In einem Beitrag kürzlich überlegte ich, wie das Editionsproblem in der Rollenspielbranche zumindest zurückgedrängt werden könnte. Diese Lösung ist für Tabletop-Systeme nicht unmittelbar möglich: Die dort skizzierte Idee, digitale Angebote zu erstellen und diese in Form eines Abonnement-Modells den Spieler zugänglich zu machen, um dauerhaft Einnahme zu generieren, ist bei Tabletop-Systemen nicht denkbar. Die Hauptprodukte, über welche die Umsatzerlöse genieriert werden, die Miniaturen, sind nicht prima facie digitalisierbar, ohne dabei die Branche hin zu Videospielen zu verlassen.
Doch der Reihe nach. Nähert man sich den beiden Märkten mikroökonomisch, so handelt es sich in beiden Fällen um quasi „bedingte“ Monopole: Sobald die Wahl für ein System getroffen wurde, kommt der Konsument ohne Weiteres nicht mehr heraus, ohne die bisherigen Ausgaben zumindest stark „abschreiben“ zu müssen. Bedingt dadurch, dass es sich letztlich um Gesellschaftsspiele handelt kommen zudem Netzwerkeffekte zum Tragen: Wenn die ganze Spielgruppe ein System spielt, ist ein Wechsel auf ein anderes sehr erschwert, da jeder Teilnehmer die Kompatibilität mit seinen Mitspielern wahren möchte. Nur falls die ganze Gruppe wechselt (und dadurch jeder die „Abschreibung“ erduldet), ist ein Systemwechsel möglich. Insofern haben Rollenspiel- und viel mehr noch Tabletop-Systeme Charakteristika natürlicher Monopole (bei denen es natülich ist, nur von einem Anbieter bereitgestellt zu werden). Hierfür spricht auch die hohe Konzentration der Spielerschaft beider Märkte auf je ein System (Dungeons & Dragons beim Rollenspiel, Warhammer 40k bei Tabletop).
Ergänzend dazu kommt die lange Lebensdauer der Produkte. (Rollenspiel-) Bücher halten sich bei guter Pflege sehr lang (wer hat nicht auch noch sein erstes Rollenspielbuch?); Miniaturen ebenfalls – vielleicht sogar noch länger. Es ist daher naheliegend, dass eine Sättigung eintritt, die durch (mehr oder weniger) Ergänzungsprodukte nur verschoben aber nicht aufgehalten werden kann. Irgendwann ist die Menge an Material zu groß. Dies schreckt zumindest Neueinsteiger ab. Gerade diese sind aber zwingend erforderlich, weil die Altspieler der Sättigung halber den Erwerb neuer Produkte sukzessive einstellen.
Im Ergebnis sind damit zwei Ursachen für diese spezielle Marktkonstellation erkennbar: Die Quasi-Monopol-Situation und die Langlebigkeit der Produkte.
Für das Rollenspiel empfahl ich, von dieser Warte gesehen, de facto die Langlebigkeit auszuschalten, weil nur bei fortlaufendem Bezug des Abonnements bestimmte „Funktionen“ des Spiels zur Verfügung stehen.
Beim Tabletop könnte der Weg ein anderer sein. Ich könnte mir vorstellen, dass beim Tabletop das Monopol kippt: Aufgrund von 3D-Druckverfahren können Figuren kostengünstig selbst hergestellt werden. Im Falle „offizieller“ vom Hersteller gestaltete (und damit urheberrechtlich geschützte) Mustern ist dies freilich rechtlich unzulässig. Wie ich jedoch aus einem Youtube-Video „Exxes“ und einem Antwortvideo des „Weekend Wizards“ erfuhr, ist die Tabletop-Gemeischaft gespalten: Ein Teil (ob dies die Mehrheit ist, ist mir unklar), druckt offenbar die Miniaturen auf dem heimischen 3D-Drucker; die Vorlagen hierfür sind scheinbar im Internet verfügbar. Damit ist das Monopol, dass der Hersteller bislang innehatte, aufgebrochen.
