D20

Analyse der (wichtigen) Ankündigungen zu DSA auf der CCC 2023

Auf der Collector’s Club Convention („CCC“) Ulisses‘ am vorvergangenen Wochenende wurden vor allem zwei erwähnenswerte Neuigkeiten für DSA verkündet. Hierzu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Voilá:

1. Trennung zwischen Regel- und Hintergrundbänden

Als Folge der Turbulenzen rund um die Open Gaming Licence („OGL“) und hierbei insbesondere der Ankündigung, die DSA-Regelwerke im Zuge einer Open RPG Creativ („ORC)-Version für Ulisses-Regelwerke allgemein und unentgeltlich verfügbar zu machen, ist eine Trennung der Regelwerke von Hintergrundmaterialien (d.h. der Weltbeschreibung) nur folgerichtig.

Wir erinnern uns: Ulisses kündigte an, eigene Regelwerke in einer Art zur Verfügung zu stellen, wie es heute schon für das D&D-Regelwerk („D20“) der Fall ist – welches für eine Vielzahl von, auch fremden, Hintergrundwelten verwendet wird. Diese Verwendung des D&D-Regelwerkes erfolgt für die Verwender kostenfrei und wird über die sog. OGL, einem Lizenzvertrag, abgedeckt. Dieser umfasst aber nur das Regelwerk. Die (originären, Wizards of the Coast gehörenden) Hintergrundwelten sind nicht frei verfügbar. Auch die Marken, allen voran „Dungeons & Dragons“, nicht.

Dies soll perspektivisch auch für die Ulisses-Regelwerke möglich sein. Hierdurch könnte, zumindest theoretisch, erreicht werden, dass diese Regelwerke eine größere Verbreitung erfahren und hierdurch als Nebeneffekt Werbung für Ulisses gemacht wird.

Allein dieses Vorhaben macht eine strikte Trennung von Regel- und Hintergrundbänden zumindest zwecksmäßig: Durch eine solche Trennung ist auch im Zweifel klar, welche Teile des Spielsystems (als Überbegriff für Regelwerk und Hintergrundmaterial) frei verfügbar sind, und welche nicht. Dies wäre dann schon daran erkennbar, in welchem Band diese veröffentlicht worden sind.

Ergänzend war der von DSA5 beschrittene Weg, Hintergrundbände mit Regelelementen anzureichern auch vorher nicht immer wohlgelitten. Das ist verständlich: Eine Trennung in Regel- und Hintergrundbände ist alles andere als unüblich.

Die Ankündigung ist damit nicht nur konsequent sondern auch begrüßenswert, da sie zu einer besseren Struktur innerhalb des Spielsystems führen dürfte.

Freilich gibt es etwas Wasser im Weine.

Grundlegend frage ich mich, wie viele Spieler, die nicht die offizielle DSA-Welt bespielen möchten, Interesse an Regeln für Regionen in just dieser Welt haben. Aber gut – das mag für bestimmte Spezialregeln oder –ausrüstungsgegenstände auch der Fall sein.

Zudem soll es nunmehr für DSA-Hintergrundbände, die Regionen beschreiben, nicht, was erwartbar gewesen wäre, zwei, sondern drei Bände geben. Der dritte Band soll sog. Meisterinformationen beinhalten (nur für den Spielleiter bestimmte Informationen) und zudem ein zu der jeweilige Region passendes Abenteuer. Obgleich auch die Trennung zwischen Spieler- und Spielleiterwissen schon vielfach gefordert und gut begründbar ist, stelle ich mir zwei Fragen:

  1. Die Kombination aus Abenteuer und Meisterinformationen könnte etwas gekünstelt werden – einfach deshalb, weil das Abenteuer oft in keiner Verbindung zu dem Großteil der Meisterinformationen stehen dürfte.
  2. Kunden (wie ich), die bislang nur die Abenteuer kauften, werden über dieses neue Kuppelprodukt nun auch die Meisterinformationen erwerben. Umgekehrt gibt es sicher Kunden, die bislang keine Abenteuer kauften, sondern die Meisterinformationen nutzten, um eigene Abenteuer zu entwerfen. Diese Kunden werden nun diese offiziellen Abenteuer „zwingend“ miterwerben müssen.

