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Die LARP-Stasi

Aufgrund von Corona, einem langen Auslandsaufenthalt und allgemeiner Trägheit besuchte ich Anfang September 2022 nach seit sechs Jahren zum ersten Mal wieder eine Liverollenspiel-Con. Im Gepäck hatte ich meinen Magier, der auch mein erster LARP-Charakter überhaupt ist.

Xarxordur von Zerabul („Xarxe“) ist damit rund 24 Jahre alt und seit ca. elf Jahren Großmeister. Xarxe ist ein Schwarzmagier. Kein böser Bube, der Jungfauen opfert oder Untote kommandiert – aber eben einer, der auch die coolen Zauber wirken möchte. Vor allem finde ich es viel lustiger, ohne moralische Einschränkungen wirre Theorien aufzustellen.

Nach dem Abitur arbeitete ich ein paar Monate lang als Tagelöhner in zahlreichen Unternehmen, um mir das Geld für den ikonischen Zauberstab Xarxes zusammenzusparen. Diese Zeit war in vielerlei Hinsicht lehrreich und der Stab mit großem Arbeitsleid erarbeitet.

Dieser Zauberstab verfügt über einen geschnitzten Echtholzstab. Etwa auf Schulterhöhe ist eine goldene Metallkonstruktion angebracht, die grob wie zwei aufrechte Flügel aussieht, die je von einem kugelförmigen Halbedelstein gekrönt werden (einer Rot, einer Blau, wie damals bei Diablo I). Zwischen den Flügeln ist ein gehörnter Schädel. Seit einer Elektrifizierung des Stabes im Jahre 2015 kann der Schädel mit einem MP3-Spieler sprechen und die Augen können dämonisch leuchten.

Eigene Aufnahme

Früher störten sich alle paar Jahre bestimmte andere Charaktere, wie Paladine oder Priester, an Xarxe. Das führte zu Ingame-Konflikten, die in der Regel damit endeten, dass meine waffenstarrenden Freunde die üblen Gesellen in Schach hielten. Im Laufe der Zeit wurde die LARP-Szene aber toleranter (oder egalitärer), und es störte sich keiner mehr an dem Stab. Ich fand dieses Konfliktspiel auch zunehmend lästig. Meine Freude am LARP ziehe ich im Wesentlichen daher, mit Xarxe absurde Theorien zu spinnen und anderweitig hochgestochen dummess Zeug zu reden.

Ich brachte den Schädel damals auch vor allem an dem Magierstab an, da die andere Idee, ein großer tropfenförmiger Edelstein, nicht finanzierbar war (das ganze Projekt war ohnehin unverschämt teuer – gerade für eine Abiturienten). Später stellte es sich heraus, dass die Sprechfunktion großartig ist und ich war froh, keinen Edelstein angebracht zu haben.

Xarxe ließ im Wege seiner Großmeisterprüfung einen Dämonen in den Stab einfahren lies – das finde ich recht charmant, weil der Charakter dadurch erneut einen gewissen mysteriösen und leicht größenwahnsinnigen Anstrich erhält, zum anderen der Schädel aber eine spieltechnische Bedeutung erlangte. Ich finde das auch nicht „böse“, sondern klasse, weil der Dämon so (in der Logik der Spielwelt) keine üblen Taten mehr vollbringen kann. Zudem ist die Stimme des MP3-Spielers beziehungsweise des Schädel natürlich der Dämon. Die sarkastischen Kommentare haben nicht nur mir schon häufig große Freude gemacht! Insgesamt ist der Magierstab damit ikonisch für meinen Charakter geworden.

Vor ein paar Wochen war es jedoch wieder soweit: Ein anderer Charakter, samt Gefolge, störte sich an meinem Stab und damit an meinem Charakter. Da ich diesmal fast alleine war, konnten die Jungs die Rabauken nicht vermöbeln und ich hatte ein Problem. Mir wurde der Stab weggenommen, um ihn zu vernichten. Ich wollte noch eine rechtsdogmatische Diskussion anfangen (mein Magier ist auch Richter und es gibt sogar ein Gesetzeswerk!), aber die anderen Charaktere (oder auch Spieler) wussten möglicherweise nicht, was Kollisionsrecht ist, oder wollten mal „die Harten“ markieren. So wurde aus dieser, wie ich finde, sehr unterhaltsamen Idee, nichts.

