Rollenspiel

Eine Lösung für das Editionsproblem – oder: Die Zukunft des Rollenspiels

In meinem ersten Beitrag beschwerte ich mich ausführlich über die „Plage“ neuer Editionen. Ich schilderte dort auch, dass diese für Verlage wichtig sein können, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das aus meiner Sicht (der Sicht des Marktgläubigen) frappierende ist, dass bei Rollenspiel- und Tabletop-Systemen nach einiger Zeit die Präferenzen von Kunden und Produzenten diametral auseinander liegen. Während die Kunden mit einem System möglicherweise noch glücklich sind, „braucht“ der Produzent eine neue Edition, um Umsatz zu erzielen.

Als Ökonom fragte ich mich daher lange, wie dieses Dilemma gelöst werden kann. Einen ersten Ansatz zeigte ich im ursprünglichen Artikel auch auf: Der Wechsel auf eine Abonnement-Modell. In den letzten Monaten habe ich diesen Gedanken weiter verfolgt. Viel Dank geht an das Team vom eskapodcast, die bereits vor einiger Zeit eine Folge veröffentlicht hatten, die ich nun hörte und viele ähnliche Gedanken aufnehmen konnte.

In dieser Folge wurden zunächst Parallelen zu anderen Medieninhalten gezogen, die mittlerweile im in der Regel im Abonnement konsumiert werden. Genannt wurden Musik, Filme und auch Videospiele. Warum sollte nicht also auch Rollenspiele diesen Weg gehen?

Meines Erachtens ist das eine solche Entwicklung in der Tat wahrscheinlich und unter einem bestimmten Blickwinkel auch wünschenswert. Wenden wir uns zunächst dem Editionsproblem zu. Gelänge es über eine Abonnement-Modell für die Verlage einen dauerhaften Zahlungsstrom zu generieren, wäre das Editionsproblem lösbar. Inhalte könnten sein:

  • Zugriff auf alle Regelwerke. Diese könnten so miteinander verknüpft sein, dass verwandte Regeln nur einen Klick entfernt sind.
  • Zugriff auf weitere Inhalte, wie Karten, Abenteuer, Regionalbeschreibungen – ebenfalls mit dem vorstehenden Vorteil. Vor allem bei Stadtplänen könnte bei einem Klick auf ein Haus dessen Beschreibung folgen.
  • Sofort einsetzbare Inhalte für Programme wie VTT oder roll20.
  • Passende Hintergrundmusik.
  • Ein Verwaltungsprogramm für den Spielleiter, dass nicht nur die vorstehenden Funktionen umfasst, sondern auch eine Datenbank mit Nichtspielercharakteren.

All dies freilich regelmäßig aktualisiert.

Des Weiteren könnte man anbieten:

  • „Miete“ von kleineren Gebieten durch Spieler mit entsprecherr Möglichkeit, auf die Welt Einfluss zu nehmen.
  • Einfügen von Spielercharakteren (gegen eine monatliche Gebühr) in die Welt, die damit offiziell werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass Angebote wie die beiden Letzten nicht nur Freude hervorrufen. Gleichwohl glaube ich, dass gerade diese Angebote für viele andere reizvoll sind.

Bei einer geschickten Preisgestaltung bestünde somit die Möglichkeit, das Editionsproblem zu lösen. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahlungsbereitschaft der Spielerschaft sehr uneinheitlich ist. Daher wären unterschiedliche Pakete hilfreich.

Als Nebeneffekt würden weitere Probleme gelöst werden:

  • Digitale Inhalte sind nie „vergriffen“. Wer einfach nur alte Abenteuer spielen möchte, braucht hierzu nicht mühevoll auf eBay zu suchen, sondern kann zum Beispiel das „Retro-Paket“ dazubuchen – und schon stehen alle Abenteuer zur Verfügung.
  • Rollenspielwerke sind selten arm an Fehlern. Redaktionelle Fehler können in digitalen Produkten sehr einfach korrigiert werden.
  • Notorisch schlecht strukturierte Werke werden durch Hyperlinks deutlich zugänglicher.
  • Denkbar wäre es auch, unterschiedliche Versionen von Werken anzubieten. Ein Freund von mir, der sich wirklich sehr an sog. Gender-Sprache stört, forderte jüngst, alle DSA-Werke (auch) orthographisch korrekt und nicht „gegendert“ anzubieten, damit er Letzterem entkommen kann. Eine solche Idee lässt sich bei digitalen Produkten viel einfacher und damit kostengünstiger umsetzen. In ähnlicher Weise könnten fallweise auch Jugendschutzüberlegungen berücksichtigt werden.

Gleichwohl stehen diese Idee Nachteile gegenüber:

  • Gerade Fantasy-Rollenspiel ist mit der digitalen Welt meines Erachtens nur bedingt vereinbar. Realiter wird versucht, am Spieltisch eine bestimmte Atmosphäre aufzubauen; z.B. durch Kerzen, alte Möbel etc. Moderne, elektronische Komponenten könnten demgegenüber als störend empfunden werden.
  • Viele Spieler dürften, schon aus Sammelleidenschaft, gedruckte Bücher bevorzugen. Ich gehe aber davon aus, dass diese ergänzend angeboten werden können.
  • Wie auch in der Folge des eskapodcast geschildert, besteht bei derartigen digitalen Inhalten, die in der Regel auch ein digitales Spiel begünstigen, die zumindest latente Gefahr, dass sich das Spiel immer mehr zu einem Online-Rollenspiel hinentwickeln und hierdurch ihre Spieltiefe verlieren.
  • Beide Aspekte bedeuten im Grunde, dass aus „Pen & Paper“ „Processor & Phablet“ werden könnte.
  • Die Verlage werden du diskretionärem Verhalten ermuntert. So könnte einfach der Preis für die Nutzung des Dienstes erhöht werden oder sogar doch eine neue Edition eingeführt werden. Dieses Problem ist sehr relevant, da, im Gegenzug zu anderen Medien, die Verlage das Monopol über ihre Spielsysteme besitzen.
  • Im Falle einer Verlagsinsolvenz oder der Einstellung des Spielsystems ist dieses nicht mehr zugänglich.

Einige dieser Nachteile dürften relativierbar sein. So ist es im Grunde jeder Runde selbst überlassen, ob sie sich in Richtung eines Online-Rollenspiels entwickelt oder nicht. In gleicher Weise genügt es, wenn nur der Spielleiter einen Rechner am Spieltisch hat. Bei uns ist das auch heute schon (nur) so. Auf dem Spielleiter-Rechner wird Musik abgespielt oder digitale Inhalte zur Unterstützung des Spielleiters angezeigt. In diesen Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass ich es sehr bevorzugen würde, wenn über VTT oder Roll20 nur eine (freilich bunte) Karte angezeigt werden kann, die in Form eines LCD-Monitors quasi die Tischplatte bildet. Hierauf könnten dann Zinnfiguren oder auch Gebäude gestellt werden, um zum Beispiel eine Kampfsituation darzustellen Dies wäre für mich die ideale Kombination aus digitaler und analoger Welt – und würde viel klassischen Rollenspielcharakter erhalten.