Ich nehme an, dass der zweite Punkt ursächlich für die Entscheidung Ulisses‘ ist, drei Bände anzubieten. Die Kuppelprodukte werden naheliegenderweise, da sie mehr Inhalt bieten, teurer sein und die beschriebenen Kundengruppen daher höhere Preise zu entrichten haben – was für dem Ulisses-Umsatz zuträglich ist. Das umgekehrte Risiko, dass sich die beschriebenen Kunden dazu entschließen, die Produkte gar nicht mehr zu kaufen, wird Ulisses-seitig vermutlich weniger stark gewichtet. Aus meiner Sicht eine wohl realistische Einschätzung.

Weniger schwer wiegt aus meiner Sicht dass Käufer, die bereits die kombinierten Produkte für bislang abgedeckte Regionen erwarben, nunmehr nicht damit rechnen dürfen, dass künftige Regionen auch in dieser kombinierten Form angeboten werden – den dies würde nicht nur die Ankündigung konterkarieren, sondern auch mit erheblichen Mehrkosten einhergehen.

Erforderlich wäre eine solche „Doppelauflage“ auch nur, um den geschilderten Käufern die Möglichkeit zu geben, ihre Sammlung mit einheitlich gestalteten Büchern fortzuführen. Dieses Interesse dürfte seitens Ulisses als weniger wichtig gewertet werden – zumal auch während DSA3 ein Umbruch in der Gestaltung erfolgte – nämlich als Fanpro das Spielsystem von Schmidt Spiele übernahm. Man mag jedoch einwenden, dass eine solche Übernahme einen herberen Einschnitt darstelle und andere Ursachen hatte als die aktuelle Entwicklung.

Vielmehr zeigt sich aus der künftigen Gestaltung der Hintergrundbände meines Erachtens noch ein anderes Vorhaben Ulisses‘: Deren Gestaltung ist gegenwärtig sehr schlicht vorgesehen und nicht der aktuellen Edition entsprechend. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass derartige Bände auch (sonst) von Regeleditionen unabhängig sein sollten, und keiner erwarten darf, dass die Weltbeschreibung noch während der aktuellen fünften Regeledition komplettiert werden wird. Sie könnte vielmehr nahtlos bei möglichen künftigen Regeleditionen weitergeführt werden.

Mit Blick auf das Editionsproblem begrüße ich dies.

2. DSA4.1 wird wieder aufgelegt

Das ist wirklich ein Ding. Es wurde angekündigt, die alten Wege-Bände wieder aufzulegen. Später wurde zudem annonciert, ergänzend dazu auch noch die Bücher Liber Cantiones und Liber Liturgium neu aufzulegen.

Dieses Vorhaben lässt einige Thesen zu.

These 1: Es gibt eine große Nachfrage nach DSA4.1-Regelwerken

Dass allein vergriffene Bücher wieder aufgelegt werden, hat jüngst eine gewisse Regelmäßigkeit erfahren. Es begann mit der „Kaiser-Retro-Box“ und setzte sich zuletzt über vergriffene Abenteuer fort. Insofern könnte man anführen, dass die Wiederauflage von DSA4.1 nur ein weitere Schritte in dieser Tradition sind. Das ist bei Lichte betrachtet aber nicht so: Ausgenommen der Kaiser-Retro-Box, die DSA1 zum Inhalt hatte, wurden Hintergrundbände und Abenteuer neu aufgelegt. Und bei DSA1 ist unbedingt davon auszugehen, dass dieses Regelwerk aus verschiedenen Gründen nicht in Konkurrenz zur aktuellen fünften Auflage des Regelwerkes zählt. Bei DSA4.1 ist dies jedoch so: Ich ließ mir jüngst sagen, dass über 50% der Spieler DSA4.1 spielten. Ob das stimmt kann ich nicht sagen – aber in meinem Umfeld ist DSA4.1 weit weiter verbreitet als DSA5. Und aus zahlreichen Foren-Diskussionen lässt sich entnehmen, dass DSA4.1 weiterhin viele Spieler hat. Davon gehe ich aufgrund meiner Datenlage nachfolgend aus und unterstelle damit, dass Netzwerkeffekte keine der beiden Editionen begünstigen (was sonst der entscheidende Faktor sein dürfte).

