Bild des Monats

Von (meinen) Schwierigkeiten bei der Charaktererschaffung

Meistens bin ich beim Pen & Paper-Rollenspiel, allen voran bei DSA, Spielleiter. Die Frage der Charaktererschaffung stellt sich daher so oft für mich nicht.

Vor einigen Wochen jedoch, ist etwas ungewöhnliches geschehen: Es soll eine neue DSA-Runde gegründet werden  – und ich darf Spieler sein!

Also musste ein Charakter her. Was also tun?

Die Genese eines Charakters ist bei mir eine schwerfällige Angelegenheit. Anfangs dachte ich bei der Charaktererschaffung oft von den Fähigkeiten her, was ich spielen möchte („soll mit der Armbrust schießen können“). Später standen die Wesenszüge im Vordergrund, wie der Charakter zu spielen sein wird. Heute möchte ich, dass diese Wesenszüge aus dem Hintergrund erwachsen, der gleichsam Motivation und Anknüpfungspunkte für mögliche künftige Erlebnisse, aber auch Erklärung für die Fähigkeiten des Charakter ist. Letztendlich muss man sich das wie eine Iteration vorstellen, bei dem erwünschte Wesenszüge und Hintergrund einander gegenseitig beeinflussen, bis sie in einem Gleichgewicht sind. Die Fähigkeiten auf dem Charakterbogen entstehen dann quasi als Abfallprodukt in einem nachgelagerten Schritt (dann, wenn man den Charakter auf Basis des vorstehenden regeltechnisch erstellt).

Hierbei ist mir wichtig, dass bei der Hintergrundgeschichte das gewisse „Extra“ dabei ist. Was das ist, ist einzelfallabhängig. Ein dunkles Geheimnis, ein heimliches Streben, eine Schuld, eine unterbewusste Angst – die Möglichkeiten sind mannigfalig.

Weil viel bedacht werden will, arten Hintergrundgeschichten deshalb in der Länge mitunter aus. Ein guter Freund von mir, der ähnliche Überlegungen bei der Charaktererschaffung anstellt, schrieb für einen Charakter jüngst 30 vollbeschriebene Seiten Vorgeschichte. Zugegeben – dieser Charakter stieg auf Stufe 17 (DSA) ein – es musste also schon naturgemäß etwas mehr sein. Gleichwohl merkt man bei seiner Darstellung des Charaktervorlebens deutlich, dass es nicht einfach irgendein Retortenheld ist, sondern eine plastisch entwickelte Persönlichkeit (in diesem Fall im Übrigen eine Hexe).

Eine derartig ausgearbeitete Hintergrundgeschichte gibt einen großartigen Rahmen an die Hand, wie der Charakter zu spielen sein wird. Nebenbei erhöht sie dadurch meines Erachtens die „Glaubwürdigkeit“ der Charakterdarstellung enorm. Eine gut ausgearbeitete Hintergrundgeschichte ist daher unbedingt empfehlenswert.

Ungeachtet der Tatsache, dass ich diese Ansprüche an meine (wenigen) Charaktere beziehungsweise deren Vorgeschichten stelle, finde ich die Vorbereitung, das Obenstehende im Blick, äußerst mühsam. Dies liegt weniger am Schreiben selbst. Für mich liegt die Schwierigkeit darin, im Vorfeld den Charakter gedanklich aufzubauen und mit der Hintergrundwelt zu verweben. Vor allem geht es um den Einbau des gewissen „Extras“ – das ist oft bei der ersten Idee noch nicht habe.

Fast unnötig zu erwähnen, dass ich Forderungen, ein Charakter dürfte regelseitig in der Erstellung nur ein paar Minuten benötigen, nur völliges Unverständnis entgegenbringen kann.

Zudem wird deutlich, warum ich ausgearbeitete Spielwelten schätze (die ich selbst freilich auch kennen muss!) – nur deren vielschichtigen Hintergrundwelten ermöglichen eine Verzahung der Charaktervorgeschichte mit der Spielwelt und machen das „Extra“ möglich oder zumindest einfacher in der Implementierung.

Ein Charakter, auf dessen Geschichte ich sehr stolz bin, hatte daher eine Entstehungsphase von über vier Jahren. Von der ersten Idee (ein Uhrmacher) bis zur, für mich, zündenden Idee, die das „Extra“ darstellte, um ihn für mich zu komplettieren. Dann ging es aber schnell: Die zündende Idee hatte ich nächtens um kurz vor halb vier (es war eine Nacht auf Montag) – und um 8 Uhr standen zahlreiche Seiten – wenn auch noch nicht „druckreif“.

Soviel Zeit hatte ich diesmal, für die neue Runde, nicht. In wenigen Wochen schon sollte es losgehen! Ich musste mich daher eines Kunstgriffs bedienen, dessen Ausgang ungewiss ist: Ich werde einen Charakter spielen, der bereits 25 (echte) Jahre alt ist. Es handelt sich um die Magierschülerin meines Magiercharakters, den ich als ich Teenager spielte. Diese Schülerin hat nunmehr ihre Ausbildung abgeschlossen und ist regeltechnisch auf Stufe 1 (im aventurischen Jahr 1032 BF).

Die Schwierigkeit in diesem speziellen Fall war, die damaligen Erlebnisse, die man heute nicht mehr genauso replizieren würde (man könnte von „Jugendsünden“ sprechen), an die jetzigen Ansprüche anzupassen ohne sie zu verfälschen. Zudem musste ich mir viele Gedanken machen, wie die Wesenszüge dieses vormaligen Halb-NSC von damals heute wohl sind. Bedingt durch die erhebliche Vorgeschichte und Vorarbeit (teilweise auch schon verschriftlicht) war dies aber kurzfristig zu schaffen. Jedenfalls hatte ich zahlreiche Ideen, die ich schließlich im Wesentlichen auch zu Papier brachte und damit gedanklich noch besser verankerte.

Als Nebeneffekt kamen zahlreiche Erinnerungen hoch. Auch sprach ich mit einzelnen Mitspielern von damals – insgesamt eine tolle Erfahrung.

Nur die Zinnfigur steht noch aus – aber das wird bis zum zweiten Termin auch geschafft sein. Und wer weiß, ob es beim ersten Termin überhaupt Kämpfe gibt oder sonst eine Figur benötigt wird?

Schwieriger noch finde ich die Charaktererschaffung beim LARP. Ergänzend zu dem vorstehenden muss man nämlich auch noch die dem Liverollenspiel innewohnenden Unzulänglichkeiten bei der Charaktererschaffung berücksichtigen. Und vor allem auch die realweltiche Ausrüstung beschaffen. Das kann zum einen teuer sein. Zum anderen nervenaufreibend, weil die LARP-Händler oft katastrophal (oder gar nicht) organsiert sind; gerade wenn es um Einzelanfertigungen geht.

Zum Glück kann man in aller Regel davon ausgehen, dass einem ein LARP-Charakter wirklich lange erhalten bleibt.

Dass ist beim Pen & Paper-Rollenspiel nicht bei allen Systemen so. Mit Blick auf meine vorstehenden Mühen wird glaube ich klar, warum ich um Chutulu bislang stets einen großen Bogen machte – angeblich ist es im System angelegt, dass die Charaktere sterben oder verrückt werden. Das möge meiner Magierschülerin hoffentlich nach – in gewisser Weise – 25 Jahren Vorbereitungszeit nicht wiederfahren.