In gleicher Weise gibt es keine Erfordernis, Würfelwürfe über Software abzubilden. Selbst bei meinen Runden über Videokonferenz würfeln die Meisten ganz normal „für sich“ am Schreibtisch.

Lediglich die beiden letzten Punkte, das diskretionären Verlagsverhalten oder die Insolvenz bzw. Einstellung des Spielsystems, bleiben erhalten. Gleichwohl bestehen diese Probleme, in abgewandelter Form, auch im aktuellen Markt. Und zumindest die Plage der neuen Editionen wäre weit weniger virulent.

Die Idee des Co-Spielleiters (mit Stellenanzeige!)

In einem anderen Beitrag wies ich auf die Mühen hin, die (nur) der Spielleiter hat. Ein Ansatz, diese zu mindern, ist der Co-Spielleiter.

Wir hatten ein solches Spielleitergespann für einige Jahre im Einsatz. Der „Haupt-Spielleiter“ wurde durch einen Co-Spielleiter unterstützt. Vorab mussten die beiden sich freilich abstimmen, was zusätzlichen Zeit- und Organisationsaufwand mit sich brachte. Demgegenüber standen aber Vorteile beim Spieltermin:

  1. Szenen im Abenteuer konnten aufgeteilt werden.
  2. Bei Kämpfen konnten zahlreiche Aufgaben zwischen beiden geteilt und die Kämpfer hierdurch beschleunigt werden.
  3. Bei einem Gespräch mit mehreren Nichtspielercharakteren konnten diese auf die Spielleiter aufgeteilt werden – ein unschätzbarer Vorteil!
  4. Man konnte, im Falle einer getrennten Gruppe, beide Gruppenteile simultan betreuen.
  5. Falls ein Charakter gerade im Mittelpunkt stand, konnten die anderen durch den Co-Spielleiter dennoch eine kleine Szene erleben.
  6. Sofern erforderlich, konnte ein Spielleiter eine Regel nachschlagen, ohne das das Spiel ausgebremst wurde.

Diese Vorteile sind für meine Begriffe erheblich.

Gleichwohl habe ich ein Störgefühl dahingehend, dass, gerade bei komplexen Plots, der Abstimmungsaufwand recht groß sein kann. Der vermeintliche weitere (offensichtliche) Vorteil, dass der Plot gemeinsam ersonnen werden kann, könnte im Falle unterschiedlicherer Präferenzen eingeschränkt sein.

Ein weiterer Vorteil, nämlich dass auch bei Abwesenheit eines Spielleiters ein Spieltermin dennoch stattfinden kann, könnte durch eine geringe Verbindlichkeit zu einer Last werden, wenn ein Spielleiter schlicht oft fehlt. Dies geschah übrigens bei uns, so dass der Co-Spielleiter mehr oder weniger Haupt-Spielleiter wurde.

Dennoch bin ich mit etwas Abstand zu dem Ergebnis gekommen, dass ich das Konzept klasse finde. Ich möchte es daher einfach ausprobieren. Daher die folgende (nur halb scherzhafte)

Stellenanzeige für Co-Spielleiter (m/w/d)

Anforderungen:

  • Spaß an Fantasy-Rollenspielen, vor allem DSA
  • Anpassungsfähigkeit – an neue Situationen und Rollen
  • Zumindest grundlegende Kenntnisse der DSA-Welt (primär Aventurien) und der Regeln in der Version 4.1
  • Freude an einem Rollenspiel, das im besten Fall Emotionen auslöst
  • Akzeptanz, oder besser noch: Teilen, meiner Spielphilosphie
  • Wohnsitz im Großraum München

Ich biete:

  • Frei Entscheidung, welche Teile der Spielleitung übernehmen werden
  • Aktuell drei Gruppen – für jedes Erfahrungslevel ist was dabei
  • Tolle Spieler
  • Komplexe Plots mit einer Vielzahl von Handlungssträngen
  • Im Falle von Präsenzterminen einen großartige Darstellung von Kämpfen mit zahlreichen bemalten Zinnfiguren und Gelände
  • Zugriff auf eine umfassende DSA-Bibliothek
  • Erinnerungen für die Ewigkeit

Bei Interesse gerne melden!

Spielphilosphie – ein Selbstporträt

Vor einigen Wochen diskutierte ich mit einigen Freunden lustig die halbe Nacht über diverse Nerd-Themen. Hierbei hingen wir recht lange bei Rollenspiel-Theorie fest und ich erfuhr einiges über mich als Spielertyp, was mir in dieser Deutlichkeit bislang nicht klar war. Da diese Einstellungen meine Wertungen hier maßgeblich beeinflussen gebe ich dieses „Selbstporträt“ im Folgenden wieder. Es wird also subjektiv und oberlehrerhaft. Das Folgende bezieht sich zudem ausdrücklich auf das Pen & Paper-Rollenspiel, nur im weiteren Sinne auf LARP und gar nicht auf Tabletop.

Wir griffen bei unserem Austausch auf die Unterscheidung in einen gameistischen, narrativen und simulationistischen Spielstil zurück. Ohne hierbei ins Detail zu gehen – das wurde im Internet schon ausufernd getan – hier nur eine schlagwortartige Beschreibung:

  1. Gamestischer Spielstil legt Wert auf Fairness. Alle Spielern soll also durch das Spielsystem gleichwertige Möglichkeiten eingeräumt werden. Dies bezieht sich mitunter auch auf den Einbezug anderer Charaktere in die Handlung. Mir wurde zudem zugetragen, dass auch im Verhältnis Spielleiter-Spieler Ausgewogenheit herrschen sollte. Teilweise wird auch ein Spielziel als gamestischer Aspekt angefügt. Insgesamt sind die Anforderungen nahe denen, die man an ein typisches Brettspiel stellt.
  2. Der narrativistische Spielstil möchte die Geschichte in den Vordergrund rücken. Diese soll funktionieren. Konsistenz oder Entscheidungsfreiheit sind diesem unterzuordnen. Ein wenig erinnert mich dies an ein Theaterstück, dass wohl die größtmögliche Ausprägung in dieser Weise darstellt. Hier wird praktisch „nur“ die Geschichte rezipiert. Ich habe eine Freundin, die aus dem Theater kommt und nun LARPs veranstaltet – und ihre narrativistische Sichtweise ist unverkennbar.
  3. Beim simulationistischen Spielstil wird versucht, die Spielwelt möglichst schlüssig und „realistisch“ zu gestalten. Mit dem Realismus ist das so eine Sache. Einer meiner Mitspieler sage hierzu: „Realismus ist halt die einfachste Methode zumindest die Illusion von Konsistenz zu haben, da wir einfach nur aus dem echten Leben interpretieren und -polieren, und keine komplexen eigenen Mechanismen erfinden muss.“ Dies im Blick soll Realismus im Folgenden eher im Sinne von Konsistenz oder Schlüssigkeit verstanden werden – wobei ich denke, dass realweltliche Maßstäbe für diese Einwertung Pate stehen.