DSA5 ist deshalb aber nicht gescheitert – vielmehr scheint die Zahl der DSA4.1-Spieler so groß zu sein, dass es sich Ulisses nicht (mehr) leisten kann, diesen Markt nicht zu bedienen. Allein – wird dies kommerziell erfolgreich sein?

In der Tat sind auf dem Sekudärmarkt die Preise für DSA4.1-Regelwerke sehr hoch. Es läge daher der Schluss nahe, dass es eine große Nachfrage nach DSA 4.1-Produkten gibt. Allein – das kann so sein, muss es aber nicht: Alternativ zu einer hohen Nachfrage würde auch eine unelastische Nachfrage die hohen Preise erklären: Das bedeutet, dass es nur ein paar wenige Interessenten für die alten Regelwerke gibt (und zwar etwas mehr als Anbieter) – diese Interessenten aber bereit sind, sehr hohe Preise zu bezahlen. Sobald aber diese wenigen Interessenten fündig geworden wären, würde der Preis fallen. Der Markt wäre schnell gesättigt.

Aufgrund dieser Zusammenhänge werden im Übrigen Abenteuer, nach denen die Nachfrage schon grundsätzlich geringer ist, selten neu aufgelegt. Dies ist bei Regelwerken grundsätzlich anders: Diese nutzen nicht nur dem Spielleiter, sondern auch den Spielern. Die Nachfrage und damit auch die Zahl der verkauften Exemplare ist daher höher.

Zudem kann gehofft werden, dass Ulisses aufgrund der Erfahrungen mit den bereits erfolgten Neuveröffentlichungen eine Vorstellung hat, welche Nachfrage nach neuen DSA4.1-Regelwerken besteht. Im Übrigen sollen, ausweislich der vorhandenen Bilder, die Einbände der Bücher mit den Illustrationen der DSA4.0-Boxen versehen sein. Das bedeutet zum einen, dass Sammler einen „Grund“ haben, diese neuen Auflagen auch zu erwerben, da sie insoweit verschieden sind. Zum anderen aber auch, dass Kunden, wie ich, welche die Umschlag-Illustrationen der Wege-Bände für missraten halten, sich möglicherweise die Neuauflagen kaufen werden.

In meinem Umfeld schätze ich, dass rund zehn Spieler die neuen Bände erwerben werden. Ich werde dies allein der anderen Titel-Illustrationen wegen tun. Meine Mitspieler meistenteils deshalb, weil sie erst vor einiger Zeit bei uns mit DSA (und damit DSA4.1) angefangen haben, und die Regelbände gerne besäßen.

Nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund der anderen genannten Punkte, gehe ich davon aus, dass die DSA4.1-Bände freudige Abnehmer finden werden. Im Übrigen sind für Ulisses die Kosten minimal, da die Bücher bereits druckfertig existieren. Es müsse keine Kosten für das Verfassen von Texten, das Lektorat etc. gedeckt werden – der Deckungsbeitrag ist weit höher und die Amortisation beginnt schon bei kleineren Stückgrößen. Ich denke daher, dass Ulisses profitieren wird.

These 2: DSA 4.1 läuft DSA5 den Rang ab

An anderer Stelle habe ich mich über das Editionsproblem im Rollenspiel ausgelassen. Und – die Wiederauflage der Wege-Bände könnte genau dieses Problem aus Spielersicht mindern. Da die beiden Regelwerke ohnehin schon de facto im Wettbewerb miteinander stehen, könnte fraglich sein, welche Edition nach der Ankündigung wohl langfristig besser angenommen wird. Folgende Aspekte könnten eine Rolle spielen:

Aktualität

Für DSA5 spricht mit Sicherheit, dass es schlichtweg die jüngste Edition ist und daher die, zu der Neueinsteiger wohl am ehesten greifen werden – nur könnte die Zahl der Rollenspiel-Neueinsteiger überschaubar sein, da diese eher D&D wählen, welches durch die sozialen Medien eine umfassende Bewerbung erfährt. Inwiefern dies durch die Zurverfügungstellung des DSA-Regelwerks durch eine ORC-Variante eine Änderung erfährt, bleibt zunächst abzuwarten (ich bin aber skeptisch).

