Bild des Monats

Von einem, der auszog, auf ein LARP zu gehen

Irgendwann in der Mittelstufe kamen zwei meiner Freunde mit dem Liverollenspiel in Berührung – und das fanden wir alle gleich großartig! Wir übten fechten (mit Stöcken, nur später mit Polsterwaffen) und joggten sogar, um unsere Helden gut darstellen zu können. Denn wir wollten zunächst im Grunde unsere DSA-Charaktere spielen oder hatten zumindest das Bild einer Heldengruppe vor Augen. Ich wollte einen Zwerg spielen. Und so zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ein Kettenhemd beschaffe (geworden ist es nur eine Lederweste), sowie eine Zweihand-Doppelkopfaxt bekomme. Letztlich bin ich nie als Zwerg aufs Liverollenspiel gegangen – ich konnte die Ausrüstung nicht zusammenbringen, wähnte mich nicht gut genug im Kampf und war zudem zu groß. Als ich 1999 dann zum ersten Mal auf einem „richtigen“ LARP war, merkte ich zudem, dass es ohnehin alles ganz anders ist, als ich es mir vorgestellt hatte…

1.) Fast jeder ist Protagonist

Ich hatte, wie erwähnt, eine Heldengruppe vor Augen und wollte meinen DSA-Charakter spielen. Das war nunmehr ein Magier (und kein Zwerg mehr), der mit dem Gasthaus „Zum lachenden Shruuf“ übrigens eine enge Verbindung hat. Ich dachte, wir würde auf dem LARP ähnliche Abenteuer erleben wie am Tische zuvor.

Das ist grob unzutreffend.

Naturgemäß fahren nämlich zum LARP fast nur „Helden“ – man ist also einer vor Vielen und keineswegs zwingend im Zentrum des Geschehens, wie es beim Tischrollenspiel der Fall ist. Allerdings nehmen sich schon sehr viele sehr wichtig und erwarten ihren Charakteren gegenüber ein bestimmtes Auftreten. Das führt mich zum Zweiten…

2.) Auf dem LARP ist „Anything goes Fantasy“

Die überwiegende Zahl der Cons spielt nicht in einem geschlossenen Setting. Das Conquest of Mythodea zum Beispiel spielt zwar in einem bestimmten Setting – es wird aber keineswegs darauf geachtet, dass Charaktere, die aus einer anderen Welt kommen, an der Veranstaltung nicht teilnehmen. Es kann also Jeder mit Allem dorthin – und regelmäßig auch auf andere Cons. Von diesem Regelfall wird im Folgenden ausgegangen – auch weil ich es kaum anders kenne.

Daher sind die LARPs oft ein Gemisch von Epochen, Welten und dergleichen. Es kann gut sein, dass sich ein rechtschaffender Ritter plötzlich einem Mob aus dem Zeitalter der Revolution gegenübersieht. Oder dass römische Legionäre mit Musketen angegangen werden.

Es ist also ratsam, möglichst wenig Erwartungen an eine Con oder die Erlebnisse dort zu haben. Jeder hat seinen eigenen Mikrokosmos und diese Kosmen sind oft nicht einmal in den Grundlagen aufeinander abgestimmt.

Hieraus ergibt sich auch, dass es oft eine andere Erwartungshaltung an das „Fantasy-Level“ gibt. Es gibt Spieler, die lehnen zum Beispiel mit großer Inbrunst Lederhosen ab – weil solche im Mittelalter (offenbar) nicht getragen wurden. Da Lederhosen aber von zahlreichen ikonischen Fantasy-Helden getragen werden (Herkules in der TV-Serie, Conan in den Filmen, Faramir in der Herr der Ringe-Verfilmung..), ist für mich gut nachvollziehbar, dass andere Spieler, diese für sehr stimmig halten.

Auch bestehen, wie angedeutet, ganz andere Vorstellungen von dem, was man spielen kann. Besonders gut in Erinnerung ist mir eine Spielerin, die einen Gott-Imperator spielte, beziehungsweise spielen wollte. Die hiermit verbundenen Erwartungen wurden von den anderen Spieler (wenig verwunderlich) nicht erfüllt. Im Gegenteil – diese fanden das Konzept in jeder Hinsicht schlecht. Auf dem Conquest gab es früher ein Lied unter Nichtspielercharakteren, dass diese auseinanderfallenden Vorstellungen überspitzt beschreibt:

„Hast mich gar nicht kommen sehen,
bin ein Nachtelf-Paladin,
Mein Flammenschwert macht Vier-Direkt –
SL schaff‘ diesen Spieler weg“

Auch wenn unsichtbare, flammenschwertschwingende Nachtelfen-Paladine sicher (meist) überzeichnete Extremfälle sind, wird hoffentlich klar, dass die Vorstellungen, was möglich, sinnvoll oder auch nur verständlich ist, weit auseinandergehen.

Hart trifft es auch die, die irgendeine Form von klerikalem Charakter spielen. Da die Gottheit im Zweifel keine kennt (manchmal hat man einen Outtime-Vorteil, wenn man zum Beispiel eine DSA-Gottheit wählt), ist jede Form der Verehrung unwahrscheinlich.