Ich wusste, dass ich vor allem Simulationist bin. Wie sehr dies jedoch richtig ist, wurde mir erst in diesem Gespräch klar.

Wie ist meine Entwicklung zu einem Vertreter dieses Spielstils zu erklären? Mich fasziniert beim Rollenspiel vor allem die Unendlichkeit der Möglichkeiten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich beim DSA-Videospiel „Schatten über Riva“ nicht in den Magierturm kam, weil man hierzu einen Schlüssel (oder etwas Vergleichbares) benötigte. Das Spiel bot jedoch nicht die Möglichkeit an, einfach durch das Fenster rechts oberhalb der Türe in den Turm einzusteigen. Das war für mich ein Beleg, dass das Videospiel „unrealistisch“ und Pen & Paper-Rollenspiel viel besser ist: Den dort hätte man mir die Idee nicht so einfach verwehren können.

Im Grunde stelle ich an alle Rollenspiele die Erwartungshaltung, dass sie als Startpunkt eine realweltliche Epoche haben, und diese dann um Aspekte erweitern, welche die Spielwelt ausmachen (geographische Gegebenheiten außen vor gelassen).

In diesem Sinne ist Fantasy für mich in etwa „Mittelalter + Magie + Fabelwesen“. Folglich kann ich mit einem System, dass vereinfachend festlegt, dass ein Magier-Spielercharakter zum Beispiel keinen Zweihänder tragen kann (D&D), nichts anfangen. Denn, realiter, konnte mit Sicherheit jeder Mensch, unabhängig von der Profession, im Mittelalter dem Grunde nach einen Zweihänder führen – wenn auch nicht notwendigerweise gut.

Daher folgend meine Einstellung zum…

1. Narrativismus

Narrativistische Systeme legen aus meiner Sicht häufig zahlreiche unzulässige Beschränkungen auf. So versuchen narrativistische Systeme durch Abstraktion der Regeln diese in den Hintergrund zu drängen um der vorgesehenen Geschichte mehr Raum einzuräumen. In ähnlicher Weise (oder daher) werden die Handlungsmöglichkeiten der Spielercharaktere beschränkt – auch hier vor dem Hintergrund, dass die Geschichte „ungestörter“ ablaufen kann. Typischen Beispiele sind Systeme, die zum Beispiel eine bestimmte Handlung nur ermöglichen, wenn abstrakte Ressourcen dafür vorhanden sind. So könnte eine Behandlung im Krankenhaus die Ressource „Einfluss“ erfordern – egal, ob man die Ärzte besticht oder erpresst oder sogar selbst Arzt ist (Fragged Empire).

Mit Blick auf das obenstehende sollte klar sein, dass ich hierfür wenig übrig habe. Gleichwohl hat der Gedanke des Narrativismus als Spielleiter einen Platz bei mir: Bevor eine Tatsache in der Spielwelt verankert wird, überlege mich mir, ob diese der Geschichte hilft. So erwarte ich, dass die Spieler Charaktere erschaffen, die grundsätzlich in die Handlung passen, diese bereichern – oder zumindest nicht stören. Dies kann sich auf die geographische Herkunft der Charaktere beziehen, aber auch auf deren Einstellung. Auch erwarte ich, dass nur Charaktere erschaffen werden, die eine grundsätzliche Motivation oder zumindest Motivationspotential mitbringen, um an einer Kampagne mitzuwirken.

Sobald ein Charakter aber die „Eignungsprüfung“ bestanden hat, gibt es meinerseits keine Einschränkungen mehr, was der Charakter „tun darf“.

In ähnlicher Weise weiche ich von meinen vorherigen Überlegungen, wie eine bestimmte Gegebenheit in der Spielwelt gestaltet ist, ab, wenn es der Geschichte dienlich ist sowie sonst nicht schädlich – und hier noch keine Festlegung getroffen wurde. War beispielsweise mein eigentlicher Plan, dass die Charaktere eine wichtige Person an Ort A suchen, diese von mir aber an Ort B vorgesehen war, so verschiebe ich sie geschwind an Ort A, wenn dies hilfreich ist – aber nur, wenn keiner weiß, dass sie eigentlich an Ort B sein sollte. Die Spieler merken daher von diesem narrativistischen Eingriff nichts; in der Außenwahrnehmung ist die Welt also konsistent.

Ein weiterer narrativistisch geprägter Aspekt ist, dass ich es bevorzuge, wenn die Charaktere Probleme selbst lösen und nicht zum Beispiel Söldner anheuern. In praxi ist das oft kein Thema, weil die Spieler schließlich die Abenteuer selbst erleben wollen. Falls das im Einzelfall gleichwohl ein Problem ist, sollte sich das Anheuern von Mietlingen nicht per se lohnen: Wäre dem so, wäre der Markt in der Spielwelt „unvollkommen“ – die Spielercharaktere würden besser Konditionen bei Nichtspielercharakteren vorfinden als die Nichtspielercharaktere bei den Spielercharakteren. Das sollte, wenn auch aus simulationistischen Gründen, nicht der Fall sein.

Dem steht übrigens nicht entgegen, wenn Charaktere NSC-Begleiter haben wie Lehrlinge, Leibwächter oder -diener.

2. Gamismus

Gamismus in Sinne von Fairness zwischen den Spielern spielt bei mir eine deutlich untergeordnete Rolle. Da ich beobachten kann, dass reale Menschen unterschiedliche Erfahrungsniveaus haben können, erscheint es mir schlüssig, dass dies auch in der Spielwelt möglich ist. Daher haben Charaktere in meinem Spielrunden sehr häufig unterschiedliche Erfahrungsniveaus. Es ist mir auch ziemlich egal, wenn einzelne Charaktere zur Geschichte nichts beitragen können – solange dies ein temporärer Effekt ist: Wie oben geschildert, überlege ich mir ex ante, ob Charaktere überhaupt Raum in der Kampagne finden. Als „Ausgleich“ achte ich mittel- bis langfristig auf ausgewogene Partizipationsmöglichkeiten.

Hierbei achte ich als Spielleiter auch, gewissermaßen ebenfalls in gameistischer Tradition durchaus darauf, dass die Herausforderungen angemessen für die Charaktere sind. Bedingt durch den, insofern narrativistisch geprägte, „Zulassungsprozess“ der Charaktere, ist dies in praxi nur sehr selten ein Problem.