Weitere Punkte sprechen für DSA5: Die neuen Abenteuer werden mit Sicherheit für die Standardversion, das heißt gegenwärtig DSA5, erscheinen. Wer DSA4.1 spielt, müsste diese also „konvertieren“. Erfahrenen Spielleitern dürfte dies leichtfallen (ich konvertiere die Werte von Gegnern üblicherweise, während der Würfel rollt), andere mögen damit hadern.

Vollständigkeit

Ergänzend ist bislang keine Ankündigung dahingehend erfolgt, ob auch die weiteren „regelnahen“ DSA4.1-Bände neu aufgelegt werden. Allen voran ist das Zoo Botanica Aventurica zu nenne, welches die Werte von Kreaturen (und ferner: Pflanzen) enthält. Des Weiteren könnten die Wege der Alchemie, das Aventurische Arsenal und der Meisterschirm als fehlend empfunden werden. All diese Werke stehen für DSA5 zur Verfügung oder sind erwartbar. DSA5 wäre also insofern zu präferieren.

Ganz anders fällt die Würdigung aus, wenn man eine Gruppe hat, welche die Spielwelt DSAs „ganzheitlich“ bespielen möchte: Für Myranor, Tharun, Rakshazar und auch Die Dunklen Zeiten stehen keine DSA5-Regeln zur Verfügung. Solche Spieler werden daher höchstwahrscheinlich auf DSA4.1 zurückgreifen. Allerdings – und dies kann kaum hoch genug bewertet werden – Bände für die oben genannten Schauplätze sind gegenwärtig nur mit großer Mühe und unter hohen Kosten erwerbbar – die Neuauflage nur der Wege-Bände hilft solchen Spielgruppen daher nur wenig. Schwerer wiegt vermutlich, dass die „großen“ ikonischen Kampagnen (7G, Phileasson, Simyala, Königsmacher, Jahr des Greifen, Jahr des Feuers) alle für DSA4.1 verfügbar sind – gegenwärtig nicht aber für DSA5. Für DSA5 gibt es „nur“ die jüngeren Theaterritter– und die Sternenträger-Kampagne.

Ein Punkt für DSA5 könnte die Verfügbarkeit einer englischen Ausgabe sein. Ich meine zwar, dass internationale Runden selten sind (ich kenne nur eine, bei der aber alle deutsch sprechen) – aber für solche Spielgruppe dürfte wenig an DSA5 vorbeiführen.

Ergänzend, aber keineswegs nachrangig, muss gesehen werden, dass es (nur) für DSA5 eine vernünftige VTT-Unterstützung gibt. Online-Runden dürften dieses „Manko“ DSA4.1s vermutlich hoch gewichten und das Regelwerk daher eher weniger schätzen. Auch das DSA5-Regelwiki ist ein ähnlich gelagerter Vorteil.

Struktur

Auch wenn DSA-Regelwerke nicht gerade für ihre intuitive Struktur gelobt werden, mag diese für Käufer doch eine Rolle spielen. Ich wage zu behaupten, dass DSA4.1 besser strukturiert ist, bzw. war: Die große Schwäche von DSA5, Regeln über zahlreiche Bände zu verteilen oder nicht frei von Redundanzen zu sein, könnte über die Kodex-Bände geheilt werden. Die Regelwerke könnten hier also vergleichbar sein bzw. werden.

DSA5 liegt aber vermutlich vorne, wenn es um die Struktur innerhalb eines Buches geht – aber hier bin ich mir keineswegs sicher.

Stil

Sehr subjektiv – aber dennoch relevant: Bei DSA5 wird die vollfarbige Aufmachung oft gelobt. DSA4.1 war stets in schwarz-weiß gehalten. Nach meiner Einschätzung finden farbige Seiten mehr Anklang. Eine völlig andere Frage ist, inwiefern die Sprache der Edition 5 oder 4.1 vorziehenswürdig ist. In meinem Umfeld wird oft (aber keinesfalls unisono) beklagt, dass DSA5 „gegenderte“ Texte hat. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass andere, insbesondere jüngere Spieler, genau dies vorziehenswürdig finden.