Hier sind für mich Parallelen zum Musik- und Filmmarkt erkennbar: Die Zeit der illegalen Tauschbörsen im Internet war für die Branchen disruptiv – der Verkauf von physischen Medien ging stark zurück und ein Abonnement-Modell stellte sich ein. Da es nunmehr mehrere Anbieter für die Medien gab, ist (zumindest im Durchschnitt) der Preis gesunken: Ein Spotify-Premium-Konto kostet am Tage, an dem diese Zeilen verfasst wurden im schlechtesten Fall 9,99 Euro pro Monat. Dafür kann man nicht mal eine CD kaufen. Auch wenn der Vergleich insofern nicht vollkommen ist, als dass die CD nicht nur für einen Monat zur Verfügung steht, ist für ich evident, dass der Preis des Musikkonsums gefallen ist.
Für Tabletop-Systeme könnte dasselbe gelten: Zwar wird sich im ersten Schritt kein derartiges Abonnement-Modell für Figuren einstellen können (da die Produkte eben nicht elektronisch sind). Die Erhöhung des Angebots (obgleich auf illegaler Weise) wird jedoch einen Preisdruck mit sich bringen. Im Extremfall könnte auch die Marge für die Herstellung (nicht die Gestaltung) der Figuren, dermaßen unter Druck geraten, dass alle Kunden die Möglichkeit des 3D-Drucks zu Hause fordern. Dann müssten die Tabletop-Hersteller die Vorlagen digital zur Verfügung stellen. Der Weg zum reinen Abonnement-Modell wäre frei.
Freilich erfordert das von mir skizzierte Szenario diskretionäres Verhalten der Kunden (zu dem ich nicht aufrufe, sondern es nur als Möglichkeit darstelle) – das Aufbrechen des jeweiligen Hersteller-Monopols wird vermutlich nur unrechtmäßig gelingen. Allein, ökonomische Konsequenzen scheren sich nicht um die Rechtmäßigkeit der Ursachen. Die Netzwerkeffekte dürften das von mir dargestellte Szenario begünstigen: Ich kann mir kaum vorstellen, dass Spielern, die im privaten Umfeld illegal produzierte Figuren nutzen (sofern dies überhaupt erkennbar ist!), die Teilnahme am Spiel verweigert wird. Es ist also insofern mit keinen Sanktionen zu rechnen – im Gegenteil: Die Spielerschaft könnte, bedingt durch den günstigeren Zugang, sogar größer werden, was, für sich genommen, begrüßt werden dürfte. Schnell könnten illegal hergestellte Miniaturen Realität oder sogar die Regel werden. Im Übrigen: Realiter machen sich (zu meinem Missfallen) nicht wenige nichts aus sog. Proxys, die eingesetzt werden, wenn die eigentlich richtige Figur nicht verfügbar ist. Warum sollte bei illegalen Miniaturen (vor allem wenn diese, anders als Proxys, nicht erkannt werden), anders verfahren werden?
Man könnte einwenden, dass die Hersteller dies nicht zulassen werden und mit Anwälten und Abmahnungen ihr gutes Recht durchsetzen werden. Mir ist völlig klar, dass dies versucht werden würde. Mit Blick auf das historische Scheitern zum Beispiel der Musikindustrie im gleicher Sache, könnte ein solches Unterfangen jedoch vergeblich sein. Zumal die Tabletop-Branche weitaus (!) weniger finanzkräftig ist, als die Musikindustrie.
Würde daran die Tabletop-Industrie zugrunde gehen? Nein. Freilich würden die Margen einbrechen, weil der entscheidende Umsatz- und Gewinnbeitrag aus dem Verkauf von Miniaturen wegfiele. Gleichwohl könnte noch über Regelwerke und digitale Vorlagen für die Miniaturen eine Monetarisierung stattfinden. Die digitalen Vorlagen für die Herstellung der Modelle auf Kundenseite wären im Preise deutlich niedriger, so dass der Anreiz, diese widerrechtlich zu beziehen, erheblich vermindert wäre. Auch bei der Musikindustrie wählen heute viel mehr das Spotify-Album als die Raubkopie. Und vielleicht kauft ja auch noch einer die Figur vom Hersteller – so wie heute auch noch CD verkauf werden.
Um zurück zur Mikroökonomie zu gehen: Es gäbe ein neues Gleichgewicht mit höherer Konsumenten- und niedrigerer Produzentenrente.