Es ist auch keineswegs so, dass bei mir als Spielleiter alle Spieler gleich viele Erfahrungspunkte erhalten. Sollte ein Charakter während eines Spielabends, verschuldet oder nicht, nicht an dem Abenteuer teilnehmen, so kann dieser Charakter bei mir weniger Erfahrungspunkte erhalten. In gleicher Weise gebe ich Charakteren, deren Spieler nicht zugegen sind, in der Regel nur 66% der Erfahrungspunkte. Gleichwohl muss ich darauf hinweisen, dass ich de facto in der Regel durchaus gleich viele Erfahrungspunkte verteile – aber eben nicht immer.

Mir völlig unverständlich ist eine gameistische Regel bei DSA 5, dass ein im Spiel erlittener Nachteil (z.B. der Verlust einer Hand), dem betreffenden Charakter Erfahrungspunkte in der Höhe einbringen sollte, als ob er den Charakter bei der Erschaffung gewählt habe.

Ein möglicherweise als gameistisch zu betrachtender Aspekt, im Sinne der Spieler-Spielleiter-Fairness, ist jedoch, dass ich gerne auch die (anderen Spieler) entscheiden lasse, auf welche Charaktere zusätzliche Erfahrungspunkte verteilt werden sollten, weil ich denke, nicht davon ausgehen zu können, dass allein sachgerecht einordnen zu können.

Obgleich mir als Spielleiter natürlich daran gelegen ist, dass die Spieler den Plot verfolgen, so lasse ich es durchaus zu, dass dieser aus dem Augen verloren wird. Wenn ich merke, dass die Hinweise zum Plot hin nicht verfangen, dann gebe ich dieses „Spielziel“ eben auf – und es geschieht etwas anderes. Oder auch, zumindest für den Moment, nichts.

Mit Blick darauf, dass ich aber vorab darauf achte, dass die Charaktere Interesse an den großen Linien haben, kam dieses „Liegenlassen“ beim Hauptplot noch nicht vor. Nebenplots wurden jedoch schon häufiger außer Acht gelassen.

3. Simulationismus

Die vorstehenden Argumentationslinien verdeutlichen bereits mein simulationistisch geprägtes Denken.

Gleichwohl soll im Folgenden meine Sichtweise noch etwas weiter untermauert werden.

Zum einen finde ich es, wie dargestellt, sehr wichtig, dass das Potential des Rollenspiels voll ausgenutzt wird. Das bedeutet für mich, dass den Spielern keine Einschränkungen auferlegt werden, was ihre Charaktere versuchen können. Bei einem Fantasy-Rollenspiel muss zumindest alles möglich sein, weil auch im Mittelalter möglich war. Regelmechanismen die dies verhindern empfinde ich als unzulässig. Hieraus ist nicht zu schließen, dass diese Handlungen von Erfolg gekrönt sein müssen – ein Fehlschlag ist sogar sehr wahrscheinlich, wenn das Streben (zu) ambitioniert ist. Oder, anders gewendet: Dem Grunde nach darf alles versucht werden – dem Erfolge nach muss man sehen, was die Spielwelt dem entgegenstellt.

Zum anderen möchte ich, dass die Welt glaubhaft und konsistent ist. Das kann ich im Folgenden anhand einiger Beispiele verdeutlichen:

  • Für den unglücklichen Fall, dass ein Konvertierung des Charakters erforderlich sein sollte, verfolge ich grundsätzlich nicht den Ansatz die vorhandenen Erfahrungspunkte (meinetwegen auch nach Multiplikation mit einer Zahl), neu zu verteilen. Ich finde es vielmehr angemessen, im neuen Regelwerk die alten Fähigkeiten des Charakters möglichst nachzuzeichnen und dann Erfahrungspunkte in einer Höhe zu vergeben, dass dieses Ziel genau erreicht wird.
  • In ähnlicher Weise bin ich der Meinung, dass eine Weiterbildung (z.B. ein Zweitstudium für Magier bei DSA) keine Erfahrungspunkte kostet, sondern Erfahrungspunkte bringt. Realiter ist es auch so, dass zum Besuch der Schule oder Universität nicht erst einige Jahre irdisches „Abenteuerleben“ erforderlich ist. Ich plädiere daher für die Vergabe von Erfahrungspunkten für ein Studium in der Höhe, dass dieses genau „bezahlt“ werden kann.
  • Einmal erreichte Setzungen will ich unverändert wissen. Das gilt zum einen für Aspekte, die ich selbst vornehme (Nichtspielercharakter X ist an Ort A wohnhaft – nicht an Ort B; siehe oben) als auch von solchen Setzungen, die durch die Rollenspielproduzenten vorgenommen werden: (Auch) aus diesem Grund bin ich in der Regel auch gegen neue Editionen eines Regelwerks, da diese Setzung häufig missachtet wird. Aus meiner Sicht ist eine neue Regeledition schlicht nicht ermächtigt, Eingriffe in die Spielwelt vorzunehmen. Dies darf nur im Rahmen der organischen Entwicklung innerhalb der Spielwelt selbst geschehen (so aber möglicherweise eine Änderung im Regelwerk begründen oder rechtfertigen). DSA 5 hat hierbei durch das (zwischenzeitliche) Weglassen des ikonischen Reversalis für mich den Erzfrevel begangen. Anders der Wechsel von DSA 3 zu 4: Das Ändern von Spezialgebieten zu Merkmalen hin wurde mit inneraventurischer Forschung begründet – und zudem konnte man sich nach beiden Regelwerkseditionen einen Charakter mit sehr vergleichbaren Fähigkeiten konstruieren.
  • Ich vertrete die Meinung, dass ein bestimmte Herausforderung „für sich“ besteht. Wie stark die Spieler sind, ist nebensächlich. Ein Gegner z.B. ist genauso stark, wie er ist. Wenn nur zwei Charaktere gegen ihn kämpfen würden, wäre mir das gleich. Bestünde die Gruppe nur aus Nicht-Kämpfern (und käme gleichwohl in Konflikt mit diesem Gegner), auch.
  • In meinen Runden starten die Spielabende genau dort, wo der letzte endete. Zeit- oder Raumsprünge finden nicht statt, nur weil das nächste Abenteuer woanders belegen ist. Es ist immer eine Begründung innerhalb der Spielwelt zu finden, warum die Charaktere nun woanders sind und zum Beispiel Reisezeit einzuplanen.
  • Bei Kaufsystemen bei der Charaktererschaffung kosten Stände wie „Adlig“ mitunter Erschaffungspunkte. Das erscheint mir höchst unplausibel. Dies bedeutet nämlich, dass, ceteris paribus, adlige Menschen im Schnitt schwächer/ weniger gebildet etc. sind. Mit Blick auf deren in der Regel bessere Ausbildung und bessere Ernährungsmöglichkeiten, finde ich dies höchst fraglich. Ich neige daher dazu, adligen Charakteren die Punkte zum Erwerb des Vorteils „zurückzugeben“.
  • Solchen Charaktere würde ich auch ohne Weiteres mit NSC-Begleitern ausstatten (siehe oben; gemeint sind zum Beispiel Diener, Leibwächter etc. – auch als Spielercharakter sind solche Rollen natürlich möglich).
  • Die Regelmechanismen müssen grundsätzlich geeignet sein, eine einigermaßen plausible Weltsimulation sicherzustellen. Dies bedeutet nicht nur, dass sie nichts verbieten. Es meint vielmehr auch, dass die Ergebnisse den Erwartungen entsprechen. Ein schönes Beispiel, wo dies nicht erfolgt, ist D&D. Dort wird nur mit einem W20 gewürfelt. Die Standardabweichung ist sehr hoch, gleichzeitig sind alle Ergebnisse (1-20) gleichverteilt. Die Chance eine Probe nicht zu schaffen, ist damit, auch bei hohen Werten, recht hoch. Das entspricht jedoch nicht der Lebenserfahrung – erfahrungsgemäß gelingen erfahrenen Menschen übliche Tätigkeiten recht sicher. D&D hat damit einen unplausiblen Regelmechanismus.
  • In ähnlicher Weise erwarte ich auch, dass das Regelwerk die Spielwelt widerspiegelt. Dies erfolgt beispielsweise bei DSA 4.1 (möglicherweise auch bei 5, da bin ich mir nicht sicher) im folgenden Beispiel nur bedingt: Gemäß der Weltsetzung ist das Rufen von Dämonen mit großen Gefahren verbunden, verspricht aber auch große Macht. Entsprechend bedienen sich gerade mächtige Zauberer der Hilfe von Dämonen. So weit, so gut. Dummerweise ist jedoch das Rufen von Elementaren kaum schlechter (mit dem Ergänzungsband Elementare Gewalten bei DSA 4.1 vielleicht sogar besser). Da diese Spielart der Zauberei nicht mit Gefahren der Dämonologie einhergeht, ist die Regelsystematik hier missglückt. Unter diesen Umständen würde nämlich keiner Dämonen beschwören; das Rufen von Elementaren wäre dominant dazu.