Fazit

Mir scheint, als ob die Wiederauflage der DSA4.1-Bände für „Altspieler“ erfolgt, die möglicherweise neue Mitspieler haben, oder die Exemplare ihres Regelwerkes ersetzen möchten. Hierfür spricht insbesondere:

  1. Insbesondere derartige Spieler dürften noch DSA4.1. spielen.
  2. VTT und dergleichen spielt für langjährige Spieler, die feste Gruppen haben dürften, eine untergeordnete Rolle.
  3. „Altspielern“ ist es eher egal, ob die neuen Abenteuer zu ihrem verwendeten Regelwerk passend sind. Wenn sie solche überhaupt spielen, fällt ihnen die Konvertierung leicht.
  4. Solche Spieler dürfte auch am Ehesten die anderen Kontinente bespielen – diese waren schon immer speziell und wurden meines Erachtens kaum von Einsteigern gewählt.
  5. Zudem dürfte diese Spielergruppe am meisten Sammler aufweisen und die höchste Bereitschaft sowie die finanzielle Möglichkeit, für alte Regelwerke nochmal in die Tasche zu greifen. Ob sie, DSA5 gekauft haben, darf in eigen Fällen wohl in Zweifel gezogen werden.

Es liefe damit auf eine (verlagsseitig gewissermaßen akzeptierte oder gar geförderte) Teilung der Spielerschaft hinaus. Außerhalb von Cons dürfte das keine große praktische Rolle spielen.

Ein „Rang ablaufen“ gibt es dann nicht, sondern eine Koexistenz. In Kombination mit der Trennung von Spielregeln und Hintergrundbänden besteht für Ulisses sogar die Hoffnung, dass Spieler früherer Editionen (allen voran Spieler von DSA4.1) die neuen Hintergrundbände kaufen, da diese nun nicht im Widerspruch zu ihrem Regelwerk stehen. Jeder weitere so verkaufte Hintergrundband ist für Ulisses ein gutes Geschäft. Für den Verlag daher ein kommerziell sinnvoller Zug.

Und weiter? Eine Vision.

Ich versuchte schon aufzuzeigen, welche Synergien für Ulisses aus der Kombination der beiden Ankündigungen denkbar sind.

Darüber hinaus wird aber auch die Möglichkeit sichtbar, DSA zu einem gezielt „regelagnostischen“ System zu machen. Dies geht weit über die Ankündigungen im Zusammenhang mit der OGL hinaus, die keinesfalls das Nachdrucken alter Editionen zwingend machten (auch Hasbro druckt die alten D&D-Regelwerke meines Wissens nicht nach): Ulisses möchte nun DSA4.1-Regelwerke publizieren. Das Ilaris-Regelwerk gibt es ebenfalls als gedruckte Ausgabe im f-shop. Den Band „Harteschales Hausregeln“ gab es ebenfalls mal gedruckt zu erwerben, wenn auch nicht von Ulisses unterstützt. Über einen Nachdruck von DSA3 und DSA2 wird zumindest spekuliert.

Mit jeder unterstützten Regelvariante hat Ulisses die erhöhte Chance, dass deren Anhänger die neuen „regelagnostischen“ Bände (das heißt Hintergrundbände) erwerben. Gleichzeitig geht der Verlag das Risiko ein, sein primäres Regelwerk (DSA5) und dessen Verkäufe zu schwächen. Jede Drucklegung muss daher von Ulisses sorgsam abgewogen werden, wenn man nicht darauf baut, dass Sammler ohnehin alles kaufen (was bis zu einem bestimmten Grad aber denkbar ist). Grundsätzlich dürften aber die Fixkostendegressionseffekte pro als Buch erhältlicher Regelversion sinken. Allen voran gilt dies für die aktuelle Version, deren ungedeckte Fixkosten am höchsten sind, da sie in Erstellung befindlich ist.

Interessant könnte ein DSA-Regelwerk auf D20-Basis sein (gibt es inoffiziell auch schon). Damit könnnten vor allem Spieler angesprochen werden, die durch die sozialen Medien bei D&D gelandet sind. Wäre dies für Ulisses ein Problem, wenn sie DSA-D20-Regelbücher unter der OGL verkaufen können? Wohl kaum: Ich denke, das Erschließen dieser Zielgruppe wäre für Ulisses hochinteressant. Dies würde auch dann gelten, wenn diese neuen Spieler so zahlreich wären, dass die DSA-D20-Version über Netzwerkeffekte der neue Standard würde. Für Ulisses könnte dies sogar von Vorteil sein, weil man sich keine Mühe machen müsste, neue Regeleditionen grundständig zu entwickeln, sondern auf die D20-Vorlagen zurückgreifen könnte. Auch etwas kleinere Auflagen (wegen Kunden, die beispielsweise das DSA4.1-Regelwerk kaufen), wären dann profitabel.