Letztlich bekam ich, beziehungsweise Xarxe, den Stab am kommenden Tag zurück, weil Xarxe Informationen hatte, die für die Lösung des Plots erforderlich waren und er sich im Wald versteckt hatte. Um den Plot noch zu lösen, wurde daher vereinbart, dass er unbehelligt bleibt aber an der Lösung mitwirkt. Dennoch wurde Xarxe gebeten, den Stab nicht mehr mit mir zu führen, um die Gemüter zu beruhigen. Dem kam ich nach.

Ex post habe ich mich über das ganze Erlebnis jedoch wiederholt geärgert. Im Kern geht es hierbei darum, dass ich es übergriffig finde, dass andere Spieler meinen, über die Darstellung meines Charakters entscheiden zu wollen. Dafür fahre ich nämlich nicht drei Stunden zur Con und opfere ein langes Wochenende. Auch habe ich den Stab sicher nicht dafür in unzähligen Nachtschichten erarbeitet.

Mir ist klar, dass diese anderen Spieler sich darauf beziehen, dass sie eben ihre Charaktere konsequent gespielt haben. Ich finde das sogar grundsätzlich gut. Ich möchte ausdrücklich jeden bekräftigen, nicht aus der Rolle zu fallen. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: Der Gestaltung der Rolle. Dies ist eine reine Outtime-Entscheidung.

Dies wird sonst auch so gesehen: Würde jemand einen Sklavenhändler spielen und daher, konsequenterweise, möglichst viele Spielercharaktere einfangen oder würde ein Nekromant erschlagene Spielercharakter nicht heilen, sondern töten um sie, konsequenterweise, als Untote in seine Dienste zu zwingen, wäre das Verständnis für konsequentes Spiel plötzlich vermutlich überschaubar.

In ähnlicher Weise wird ja auch gerne gefordert, dass Diebe nicht anderer Charaktere Sachen dieben, sondern sich hierfür etwas mitbringen. Und wer einen König spielen will, muss seine Dienerschaft, Gefolge und dergleichen ebenfalls in Form anderer Spieler dabei haben.

Infolgedessen frage ich mich, warum die Paladin-Stasi nicht auch ihre eigenen Opfer mitbringen sollte, die sie dann nach Lust und Laune schickanieren kann.

Der vermeintliche Hinweis, dass Leute wie ich eben keinen Schwarzmagier spielen sollten, verfängt nicht: Mein Charakter hat nämlich mit kein derartiges Outtime-Problem. Die Rolle ist nicht, im Gegensatz zu der Paladin-Stasi, darauf ausgelegt, andere Figuren herabzusetzen. Der Charakter ist vielmehr in einer Weise ausgestaltet, dass er nervt, aber niemandem etwas antut. Schon gar nicht nimmt er anderen Charakteren etwas ab oder erzwingt ein bestimmtes Verhalten. Das ist bei der LARP-Stasi anders: Deren Charaktere sind so ausgestaltet, dass sie auf Kosten Anderer Profilierung suchen. Deren Spieler wären also gut beraten, kompatible Charaktere zu erschaffen.

Für mich wird fortan die Lösung wie folgt aussehen: Da ich ja einen sehr fähigen Großmeister-Magier spiele, werde ich mich in einer künftigen ähnlichen Situation einfach mit Hilfe eines Knickfokus in Nebel auflösen und mich anderswo zurück materialisieren. Mein Kostüm beinhaltet eine Mini-Nebelmaschine, so dass die Darstellung gut gelingen wird. Hierdurch kann die LARP-Stasi so konsequent sein wie sie will – sie wird stets konsequent daran scheitern, mir ihr Spiel aufzuzwingen.

Eine Freundin, die beruflich in der LARP-Szene aktiv ist, sagte mir in diesem Zusammenhang, die Lösung sei „nicht konsequent sondern interessant“ zu spielen. Das klingt gut. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob meine Lösung das abbildet.

Änderung am 28. Januar 2023: Bild eingefügt