3.) LARP-Plots sind in der Regel unplausibel motiviert

Als LARP-Orga steht man initial vor der Frage, wie man es schafft, diese Herrscharen von Individuuen aus unterschiedlichen Welten, Zeiten und Dimensionen nun „intime“ in die Länder zu schaffen, in der die Con spielt. Hierzu werden die großen Probleme (wie Zeit und Dimension aber auch Geographie) üblicherweise übergangen und zum Beispiel Turniere bemüht, zu denen alle eingeladen werden. Auch sehr geläufig sind Hilfegesuche zum Beispiel eines Adligen (den freilich keiner kennt). Letztlich ist es aber so, dass sehr viele Spielercharaktere de facto keinen Grund haben, auf der Veranstaltung zu sein – weil sie vielleicht an keinem Turnier teilnehmen, realiter nie eingeladen werden würden oder auf ein bloßes Hilfsgesuch eigentlich nicht reagieren.

Dennoch sollen im nächsten Schritt diese sich fremden Weltenbummler unter Einsatz ihres Lebens gemeinsam den Plot lösen. Auch hier ist von einem zu tiefergehenden Hinterfragen dringend Abstand zu nehmen. In vielen Fällen haben die Charaktere nämlich keine, wirklich keine, Motivation, dies zu tun. Zugegeben: Die kann man sich Outtime vorab zusammenstricken, wenn man den Charakter erstellt oder auch dann überlegen, wenn man sich anmeldet.

4.) Die Darstellung ist oft mäßig

Viele Gewandungen (das sind die Kostüme) sind wirklich klasse. Ich persönlich finde aber auch, dass viele einfallslos sind – jedoch mittlerweile wirklich nur noch selten welche handwerklich schlecht. Darüber hinaus muss man in aller Regel schon Abstriche machen: LARP finden gerne auf Burgen statt – ganz klassisch ist hier die Burg Bilstein zu nennen. Diese Burg sieht schön aus und die Außenanlagen ist in weitern Teilen auch so gestaltet als ob sie in einem Fantasy-Film Platz finden könnten. Allein – es gibt auch Innenräume und bei denen ist es überwiegend anders: Gekachelte Jugendherbergs-Flure mit hellen Holztüren sind nun mal keine stimmigen Räumlichkeiten für einen epischen Kampf gegen Orks oder für phantastische Begegnungen mit Feen.

Und auf Cons gibt es praktisch nie Reittiere (ich kenne löbliche Ausnahmen!). Dabei wären gerade Pferde für Ritter mehr als nur stimmungsvoll.

Auf Zeltcons ist es meiner Meinung nach im Durchschnitt besser um das Ambiente bestellt. Die meisten Zelte sind „Intime“-Zelte, viele auch stimmig eingerichtet. Aber auch hier gibt es Tiefpunkte. Mein Negativ-Favorit in dieser Hinsicht ist das sogenannte Flatterband. Das ist eine etwa auf Brusthöhe gespannte Schnur, die eine Palisade (sic!) anzeigen soll.

Grundsätzlich gibt es zudem das damit verwandte Phänomen des „Telling“. Hierbei wird, aus Ermangelung einer Darstellung, flux von der Spielleitung (im Einzelfall auch von anderen) erzählt, was geschieht – willkommen im Pen & Paper-Rollenspiel (allerdings ohne Pen und Paper).

„Telling“ ist freilich höchst unpopulär. Dennoch zeigt es die (natürlichen) Grenzen von LARP auf. Vor vielen Jahren war ich Zeuge eines Gespräches im dem es darum ging, wo die Immersion besser wäre – beim LARP oder beim Pen & Paper-Rollenspiel. Mit Blick auf das Vorstehende sollte klar sein, dass diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann: Beim LARP werden die Möglichkeiten oft nicht genutzt (Stichwort: Flatterband) oder die Darstellung ist nicht oder nur mit prohibitivem Aufwand möglich (Teleportation bzw. fliegende Teppiche) und die Immersion kann geringer sein, als sie beim Pen & Paper-Rollenspiel üblicherweise ist. Schließlich ist die Unzulänglichkeit viel offenbarer und trifft zudem auf höhere Erwartungen. Das Pen & Paper-Rollenspiel kennt keine Darstellungsgrenzen, ist jedoch regelmäßig weniger immersiv in seiner grundsätzlichen Anlage.

Warum dennoch LARP?

Allen Schwächen zum Trotze ist LARP dennoch eine tolle Sache. Allein der Geruch des Leders der Ausrüstung, das Schmecken der Lagerfeuer in der Luft lassen Vorfreude aufkommen. Die Stimmung, die zum Beispiel eine Taverne mit einem Barden mit sich bringt, ist sonst unerreicht. Gefährliche Situationen sind auch viel authentischer bedrohlich: Ein dunkler Wald, in dem man sich tatsächlich verlaufen hat und in dem es Untote gibt, ist etwas anderes, als dies, vergleichsweise theoretisch, bei Tischrollenspiel zu erleben. Auch geht ein LARP Tage, nicht nur Stunden. Und, idealerweise zumindest, ohne Pause. Viele Situation sind urkomisch – ohne aus der Welt zu fallen. Hervorheben möchte ich auch die Zeit, die man mit Freunden verbringt und einen die Freundschaft nochmals anders, vielleicht sogar intensiver erfahren lässt. Und diese Erinnerungen halten ewig – gerade auch wegen der oben geschilderten Unzulänglichkeiten. Wie sagte jüngst ein guter Freund von mir: „Auch wenn die Con nicht so geil war – irgendwie war’s geil!”