Unbenommen von einem DSA-D20-Regelwerk ist künftig eine Koexistenz verschiedener DSA-Regelwerke denkbar. Für die Community bietet sich damit die Möglichkeit, die Editionsstreitigkeiten ad acta zu legen. Jede Spielgruppe könnte nach ihrer Façon glücklich werden – da der Wettbewerb um das „bessere“ Regelwerk weniger wichtig würde. Ein zumindest denkbares und doch auch schönes Szenario.

Eine Lösung für das Editionsproblem – oder: Die Zukunft des Rollenspiels

In meinem ersten Beitrag beschwerte ich mich ausführlich über die „Plage“ neuer Editionen. Ich schilderte dort auch, dass diese für Verlage wichtig sein können, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das aus meiner Sicht (der Sicht des Marktgläubigen) frappierende ist, dass bei Rollenspiel- und Tabletop-Systemen nach einiger Zeit die Präferenzen von Kunden und Produzenten diametral auseinander liegen. Während die Kunden mit einem System möglicherweise noch glücklich sind, „braucht“ der Produzent eine neue Edition, um Umsatz zu erzielen.

Als Ökonom fragte ich mich daher lange, wie dieses Dilemma gelöst werden kann. Einen ersten Ansatz zeigte ich im ursprünglichen Artikel auch auf: Der Wechsel auf eine Abonnement-Modell. In den letzten Monaten habe ich diesen Gedanken weiter verfolgt. Viel Dank geht an das Team vom eskapodcast, die bereits vor einiger Zeit eine Folge veröffentlicht hatten, die ich nun hörte und viele ähnliche Gedanken aufnehmen konnte.

In dieser Folge wurden zunächst Parallelen zu anderen Medieninhalten gezogen, die mittlerweile im in der Regel im Abonnement konsumiert werden. Genannt wurden Musik, Filme und auch Videospiele. Warum sollte nicht also auch Rollenspiele diesen Weg gehen?

Meines Erachtens ist das eine solche Entwicklung in der Tat wahrscheinlich und unter einem bestimmten Blickwinkel auch wünschenswert. Wenden wir uns zunächst dem Editionsproblem zu. Gelänge es über eine Abonnement-Modell für die Verlage einen dauerhaften Zahlungsstrom zu generieren, wäre das Editionsproblem lösbar. Inhalte könnten sein:

  • Zugriff auf alle Regelwerke. Diese könnten so miteinander verknüpft sein, dass verwandte Regeln nur einen Klick entfernt sind.
  • Zugriff auf weitere Inhalte, wie Karten, Abenteuer, Regionalbeschreibungen – ebenfalls mit dem vorstehenden Vorteil. Vor allem bei Stadtplänen könnte bei einem Klick auf ein Haus dessen Beschreibung folgen.
  • Sofort einsetzbare Inhalte für Programme wie VTT oder roll20.
  • Passende Hintergrundmusik.
  • Ein Verwaltungsprogramm für den Spielleiter, dass nicht nur die vorstehenden Funktionen umfasst, sondern auch eine Datenbank mit Nichtspielercharakteren.

All dies freilich regelmäßig aktualisiert.

Des Weiteren könnte man anbieten:

  • „Miete“ von kleineren Gebieten durch Spieler mit entsprecherr Möglichkeit, auf die Welt Einfluss zu nehmen.
  • Einfügen von Spielercharakteren (gegen eine monatliche Gebühr) in die Welt, die damit offiziell werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass Angebote wie die beiden Letzten nicht nur Freude hervorrufen. Gleichwohl glaube ich, dass gerade diese Angebote für viele andere reizvoll sind.

Bei einer geschickten Preisgestaltung bestünde somit die Möglichkeit, das Editionsproblem zu lösen. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahlungsbereitschaft der Spielerschaft sehr uneinheitlich ist. Daher wären unterschiedliche Pakete hilfreich.