Ich denke, das vorstehende macht meinen bevorzugten Spielstil deutlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser teilweise befremdlich wirken mag. Sei es drum: Ein Mitspieler sagte jüngst, dass Freunde langer Kampagnen oft Simulationisten seien. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber falls ja, könnte ich beruhigt sein: Die meisten meiner Mitspieler schätzen lange Kampagnen.

Geschlechterrollen (nicht nur) im Pen & Paper-Rollenspiel – im Spiel und am Spieltisch

Ich bin ja primär mit DSA „rollenspielsozialisiert“ – und da war Gleichberechtigung schon immer wichtig. Es gibt daher keine Boni oder Mali nach Geschlecht (man könnte ja annehmen, dass männliche Charaktere einen Bonus auf Körperkraft bekommen oder weibliche auf Intuition – all das gibt es aber nicht).

Nur in Einzelfällen gibt es eine Unterscheidung. Nur Frauen dürfen Amazonen sein. Und bis vor kurzem nur Männer (sofern sie Zwerge sind), Geoden. Geoden sind de facto Zwergen-Druiden.

Die Änderung bei den Geoden kam mit DSA 5. Vorher waren Geodinnen nicht möglich. Wer mich kennt, kennt meine Aversion gegen Änderungen in der Spielwelt – also finde ich auch diese Änderung schlecht. Zumal sie vermutlich rein realweltlich-politisch motiviert ist. Und das ist die schlechteste Ursache, die mir momentan einfällt. Zumal Amazonen weiter nur Frauen sein dürfen. Selbst wenn man der realweltlichen Logik folgen würde, wäre diese also inkonsequent umgesetzt. Gleichwohl kommt mir diese Inkonsequenz entgegen – sonst wäre ja noch etwas geändert worden.

Mit Blick darauf, dass die Zahl der Geoden schon gering war, ist die Änderung im Ergebnis wohl ohnehin für die allermeisten Spielgruppen egal.

Früher wurde diskutiert, ob es Ritterinnen geben sollte. Es wurde die Meinung vertreten, Ritter seien immer männlich – dafür seien Amazonen immer weiblich. Diese Argumentation hörte ich lange nicht mehr – und teile sie auch nicht, da ich mir Ritterinnen sehr gut vorstellen kann.

Neben dieser regeldogmatischen Betrachtungsweise gibt es eine Weitere. Ich frage mich als Spielleiter bei vielen Nichtspielercharakteren, was wäre, wenn diese das jeweils andere Geschlecht hätten. Häufig ändert sich hierdurch mein subjektiver Blick auf den Nichtspielercharakter. Das finde ich spannend (und vielleicht sagt es was über mein rückständiges Weltbild aus). Ich finde auch, dass man sich bei Nichtspielercharakteren immer die Frage stellen sollte, ob wie diese andersgeschlechtlich wirken würden. Als Beispiel könnte man Borbarad nehmen – den bösen Schwarzmagier-Antagonisten aus der 7G-DSA-Kampagne. Ich finde, wenn dieser weiblich gewesen wäre, hätte das der Kampagne einen anderen Spin gegeben. Man muss sich aber bewusst sein, dass eine solche Einschätzung vermutlich aufgrund eingefahrener Stereotypen erfolgt – obgleich diese im Rollenspiel, wo viel über Klischees zugänglich gemacht wird, kein Nachteil sein muss. Im Gegenteil: Diese Stereotypen sind oft Überbleibsel vergangener Zeiten – und gerade Fantasy-Rollenspiele sind in aller Regel mittelalterlich geprägt.

Bei der Wahl des Geschlechts von Spielercharakteren stellt sich schnell die Frage, ob X-Gender wünschenswert ist. Früher wurde das in vor allem einer meiner Runden abgelehnt. Mittlerweile wird dort X-Gender zugelassen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass mittlerweile auch realweltlich, zumindest juristisch, das Geschlecht geändert werden kann, scheint es naheliegend, dass X-Gender im Rollenspiel allemal möglich sein sollte. Insbesondere auch deshalb, weil Spielleiter schon lange auch andersgeschlechtliche Charaktere darstellen.

Ich habe zum Beispiel eine Magierin (eine Chimärologin) als Spielercharakter, bei der ich bei der Erschaffung abwog, ob dieser Charakter nicht auch männlich funktionieren würde. Die Antwort, die ich mir gab, war ein klares Nein. Daher ist es eine Frau geworden.

