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Werteübertragung aus der Realität und „gerechte“ Bezahlung von Charakteren im Liverollenspiel – eine Erweiterung

In meinen letzten beiden Beiträgen versuchte ich, Lösungen für das mögliche Problem der gerechten Entlohnung von Charakteren und einer möglichen Übertragung realweltlicher Werte in die Spielwelt, in beiden Fällen beim Pen & Paper-Rollenspiel, aufzuzeigen.

Nunmehr soll es darum gehen, ob diese Lösungen auch für das Liverollenspiel denkbar sind. Dem vorgelagert ist sachlogisch die Frage, ob die Probleme überhaupt bestehen. Damit kommen wir zu

  1. „Gerechte“ Bezahlung von Charakteren im Liverollenspiel

Beim Liverollenspiel stellt sich die Frage nach einer (monetären) Entlohnung in der Regel nicht. Ich habe nur in Ausnahmefällen erlebt, dass die Lösung des von dem Veranstalter geplanten Plots eine Belohnung in Form von Münzen mit sich brachte.

Das ist nicht verwunderlich. Im Gegensatz zum Pen & Paper-Rollenspiel haben Münzen beim LARP praktisch keinen Gegenwert. Man kann in der Spielwelt mit diesem praktisch nichts erwerben. Selbst Nahrungsmittel müssen auch in Euro bezahlt werden. Nur Intime-Dienstleitungen sind mit dem Spielgeld bezahlbar. Hierunter fallen unter anderem einfache Botendienste, die Benutzung eines Badezubers oder gelegentlich Sölderdienste oder magische Dienstleitungen. In der Regel ist das Spielgeld daher vor allem als Einsatz für Intime-Spiele (vor allem Karten- oder Würfelspiele) wichtig.

Damit ist das Geld seiner wesentlichen Funktion beraubt. Es wird als Tauschmittel nicht oder nur für vereinzelte Dienstleistungen verwendet. Man kann aber keine Gegenstände, vor allem keine magischen, damit erwerben. Da alle Gegenstände ein realtweltiches Pendant haben, ist hierfür auch immer reales Geld zu entrichten. Daher besteht für niemanden die Möglichkeit mit viel Spielgeld den Charakter mit besserer Ausrüstung auszustatten, wie es beim Pen & Paper-Rollenspiel möglich ist.

Ergänzend ist zu sehen, dass das LARP-Geld „Fiat-Money“ par excellence ist. Man kann sehr günstig gewaltige Münzvorräte outttime kaufen und diese intime verwenden. Dies ist beim Pen & Paper-Rollenspiel naheliegenderweise nicht möglich (wenn man davon absieht, dass es bestechliche Spielleiter geben könnte). Allein dies macht die praktische Irrelevanz des Spielgeldes beim LARP deutlich.

Daher besteht de facto nur ein verhaltenes Interesse daran, Spielgeld zu haben. Es muss daher nicht gerecht verteilt werden – wenn es überhaupt als Belohnung in Betracht gezogen wird. Im Ergebnis ist auch ein spielerischer Vorteil reicher Charaktere fernliegend.

  1. Übertragung von realweltichen Werten in die LARP-Spielwelt

LARP ist in vielen Fällen, „anything goes Fantasy“. Ein einheitlicher Werte-Referenzrahmen liegt nicht vor und ist auch de facto auf Cons, die keine vordefinierte, allgemein bekannte Welt bespielen, nicht implementierbar.

Man ist daher gut damit beraten, bei der Einforderung von Werten sehr anspruchslos zu sein. Schon naturgemäß werden je nach realzeitlicher Vorlage die Werte der Charaktere divergieren (z.B. Revolutionszeit versus Mittelalter). Dazu kommen noch mögliche Ausprägungen in Bezug auf die Fantasy-Stoßrichtung. Zwischen dem Elfenbild des Hexer-Universums und dem Tolkiens liegen Welten. Mein Ratschlag ist daher, dass ein LARP-Charakter „in sich“ stimmig sein sollte und möglichst wenig auf die Akzeptanz bestimmter Setzungen außerhalb seiner selbst, oder seiner Gruppe, angewiesen ist. Im Extremfall ergibt sich sonst das Problem der LARP-Stasi.