Als Nebeneffekt würden weitere Probleme gelöst werden:

  • Digitale Inhalte sind nie „vergriffen“. Wer einfach nur alte Abenteuer spielen möchte, braucht hierzu nicht mühevoll auf eBay zu suchen, sondern kann zum Beispiel das „Retro-Paket“ dazubuchen – und schon stehen alle Abenteuer zur Verfügung.
  • Rollenspielwerke sind selten arm an Fehlern. Redaktionelle Fehler können in digitalen Produkten sehr einfach korrigiert werden.
  • Notorisch schlecht strukturierte Werke werden durch Hyperlinks deutlich zugänglicher.
  • Denkbar wäre es auch, unterschiedliche Versionen von Werken anzubieten. Ein Freund von mir, der sich wirklich sehr an sog. Gender-Sprache stört, forderte jüngst, alle DSA-Werke (auch) orthographisch korrekt und nicht „gegendert“ anzubieten, damit er Letzterem entkommen kann. Eine solche Idee lässt sich bei digitalen Produkten viel einfacher und damit kostengünstiger umsetzen. In ähnlicher Weise könnten fallweise auch Jugendschutzüberlegungen berücksichtigt werden.

Gleichwohl stehen diese Idee Nachteile gegenüber:

  • Gerade Fantasy-Rollenspiel ist mit der digitalen Welt meines Erachtens nur bedingt vereinbar. Realiter wird versucht, am Spieltisch eine bestimmte Atmosphäre aufzubauen; z.B. durch Kerzen, alte Möbel etc. Moderne, elektronische Komponenten könnten demgegenüber als störend empfunden werden.
  • Viele Spieler dürften, schon aus Sammelleidenschaft, gedruckte Bücher bevorzugen. Ich gehe aber davon aus, dass diese ergänzend angeboten werden können.
  • Wie auch in der Folge des eskapodcast geschildert, besteht bei derartigen digitalen Inhalten, die in der Regel auch ein digitales Spiel begünstigen, die zumindest latente Gefahr, dass sich das Spiel immer mehr zu einem Online-Rollenspiel hinentwickeln und hierdurch ihre Spieltiefe verlieren.
  • Beide Aspekte bedeuten im Grunde, dass aus „Pen & Paper“ „Processor & Phablet“ werden könnte.
  • Die Verlage werden du diskretionärem Verhalten ermuntert. So könnte einfach der Preis für die Nutzung des Dienstes erhöht werden oder sogar doch eine neue Edition eingeführt werden. Dieses Problem ist sehr relevant, da, im Gegenzug zu anderen Medien, die Verlage das Monopol über ihre Spielsysteme besitzen.
  • Im Falle einer Verlagsinsolvenz oder der Einstellung des Spielsystems ist dieses nicht mehr zugänglich.

Einige dieser Nachteile dürften relativierbar sein. So ist es im Grunde jeder Runde selbst überlassen, ob sie sich in Richtung eines Online-Rollenspiels entwickelt oder nicht. In gleicher Weise genügt es, wenn nur der Spielleiter einen Rechner am Spieltisch hat. Bei uns ist das auch heute schon (nur) so. Auf dem Spielleiter-Rechner wird Musik abgespielt oder digitale Inhalte zur Unterstützung des Spielleiters angezeigt. In diesen Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass ich es sehr bevorzugen würde, wenn über VTT oder Roll20 nur eine (freilich bunte) Karte angezeigt werden kann, die in Form eines LCD-Monitors quasi die Tischplatte bildet. Hierauf könnten dann Zinnfiguren oder auch Gebäude gestellt werden, um zum Beispiel eine Kampfsituation darzustellen Dies wäre für mich die ideale Kombination aus digitaler und analoger Welt – und würde viel klassischen Rollenspielcharakter erhalten.

In gleicher Weise gibt es keine Erfordernis, Würfelwürfe über Software abzubilden. Selbst bei meinen Runden über Videokonferenz würfeln die Meisten ganz normal „für sich“ am Schreibtisch.

Lediglich die beiden letzten Punkte, das diskretionären Verlagsverhalten oder die Insolvenz bzw. Einstellung des Spielsystems, bleiben erhalten. Gleichwohl bestehen diese Probleme, in abgewandelter Form, auch im aktuellen Markt. Und zumindest die Plage der neuen Editionen wäre weit weniger virulent.