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Übertragung von Werten in die Spielwelt

In meinem letzten Beitrag befasste ich mich mit dem Thema, dass Spielercharaktere beim Pen & Paper-Rollenspiel oft die gleiche Entlohnung für alle einfordern, andere aber mit Blick auf ihren Stand oder seltene Fähigkeiten genau dem nicht zustimmen wollen. Ich identifizierte als Ursachen die Übertragung der Gleichheit am Spieltisch auf die Gleichheit der Charaktere.

Ähnlich gelagert ist die Frage einer Übertragung von realweltlichen (hier: europäisch-westlichen in der aktuellen Zeit) Werten auf die Spielwelt beim Pen & Paper-Rollenspiel. Während realweltlich die Demokratie akzeptiert ist, ist dies beim Fantasy-Rollenspiel oft gerade nicht der Fall: Bei DSA ist die meistverbreitete Staatsform die Monarchie. Bei Battletech ebenfalls bzw. die Aristokratie. Bei den Warhammer-Systemen sind meines Wissens sogar Diktaturen prägend.

In gleicher Weise ist es mit der Gleichheit. Realtweltlich gilt ein rechtlicher Gleichheitsgrundsatz. In den Spielwelten muss dies keineswegs so sein. Es gibt oft Stände (Adel, Klerus, Rest), Leibeigenschaft, Sklaverei, Rassentrennung – je nach System das volle Programm. Nun soll es mir nicht, zumindest nicht vordergründig, darum gehen, zu hinterfragen, ob solche Systeme als Spielweltsysteme akzeptabel sind. Mir geht es um die beizeiten vorzufindende Beobachtung, diese Systeme aus Sicht der Charaktere in Frage zu stellen – weil die Spieler sie realweltlich nicht teilen.

Vor einiger Zeit spielte ich kurz bei einer DSA-Gruppe mit, die in Mirham zu Gast an der dortigen Akademie war. Mirham ist Teil des Al’Anfanischen Imperiums, das ein Sklavenhalterstaat ist. Die Charaktere stammten demgegenüber mehrheitlich aus dem Mittelreich, wo man Sklaverei ablehnt. Soweit so gut – die Charakter konnten also begründet gegen Sklaverei sein, ohne aus der typischen Rolle zu fallen. Erstaunlich fand ich aber, dass Spieler und Charaktere übereinkamen, dass es richtig wäre, nunmehr in Mirham gegen die Sklaverei vorzugehen. So wurden bei einer Exkursion in den Dschungel die Sklavenfänger der Akademie festgesetzt und die „Wilden“ unterstützt. Gleichzeitig war man sich aber aufgrund der realweltlichen Akzeptanz dieses Tuns, sicher, dass die Akademieführung damit kein Problem haben würde. Das fand ich, gelinde gesagt, grotesk.

Ein häufiger auftretendes Spannungsfeld, liegt in der sozialen „Hackordnung“ der Charaktere begründet. Grundsätzlich ist einer mittelalterlichen Ständegesellschaft zu eigen, dass Mitglieder höherer Stände über die niederen Stände „verfügen“ können. Ergänzend werden niedere Stände höheren Ständen in einer solchen Gesellschaft Respekt entgegenbringen. Beides passt natürlich in kleinster Weise in das realweltliche Wertekonstrukt. Wenn Spieler sich darüber mokieren und eine Ständegesellschaft nicht darstellen zu wollen, dann meiner Erfahrung nach, weil, zumindest implizit, Gleichberechtigung der Realität entsprechend eingefordert wird.

Diese realweltliche Forderung kann grundsätzlich um am einfachsten in die Spielwelt übertragen werden, indem die betreffenden Spieler Revoluzzer oder Vertreter anderer Kulturen spielen. Sie geht aber oft darüber hinaus und wird auch sonst vertreten.

