält, ist, zumindest ergänzend, mit der Seltenheit seiner Fähigkeiten begründet – in der Regel gibt es nicht viele Zauberer, auch in Fantasy-Welten. In beiden Fällen liegt ein simulationistisches Argument vor.
  2. Der Fairness-Gedanke. Wichtig ist, dass im hier skizzierte Fall nicht allein die Gegebenheiten der Realwelt übertragen werden. Zwar ist die Ständegesellschaft in der hier besprochenen Form nicht mehr existent. Das ökonomische Argument ist aber einschlägig: Es gibt auch realiter unterschiedlich hohe Löhne und Gehälter. Vielmehr kommt beim Fairness-Gedanken die Gleichheit der Spieler zu Tragen und wird auf die Charaktere übertragen. Da jeder Spieler (für gewöhnlich) gleiche Rechte hat, sollten dies auch die Spieler haben. Damit handelt es sich um ein gameistisches Argument.

Im Besonderen ist zu beachten, dass die Frage nach dem Mehr an Geld unmittelbare Auswirkungen auf die Stärke (d.h. die Macht) der Charaktere haben kann: Wenn der adlige Zauberer, oder ein anderer im Folgenden deshalb als „Privilegierter“ bezeichneter, viel mehr Geld hat, wird es sich in der Spielwelt oft auch eine bessere Ausrüstung leisten können und dadurch nur deshalb „besser“ sein. Dies dürfte für viele Spieler ein gewichtiges Problem sein.

Falls die Stärke des Charakters den Spielern wichtig ist, könnten diese daher einen Anreiz haben, nur noch Charaktere zu spielen, die einen hohen Stand haben. Falls man dies nicht möchte, müsste man überlegen, den Zugang zu solchen gesellschaftlichen Charakteren zu limitieren. Zum Beispiel könnte ein adliger Charakter weniger sonstige Fähigkeiten haben (umgesetzt dadurch, dass der Vorteil „Adlig“ Erschaffungs- oder Generierungspunkte benötigt, die nicht für Anderes zur Verfügung stehen – so regelmäßig auch regelseitig umgesetzt). Dies ist aber ebenfalls unschön, da eigentlich davon ausgegangen werden könnte, dass Vertreter privilegierter Schichten zumindest keine schlechteren Fähigkeiten mitbringen (wegen der besseren Ausbildung) und nicht körperlich beeinträchtigt sind (wegen besserer Ernährung und Gesundheitsvorsorge).

Aus diesem Grund ist das ökonomische Argument, zumindest auf den ersten Blick, weniger schwerwiegend: Wer viel Zeit in die Ausbildung zum Beispiel zum Zauberer gesteckt hat, wird in der Regel andere Fähigkeiten weniger stark entwickelt haben. Hintergrund hierfür ist, dass jeder gleich viel Zeit hat. Es hat aber nicht jeder gleich viel Geld. Die Geldmenge wird bei der Charaktererschaffung durch den Stand der Eltern bestimmt. Wobei jedoch Geld teilweise in Zeit getauscht werden kann (bessere Lehrer). Auf den zweiten Blick folgt das ökonomische Argument damit dem „Ständeargument“.

Die ganze Sache kann leicht ins Weltanschauliche abdriften. Eine einfache Lösung könnte sein, dass der Stand der Eltern schlicht ausgewürfelt wird. Das dürfte aus Sicht Vieler auch der realen Situation am ehesten, wenn auch unter Vorbehalten, entsprechen.

Dieser Gedanke führt aber Charaktere potentiell per se ad absurdum: Man möchte vielleicht ganz gezielt einen Ritter spielen. Oder einen (mittellosen) Dieb. Daher kommt dieser „Auswürfelmechanismus“ vermutlich mit größeren Problemen einher, als er welche löst. Die Schwierigkeit, dass man einfach mehrfach würfeln könnte, bis das „richtige“ Ergebnis feststeht, ist davon unbenommen vorhanden.