In unserer Hexxen-Runde spielt eine Spielerin einen Mann (einen Priester). Auch sie schilderte, dass sie für sich zu dem Ergebnis kam, dass dieser für die Rolle einfach besser passe. Mit Blick darauf, dass Priesterinnen der katholischen Kirche bis zum heutigen Tage sehr selten sind, ist dies allein schon deshalb gut nachvollziehbar.

Dennoch gibt es in diesen Fällen recht oft Missverständnisse und der X-Gender-Charakter wird mituntern falsch angesprochen („ich gehe ‚ihr‘ hinterher“ anstelle von „ich gehe ‚ihm‘ hinterher“). Das kann man den anderen Mitspielern schwer verdenken. Ich glaube, vor allem die realweltlich weibliche oder männliche Stimme stört die Immersion, einen männlichen beziehungsweise weiblichen Charakter vor sich zu haben. Wie ich an anderer Stelle schrieb, ist die glaubhafte Darstellung der direkten Rede, der Kern der Darstellung eines Rollenspielcharakters überhaupt. Ich hörte, dass man lernen kann, seine Stimme ungezwungen höher oder tiefer klingen zu lassen – aber soweit bin ich noch nicht. Eine tolle Idee wären auch Geräte oder Software, welche die Stimme simultan verstellen – solche kenne ich aber nicht.

Neben dem, aus meiner Sicht maßgeblichem, „Stimmenproblem“, wird mitunter angeführt, dass man das jeweils andere Geschlecht per se nicht glaubhaft darstellen könne. Das sehe ich weniger. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass es Szenen geben kann (zum Beispiel mit amourösem Einschlag), bei denen man sich schwer tut, diese im anderen Geschlecht in der Ich-Perspektive darzustellen. Ich habe gute Erfahrungen gemacht, in solchen Fällen in die dritte Person zu wechseln. Hierdurch schafft man eine gewisse Distanz zum Charakter, die, obgleich sonst störend, hier hilfreich sein kann. Verlässt man die Welt des Pen & Paper-Rollenspiels und begibt sich in die Welt des LARP, wird die Darstellung eine X-Gender-Charakters deutlich schwieriger. Weil neben der Stimme die Erscheinung maßgeblich für die Charakterdarstellung ist, müsste diese andersgeschlechtlich gelingen. Das wird meist scheitern – und ist in den wenigen Fällen, die ich kenne, gescheitert. So wie ich zum X-Gender im Pen & Paper raten kann, so rate ich davon daher im LARP ab.

Rollenspiel per Videoschalte – Fluch oder Segen?

Ich lebte für etwa zwei Jahre in Singapur. Eine meiner größten Sorgen war, wie es wohl gelingen könnte, weiterhin (aktiver) Spielleiter meiner langjährigen DSA-Gruppe zu sein. Letztlich gelang das – ich kaufte mir in Singapur mit als Erstes einen LCD-Fernseher. Mit einem browserbasierten Videokonferenzprogramm konnten wir die Spielgruppe am Leben halten. Später kam noch Musik dazu (wobei ich einen Rechner in Deutschland aus Singapur fernsteuerte) und das Ganze war eine gute Sache. Nur die Zeitverschiebung war etwas knifflig: Im Ergebnis startete meine Gruppe in Deutschland um 8 Uhr morgens. Ich hingegen erst um 15 Uhr Ortszeit – aber dafür blieb ich bis 5 Uhr früh wach (22 Uhr in Deutschland).

In einem Fall spielten wir sogar Forbidden Stars per Videoschalte. Jeder hatte das Spiel vor sich aufgebaut. Die Bewegungen von Figuren der anderen Spieler mussten entsprechend nachvollzogen werden.

Als das Coronavirus kam, waren wir also gut vorbereitet. Da ich wieder in Deutschland war, gab es die Zeitzonenproblematik nicht mehr. Zudem wechselten wir auf Zoom als Konferenzprogramm. Nunmehr waren auch meine Mitspieler nicht mehr gesammelt in nur einem Raum. Stattdessen wählte sich jeder separat ein. Irgendwann setzte ich noch einen Icecast-Server auf und auf für die Hintergrundmusik war gesorgt. In der höchsten „Ausbaustufe“ gab es eine gesonderte, zweite Kamera, um gegebenenfalls Kämpfe mit Miniaturen für alle sichtbar visualisieren zu können. Ich war sehr zufrieden, dass es trotz Corona mit den Rollenspielgruppen weiterging. Mehr noch – ich spielte so viel, wie seit Jahren nicht mehr. Bis zu fünf Termine der Woche fanden vereinzelt statt. Viele hatten schlicht nichts Besseres zu tun.

Nun ist diese Zeit vorbei. Es gibt keine nennenswerten Restriktionen mehr. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich das nochmal ändern wird.

Gleichwohl ist Rollenspiel per Zoom – zumindest ein Stück weit – geblieben. In zwei Fällen geht es bei uns nicht anders: Die Spieler einer DSA-Runde sind in vier verschiedenen Ländern lebend. Beim zweiten Fall lebt der Spielleiter mittlerweile nicht mehr in München, so dass eine Zusammenkunft per Videokonferenz ebenfalls zwingend ist. Es gibt aber auch Fälle, wo das Spiel per Videoschalte das neue Normal zu sein scheint. Ich traf sogar mal einen, der wie ich in München lebt, der explizit nur nach einer Online-Runde suchte.

Ich merke jedoch, dass sich eine gewisse Zoom-Müdigkeit bei mir einstellt. Ich bin ohnehin schon dauernd beruflich in Videokonferenzen. Mitunter den ganzen Tag. Meine Freude, am Abend sich erneut in einer Videokonferenz – obgleich für Rollenspiel – wiederzufinden, ist allein deshalb schon überschaubar.

Ich finde, es geht auch Einiges verloren. Früher konnte man eine kurze Ingame-Szene parallel zur Hauptszene stattfinden lassen. Das geht nun nicht mehr. Es ist mitunter schwieriger zu Wort zu kommen, weil möglicherweise andere sprechen und man selbst nicht vernommen wird.

Zudem ist man, zumindest als Spieler, leichter abgelenkt. Ich weiß nicht, was da alles gemacht wird – aber von Internet-Bestellungen aufgeben bis nebenbei einfache Videospiele spielen, ist glaube ich alles dabei. Daneben gibt es immer wieder technische Probleme. Mal geht die Kamera nicht, dann ist die Internetverbindung weg und in wieder einem anderen Fall mag VTT oder Roll20 etc. nicht funktionieren.

Nicht nur aus diesen Gründen ist die Stimmung geringer. Daher empfinde ich das Rollenspiel per Videokonferenz daher mittlerweile mitunter als wenig erquicklich. Das scheint anderen auch so zu gehen: Neben dem Vorstehenden, scheint mir auch sonst, die Verbindlichkeit bei Online-Runden deutlich geringer zu sein – oft fehlt jemand oder kommt zu spät.