Wie geht mit einem solchen Konflikt um? Im Grunde gibt es meines Erachtens drei Lösungen:

  1. Man passt die Spielweise dergestalt an, bis sie eine für alle hinreichende Kompatibilität mit realweltlichen Werten aufweist. So könnte die Ständegesellschaft aufgeweicht sein, vielleicht sogar teilweise mit historischem Vorbild, wo Kaufleute große Macht erlangen konnten. Oder die Spieler adliger Charaktere spielen diese liberaler.
  2. Es wird der Konflikt akzeptiert. Im besten Fall bleibt dieser im Spiel, also auf Charakterebene. Dies klappt vor allem dann, wenn, wie oben dargestellt, zum Beispiel ein Revoluzzer gespielt wird. Die Parteien versuchen sich dann mit ihren innerweltlichen Mitteln durchzusetzen. Im schlechtesten Fall bricht der Konflikt aus der Spielwelt auf die Realwelt aus und führt zu Kontroversen, wie „richtig“ zu spielen sei. Hierbei wird schnell über die Meinungshoheit bezüglich der Funktionsweise respektive Setzung der Spielwelt gerungen – man ist damit im Punkt 1.
  3. Man ist sich des Problems realweltlich bewusst und nutzt die Macht der Charaktere höheren Standes dazu, Anweisungen und dergleichen zu erteilen, welche die Spieler der Charaktere niederen Standes ohnehin wünschen.

Variante 3 ist vermutlich der Königsweg. Aber auch dieser ist nicht ohne Hindernisse. Zum einen erfordert diese Lösung Abstimmung zwischen den Spielern, damit klar wird, welche Anweisungen zu erteilen sind. Zum anderen darf nicht per se vorausgesetzt werden dass die Spieler der höhergestellten Charaktere auch tatsächlich genau die von Spieler der niedriger gestellten Charaktere gewünschten Anweisungen durch seinen Charakter geben möchte. In diesem Falle scheidet Lösung 3 aus.

Sowohl die Variante 1, wie die Variante 2 führen schnell zu der realweltlichen Frage, wie die Spielwelt zu gestalten ist. Dies kann und sollte natürlich grundsätzlich konsensual festgelegt werden – im Zweifel ist es für mich aber am Spielleiter, Festlegungen zu treffen. Er schafft, interpretiert und repräsentiert die Spielwelt. Bei seinen Festlegungen kann er Vorstellungen und Wünsche wie in Variante 1 angesprochen, berücksichtigen. Er muss es meines Erachtens aber nicht.

Nach einer solchen Festlegung und Kommunikation des Ergebnisses durch den Spielleiter steht einer innerweltlichen Lösung des Konfliktes im Sinne der Lösung 2 nichts im Wege. Dies dürfte auch rollenspielerisch am interessantesten sein.

Im Ergebnis plädiere ich damit für

  1. eine Festlegung und Kommunikation der Interpretation durch den Spielleiter vorab im Allgemeinen. Im Speziellen kann er natürlich, wenn die Spielsituation es verlangt, die maßgebliche Interpretation klarstellen.
  2. Hierbei sollen die Spieler anstreben, dass Situationen, bei denen ein Charakter und der Spieler düpiert werden, möglichst vermieden werden, und
  3. sind Konflikte innerweltlich zu lösen. Hierbei dient die Weltinterpretation des Spielleiters als Referenzrahmen.

Nach meinem Dafürhalten ist damit auch das Problem des Umgangs mit der einer Sklavenhaltergesellschaft in der Spielwelt gelöst: Der Spielleiter entschied in meinem Fall (wohl implizit), dass eine solche Gesellschaft Kritik akzeptiert und wertschätzt. Meine persönliche, anders gelagerte Vorstellung ist unerheblich.

Wichtig ist freilich, dass man den Interpretationsreferenzrahmen des Spielleiters vorab kennt, da dies Auswirklungen auf die Auswahl des Charakters haben kann. Auch können sich Spieler aufgrund der getroffenen Festlegungen im Extremfall entschließen, die Runde zu verlassen – oder, alternativ, sich freilich selbst als Spielleiter mit anderen Festlegungen vorschlagen. Im Ergebnis könnnten sich so alle mit dem Referenzrahmen anfreunden.