Aus meiner Sicht ist das ganze Argument der Ungleichheit aber auch ein Stück weit konstruiert. Mir leuchtet durchaus ein, dass fremde Dritte sich in der Spielwelt so verhalten, dass sie ihrem Stande nach bezahlt werden. In aller Regel sind die Spielercharaktere jedoch nach kurzer Zeit keine fremden Dritten mehr, sondern Gefährten und Freunde. Und dann sollte das Argument, dass auch am Spieltisch für Gleichheit sorgt, greifen: Wenn die Charaktere wissen, dass ihnen allen besser geholfen ist, wenn der (arme) Dieb zum Beispiel den magischen Bogen bekäme, so werden sie dies (hoffentlich) so entscheiden und die monetären Mittel entsprechend allokieren – was zumindest im Ergebnis einer Gleichverteilung der Belohnung entspricht. Damit ist das gewichtige Problem, dass nur oder eher die privilegierten Charaktere die Mittel haben, bessere Ausrüstung zu erwerben, gemindert oder gelöst.

Aber auch mit diesem Ansatz bleiben (mindestens) zwei mögliche Probleme bestehen:

  1. Wie verhält es sich mit dem „Lebensstand“? Wer schläft in der Taverne in der Suite, wer im Stall? Wer kann sich teure oder günstige Kleidung leisten etc.?
  2. Was ist, wenn der oben geschilderte, kollaborative Einigungsprozess nicht zustande kommt, weil die Spieler der privilegierten Charaktere auf ihrem Stand pochen?

Ad 1)

Wenn im Laufe der Zeit eine Gleichverteilung der Belohnungen eintritt, stellt sich schnell der (m.E. unschöne) Effekt ein, dass die Einkommensverhältnisse der Charaktere identisch werden. Der adlige Zauberer wird nicht mehr im Stande sein, die Suite im Gasthaus zu beziehen; der (eigentlich) mittellose Dieb hat keinen Grund mehr, im Stall zu nächtigen. Das ist für mich deshalb nicht wünschenswert, weil sich die Spieler ja gerade dazu entschieden haben, einen reichen oder armen Charakter zu spielen – mithin also ihren Charakter nicht mehr wie vorgesehen (glaubhaft) darstellen können.

Ich kenne hierzu drei mögliche Lösungen, dargestellt am Beispiel der Unterbringung:

  1. Der „arme“ Charakter wird so gespielt, dass er das Geld fortlaufend sinnlos verprasst. Er hat daher im Ergebnis immer weniger Mittel übrig und muss im Stall schlafen. Ich bin kein Freund dieser Lösung, weil es auch reiche Charaktere geben kann, die ihr Geld verprassen und auch (ursprünglich) arme, die ihr Geld sparen.
  1. Es wird zwar die Belohnung augenscheinlich gleich verteilt. Der Spielleiter nimmt jedoch hintergründig eine Ungleichverteilung vor. Diese erfolgt aber nicht explizit sondern implizit in der Gestalt, dass „reiche“ Charaktere immer das bessere Zimmer mieten können. Hierfür muss auch nichts explizit aus dem Vermögen des Charakters bezahlt werden, dies erfolgt implizit. In gleicher Weise muss der arme Charakter auch nichts für den Stall zahlen. Dessen Bezahlung erfolgt ebenfalls implizit. Nur wenn ein Charakter über seinen Stand hinaus etwas möchte, muss er hierzu auf seinen explizites Geldvermögen zurückgreifen.

    Diese Lösung ist angelehnt an das Konzept des Lebensstils bei Shadowrun. Für zum Beispiel 5.000 Euro oder Nuyen pro Monat hat ein Charakter dort einen mittleren Lebensstil, der alle damit verbundenen Ausgaben abdeckt. Übertragen auf das Fantasy-Rollenspiel würde bei Belohnungen immer ein Fixbetrag zur Seite gelegt, der die jeweiligen Lebensstile der Charaktere finanziert. Bei DSA5 gibt es den bereits erwähnten Vorteil Einkommen, der aber meines Wissens nur bei Charaktererschaffung erworben werden kann, während der Shadowrun-Lebensstil flexibel anpassbar ist – aber auch monatlich Kosten veursacht. Die Spieler werden jedoch in beiden Fällen an den Lebensstil nicht erinnert, es passiert völlig automatisch im Hintergrund. Im Spiel könnte auch nur die Belohnung genannt werden, welche die Charakter explizit als Geldvermögen erhalten.