Hybrid-Runden sind nochmal speziell: Hier muss oft der Ort, an dem sich die Spieler in Präsenz treffen, vorbereitet werden, damit die Online-Spieler dabei sein können. Und Handouts sollten idealerweise online und offline zur Verfügung stehen. Die Übertragung von Kampfdarstellungen mit Miniaturen ist auch erschwert.

Ich bin daher nicht abschließend sicher, wie ich zu Rollenspiel via Videoschalte stehen soll. Einerseits ermöglichen sie Spielrunden, die sonst nicht möglich sind. Jedoch ist meines Erachtens die „Qualität“ des Rollenspiels vermindert.

Das Problem neuer Editionen

Vorweg – ich bin im Laufe der Jahre kein Freund neuer Editionen bei Rollen- oder Tabletopspielen geworden. Das liegt daran, dass ich in meiner „Nerd-Karriere“ mehrheitlich schlechte Erfahrungen mit neuen Editionen machte:

  1. Demonword (ein nicht übermäßig komplexes „Rank and File“ Tabletop-System mit Hexfeldern), scheiterte daran, die zweite Edition überhaupt erst vollständig zu veröffentlichen – es fehlten schlicht Armeebücher. Das haben Fans zwar nachgeholt, aber das System ist heute praktisch tot – obgleich es in der ersten Edition recht erfolgreich war und ich auch denke, dass die zweite Edition keine der weiter unter stehenden Probleme mit sich brachte.
  2. Shadowrun wurde von lange und mit viel Freude in der dritten Edition gespielt. Dann kam die Vierte – und Shadowrun war „raus“ bei uns: Zwar wurde die neue Regelmechanik bei uns durchweg begrüßt (es gab keine „explodierenden“ Würfel mehr), aber die Welt wurde im Rahmen des Editionswechsels angepasst. Statt Cyperpunk gab es nun Hightech. Das fanden ein paar Mitspieler inakzeptabel (ich nur unglücklich), und so verschwand Shadowrun aus meiner Welt. [Update 17. Mai 2023: Mittlerweile weiß ich, dass die sechste Edition offenbar von der Spielerschaft nicht angenommen wurde und die ganz überwiegende Mehrzahl der Spieler bei der fünften Edition geblieben ist. Die sechste Edition Shadowruns‘ muss daher als gescheitert gelten.]
  3. DSA. Die vierte Edition war bei uns bereits wenig gewollt – wir benötigten wohl sechs Jahre, bis wir umgestiegen waren. Gründe dafür waren auch wieder Änderungen an der Welt, die ungewollt waren: Plötzlich gab es weniger Lebensenergie und mit einem Schlag Schwertgesellen. Zudem waren Dämonen von einem Tag auf den anderen mit nicht-magischen Waffen zu verletzen. Es dauerte lange, bis diese Inkonsistenzen geheilt waren: Dämonen sind bei uns „de facto“ immer noch nur mit magischen (und geweihten) Waffen zu verletzen – weil bei uns praktisch jeder Dämonologe die Dämonen so ruft – nur Anfänger machen „von der Vereinfachung“ Gebrauch, es anders zu halten. Schwergesellen waren lange nicht als SC zulässig und wurden behutsam in die Welt eingeführt. Die niedrigere Lebensenergie akzeptierten wir schließlich – man konnte im Gegenzug ja mehr Paraden haben. Gleichwohl kommt auch heute noch ab und an die Frage auf, warum die Lebensenergie eigentlich so niedrig sei, und dass dies doch unstimmig wäre.

    Schlimmer noch war die Einführung von DSA 5. Dies wird nunmehr von ein paar Freunden zwar experimentell gespielt – aber erst seit wenigen Wochen. Der weit größere Teil bleibt bei DSA 4. Für mich auch hier wieder vor allem deshalb, weil die Welt angepasst wurde: Mit einem Schlag waren Zauber von bestimmten Charakteren gar nicht mehr erlernbar, der, für das System ikonische, Reversalis wurde gleich ganz gestrichen.
  1. Warmahordes. Hier ist die jüngste Entwicklung noch nicht abgeschlossen, da die vierte Edition, MK IV, gerade erst im Entstehen begriffen ist. Man kann rückblickend aber feststellen, dass die Einführung der dritten Edition MKIII wahrscheinlich der größte Management-Fehler in der Tabletop-Geschichte gewesen sein dürfte: Das System war, je nach Quelle pari mit oder sogar vor dem Brachenprimus Warhammer – und stürzte durch die Einführung von MK III fast im freien Fall – in Europa und (mehr noch) in Asien fast bis in die Bedeutungslosigkeit. Dies vor allem deshalb, weil Modelle, die vormals gut waren, an Relevanz verloren und Modelle, die nun gut waren, von vielen nicht besessen wurden. Außerdem wurden einzelne Aspekte des Regelwerks vereinfacht.

    Bei der Einführung von MK IV werden Teile der Fehler wiederholt. Auch hier ist es wahrscheinlich, dass alte Modelle an Relevanz verlieren oder sogar, im Turnierbereich zumindest, gar nicht mehr zu Einsatz kommen können. Allerdings wird daneben ein Format angekündigt, in dem alle (auch alte) Modelle spielbar sein sollen.
  2. Warhammer Fantasy spiele ich nicht selbst. Gleichwohl weiß ich, dass es durch Age of Sigmar abgelöst wurde. Von einem Editionswechsel kann in diesem Zusammenhang die Rede kaum sein: Zwar gab es wohl formal eine Möglichkeit, alte Modelle weiterzuverwenden. Allerdings waren schon die Basen anders (rund statt vormals eckig). De facto aber war daher Age of Sigmar, so wie ich es verstehe, ein neue Spiel. In Extremfällen führte die zu so viel Verdruss bei den Spielern, dass diese ihre alten Armeen verbrannten. Für den Hersteller war es ebenfalls ein Fanal und trug meines Wissens maßgeblich zum Erfolge Warmahordes bei.

Analysiert man diese Fälle, so wird deutlich, was die Nachteile eines Editionswechsels sind:

  1. Eingriffe in die Welt – sei es, beim Rollenspiel, durch Neusetzungen, oder, beim Tabletop, durch eine Veränderung der Stärke der Einheiten. In beiden Fällen ist dies für die Glaubwürdigkeit der Spielwert fatal: Warum sollte, von einem Tage auf den anderen, z.B. der Zauber Reversalis nicht mehr existieren, obgleich er in vielen Publikationen eine Rolle spielt? Oder warum gewinnt eine Einheit im Tabletop erwartbar nicht mehr gegen eine andere, wo das doch vormals der Fall war? Aus meiner Sicht ist dieser Nachteil für Produkte, die das Eintauchen in eine Welt ermöglichen sollen, ganz erheblich.
  2. Entwertung von Sachwerten: Vor allem beim Tabletop werden Modelle, die vormals für teuer Geld erworben wurden, dem Spiel entzogen. Entweder tatsächlich, weil sie gar nicht mehr zulässig sind. Oder nur de facto, weil ihr Einsatz nicht mehr sinnvoll ist. Im Rollenspiel gilt das gleiche für Regelwerke, allerdings ist hier der monetäre Einsatz oftmals deutlich geringer. Dieser zweite Punkt ist die realweltliche Konsequenz des ersten.