Im Kern ist diese Empfehlung des Setzen eines Rahmens, der möglichst omni-kompatibel mit anderen Charakteren ist, der Ersatz dafür, dass der Spielleiter beim Pen & Paper-Rollenspiel einen solchen definiert.

Im Kern ist dieser Gedanke in den „zwei Regeln“ niedergelegt: Wenn Du angespielt wirst, zeige irgendeine plausible Reaktion. Spiel irgendwas, egal was, aber spiel. Und: Wenn Du jemanden anspielst, erwarte keine bestimmte Reaktion. Akzeptiere, was Dein Gegenüber draus macht.

Bei bereitwilliger Einhaltung der zwei Regeln ist die Frage nach dem Wertereferenzrahmen gelöst. Spieltechnische Effekte sind hiervon nicht zwingend abgedeckt.

Alternativ dazu kann man freilich geschlossene Setzungen für LARP-Veranstaltungen festlegen. Diese könnten zum Beispiel in der Hexer-Welt, oder im Herr der Ringe-Universum angesiedelt sein. Diese „Lösung“ funktioniert in weiten Teilen, weil hierdurch der Wertereferenzrahmen gesetzt wird. Sie scheitert aber insoweit, als dass selbst eine sehr ausgearbeitete Spielwelt wie Aventurien noch Diskussionen über den „richtigen“ Umgang mit allem Möglichen erforderlich zu machen scheint. Gerade deshalb diskutierte ich in meinem anderen Beitrag über Interpretationserfordernisse und mögliche Lösungen.

Die vermeintliche Idee, dass der LARP-Veranstalter, anstelle des Spielleiters im Pen & Paper-Rollenspiel, diese Setzungen vornimmt scheitert aus meiner Sicht aus zwei Gründen:

  1. Meiner Erfahrung nach befassen sich die Spieler vor einer Veranstaltung nicht oder kaum mit solchen Setzungen. Gelegentlich auch die Mitglieder der Spielleitung nicht.
  2. Eine LARP-Veranstaltung ist in vielen Fällen, und immer zunächst, eine einmalige Sache. Hierfür wird in aller Regel kein neuer Charakter entwickelt, schon allein deshalb, weil dieser in vielen Fällen auch den Erwerb neuer Ausrüstung erforderlich machen könnte. Es werden vielmehr schon bestehende Charaktere für die Veranstaltung verwendet. Solche Charaktere sind mit Setzungen, die von ihrem Charakter-Konzept abweichen, aber folgerichtig nur bedingt kompatibel. Da die Setzung der Veranstaltung vorab auch oftmals gar nicht gelesen wird (es ist ja nur eine Veranstaltung! – siehe Punkt 1.), ist diese de facto nicht durchsetzbar.

Aus meiner Sicht landet man dann wieder bei den zwei Regeln.

Nur im Falle des wiederholen Bespielens einer Reihe kann ein verbindlicher Referenzrahmen gesetzt werden. Damit wird mit der „anything goes Fantasy“ aufgeräumt.

In beiden Fällen zeigt sich für mich, dass insbesondere der wenig ausgeprägte Simulationismus ursächlich für die Unterschiede sind: Wo Geld de facto kaum oder keine Kaufkraft hat, kann man nicht erwarten, dass es relevant ist. Andererseits ist dies aus gameistischer Sicht ein Vorteil mit Blick auf die Probleme, die bei unterschiedlichen Finanzniveaus von Spielercharakteren entstehen können. Das objektiv kein Grund besteht, im LARP Geld haben zu wollen, kann auch narrativistisch kompensiert werden, in dem man sich über diese Tatsache spielerisch hinwegsetzt.

Im Falle der fehlenden Werte- oder Weltsetzung ist es nicht ganz so einfach. Ich wage zu behaupten, dass dies überwiegend ein Nachteil ist. Man kann dem mit gameistischen Ideen entgegentreten (was ich im Grunde mit meinem Vorschlag, dass jeder für sich einen in sich stimmigen Ansatz für seinen Charakter finden soll ohne fremde Charaktere zu tangieren, in gewisser Weise anrate). Am befriedigendsten dürfte die Festlegung eines (langfristig) verbindlichen Wertereferenzrahmens durch den jeweiligen LARP-Veranstalter sein.