    Ich finde diese Lösung hat einiges für sich. Die implizite „Lebensstilfinanzierung“ hat jedoch manchmal etwas Abstraktes und Künstliches an sich – kann aber auch willkommene Erleichterung sein. Meines Erachtens ist ein denkbares Problem, dass auch mal eine Situation angestrebt werden könnte, in der die Charakter mittellos sind. Im Falle einer impliziten Verwaltung des Lebensstils wäre dies in der Darstellung leicht unglücklich und könnte als beliebig aufgefasst werden („Gerade jetzt reicht das Geld nicht, dabei habe ich nie soviel ausgegeben.“).
  2. „Reiche“ Charaktere bekommen eine Geldquelle zugesprochen (im Myranor-Regelwerk als Vorteil Apanage in ähnlicher Form erwerbbar, vergleichbar bei DSA5 als Vorteil Einkommen) für die Diskussion hier nun quasi Folge eines hohen Sozialstatus). Zum Beispiel könnte ein reicher Charakter jeden Monat 50 Goldstücke von seiner Familie erhalten, um seinen Lebensstandard zu finanzieren. Es scheint mir plausibel, dass Charaktere mit einem gewissen sozialen Stand Zugriff auf einen Vermögensstock haben. Hierdurch gibt es auch keine indirekte und intransparente Schattenbuchhaltung. Zudem mag ein drohender Wegfall der Geldquelle (wie kriegerische Aktivitäten in der Heimat des Charakters), Anknüpfungspunkt für Abenteuer sein.

    Im Einzelfall könnte überlegt werden, wie dieses Geld zum Charakter gelangt (falls es kein Bankwesen gibt). Zudem klappt die Idee vor allem bei Charakteren, die ihre Privilegien durch Geburt erlangt haben. Für Charaktere, die durch ihre Ausbildung Spezialisten geworden sind (die also aus ökonomischen Gründen eine höhere Bezahlung erhalten), muss oft noch eine Brücke geschlagen werden, woher das Geld innerweltlich kommt. Denkbar könnten aber Lizenzerträge für Forschungsergebnisse sein. Meiner Erfahrung nach besteht realiter das Problem der „gerechten“ Entlohnung aber eher bei Charakteren, die durch ihre Familie privilegiert sind (wie Adlige), weniger für solche, die durch ihre Fähigkeiten privilegiert sind.

Ad 2)

Die mögliche Schwierigkeit, dass Spieler der privilegierten Charaktere, deren Privilegien bei der Entlohnung auch dann voll einfordern, wenn die Charaktere einander gut kennen und aufeinander angewiesen sind, ist meines Erachtens durch Rollenspiel zu lösen. So könnten die anderen Charaktere den auf sich bedachten Charakter zur Rede stellen oder, im Extremfall, auch verlassen. Hier hilft es sich vielleicht zu fragen, warum ein Charakter ursprünglich die Heimat verlassen hat. Diese Gründe könnten innerweltlich der Grund sein, sich von der Gruppe zu trennen. Idealerweise bleibt freilich der nur auf sich bedachte Charakter zurück.

Eng mit dem hier skizzierten Problem, gerade im letztgeannten Punkt der Werte innerhalb der Gruppe, steht die Frage nach der Gültigkeit von Werten im Allgemeinen: Akzeptiert ein Charakter oder auch ein Spieler Zustände in der Spielwelt, die aus Sicht der Realwelt inakzeptabel sind? Zum Beispiel ist die Realwelt in Europa stark durch demokratische Prozesse gekennzeichnet – im Fantasy-Rollenspiel sind oft Monarchien vorherrschend; bei Warhammer 40k sogar eine Diktatur. Realweltlich gilt in Europa die rechtliche Gleichheit aller Menschen. In der Rollenspielwelt mag Sklaverei oder Leibeigentum Usus sein.

Zum Umgang damit mit solchen Werten der Spieler im Rollenspiel mit den Charakteren werde ich mich demnächst äußern.

Änderung am 9. April 2023: DSA 5-Vorteil „Einkommen“ nach Hinweis ergänzt.