Dem gegenübersteht ein maßgebliches Interesse des Herstellers, (dennoch) eine neue Edition zu veröffentlichen. Aufgrund des geringen Marktvolumens bei gleichzeitig geringem Marktwachstum ist dieser nämlich recht schnell gesättigt. Da die Produkte auch kaum einer realweltlichen Alterung oder Abnutzung unterliegen, stellt sich eine Marktsättigung ein.

Die geschilderten Produkteigenschaften sind jedoch, aus Konsumentensicht, ein maßgeblicher Vorteil! Als Kind erkannte ich, dass Rollenspiele mit geringem Geldaufwand praktisch ewige Freude gewährt – anders als das Videospielen, das regelmäßig den Kauf neure Spiele oder gar Hardware erforderlich macht.

Für die Produzenten stellt sich dennoch die Erfordernis, auch nach der Markteinführung noch Umsatz zu erwirtschaften. Die neue Edition ist daher als Wette zu verstehen: Entweder die neue Edition wird angenommen – dann ist für den Produzenten alles super und der Umsatz wieder einige Zeit gesichert. Oder sie scheitert. Dann möglicherweise – abhängig von Auflage, Verkaufszahlen und ob Crows-Funding zur Finanzierung verwendet wurde – lediglich die Entwicklungskosten teilweise verloren. Es gibt also einen starken Anreiz, es mit einer neuen Edition zu versuchen.

Wir haben damit eine, aus meiner Sicht nahezu einmalige Situation, dass die Interessen von Produzent und Konsument nach einiger Zeit diametral auseinanderlaufen. Der ein oder andere mag einwenden, dass dies doch immer so sei, weil man ja auch immer wieder z.B. ein neues Mobiltelefon kaufen müsse. Das stimmt aber nicht: Das neue Mobiltelefon hat in der Regel auch weitere Funktionen. Wer mit seinem aktuellen Gerät zufrieden ist und das neue Display etc. nicht benötigt, kann ohne Weiteres mit dem Altgerät verbunden bleiben. Das neue Gerät bringt also einen konkreten Mehrwert. Es obliegt dem Kunden, ob er bereit ist, für diesen zu zahlen.

Bei Nerd-Spielsystemen ist das anders. Neue Editionen sind, meiner subjektiven Erfahrung nach, in aller Regel nur anders, nicht besser. Ob zum Beispiel DSA 5 DSA 4 überlegen ist oder vice versa, wird (noch immer) in zahlreichen Foren diskutiert. Zudem muss für das „Anders“ jede Menge Zeit für das Erlernen der neuen Regeln investiert werden. Meine Bereitschaft hierzu geht mittlerweile gegen null.

Die zunehmend (auch von mir selbst) gewählte Lösung (aus Konsumentensicht) ist, dass der Editionswechsel in der Regel nicht oder, wenn überhaupt, verzögert mitgegangen wird. Das klappt bei Rollenspiel sehr gut, weil man in der Regel auf die eigenen Gruppen beschränkt ist. Diese fungieren als weitgehend geschlossene Systeme, weswegen auch Hausregeln implementierbar sind.

Bei Tabletop-Systemen ist dies etwas schwieriger, weil diese von vielen auch auf Turnieren gespielt werden wollen. Daher braucht es einen Standard, der von allem akzeptiert ist. Das ist in der Regel die aktuelle Regelversion – auch wenn im Grunde nichts dagegen spricht, eine Veranstaltung nach dem alten Regelwerk zu organisieren. Ich für mich bin jedoch bei vielem ein „Legacy-Spieler“ (Wortschöpfungs eines Freundes) geworden.

Allein, fraglich dürfte sein, ob diese Strategie auch den Produzenten, und damit dem Hobby als Ganzem, nützt. Vermutlich langfristig nicht, oder nur dann, wenn immer neuere Spieler die Legacy-Spieler ersetzen.

Gibt es einen Mittelweg? Offenbar ja: Aus meiner Sicht ist Battletech ein System, dass seit Urzeiten im Wesentlichen unverändert besteht und offenbar noch immer profitabel ist. Meine Figuren und Regelwerke aus den frühen Neunzigern kann ich heute noch verwenden – die Regeländerungen sind, gerade im Kernbereich, dem Kampf mit Battlemechs, minimal. Dieser Erfolg könnte darauf zurückzuführen sein, dass das System in seiner Geschichte voranschreitet, hierbei neue Produkte veröffentlicht werden, gleichzeitig die alten Modelle aber nicht obsolet werden aber auch keine Abhängigkeiten dahingehend entstehen, als dass man sämtliche Entwicklungen und Modelle wissen müsste (anders als z.B. bei Warmahordes). Zudem ist das System auch außerhalb der Nerdszene über Computerspiele bekannt und hat dadurch immer neuen Zulauf – ich lerne immer wieder Leute kennen, die mit Battletech anfangen. Und fast jeder den ich kenne, hat es mal gespielt.

Grundsätzlich wäre selbstredend auch für andere Systeme erstrebenswert, weitere Spieler zu gewinnen. Wenn dies gelänge (insbesondere aber duurch die Produzenten, weil diese im Zugzwang stehen), wäre das Ursprungsproblem angegangen – der Markt würde breiter werden und wachsen. Ob dies realiter geschieht, ist meines Erachtens fraglich. Ergänzend erscheint es mir (auch daher) sinnvoll, dass die Produzenten über eine Nutzungsgebühr nachdenken, die für sinnvolle, aber mit geringen Grenzkosten einhergehende Services, verlangt werden kann. Dies sind typischerweise digitale Produkte. Zugang zu guten elektronischen Regel-Wiki könnten eine Idee sein. Auch VTT ist ein Schritt in diese Richtung; wobei ich glaube, dass LCD-Monitore als Tischplatten mit Karten auf die Figuren gestellt werden können etc. noch besser wären, vor allem weil zu viel Digitalisierung für viele abschreckend sein dürfte – was die Idee grundsätzlich erheblich erschwert. Zudem muss die Eigenarbeit für die Spieler minimiert werden. Im Ergebnis würde durch solche Gestaltungen aber ein konstanter, wenn auch vermutlich überschaubarer Umsatzstrom für die Produzenten generiert.

Sonst wird es eben weitergehen mit dem Teufelskreislauf der Editionswechsel. Vermutlich nicht zum Guten der Szene.