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LARP

Die Darstellung von Charakteren im Rollenspiel

Wenn man mit Rollenspiel erstmals beginnt, ist die Charaktergestaltung oft simpel: Es handelt sich mitunter einfach um den Spieler, der jedoch mit anderen Fähigkeiten und einem anderen Aussehen ausgestattet ist. Ein wirklich anderer Charakter findet sich zu Beginn oft nicht.

Genau hierum soll es nicht gehen.

Nach langer Zeit des Rollenspiels haben sich für einige Spieler in meinem Umfeld ikonische Rollen herausgestellt, die von diesen besonders gut dargestellt werden können. Das hat mit Erfahrung nur bedingt etwas zu tun. Im Gegensatz zum vorstehenden, eher negativen, Beispiel handelt es sich durchaus um individuelle und unterscheidbare Charaktere – sowohl unterscheidbar von dem Spieler als auch untereinander. Offenbar bringt der Spieler ein bestimmtes Talent mit, zum Beispiel eine bestimmte Charakterklasse, besonders gut darzustellen.

Da insbesondere (aber nicht nur) beim Pen & Paper-Rollenspiel die Darstellung ganz wesentlich durch die direkte Rede des Charakters geprägt wird, kommt dieses Talent vor allem hierbei zum Tragen. Nach meiner Erfahrung erkennt man die ikonische Rolle also daran, ob der Spieler es versteht, in zahlreichen Spielsituation fabelhafte Sätze für seinen Charakter zu formen.

In allen mir bekannten Fällen wurde die jeweils ikonischen Rollen nicht von dem betreffenden Spieler sondern von seinen Mitspielern entdeckt.

Kennt man die ikononischen Rollen seiner Mitspieler kann dies das Rollenspiel erheblich aufwerten – weil die Charakterdarstellung viel selbstverständlicher von der Hand, respektive der Zunge, geht. Vor allem werden diese Paraderollen dem Spieler in der Regel auch nicht über, da er selbst innerhalb seines Spektrums neue Charaktere findet, die sehr gut von den anderen unterscheidbar sind.

Ob jeder Spieler eine ikonsiche Rolle hat oder nicht, kann ich nicht sagen. Bei dem ein oder anderen suche ich schon recht lange erfolglos, ob es eine gibt. Dennoch können diese großartige Rollenspieler sein!

Häufiger ist es, meiner Erfahrung nach, dass viele Spieler Outgame-Veranlagungen haben und diese zumindest unterbewusst ins Spiel einfließen lassen – was jedoch nicht in allen Rollen hilfreich ist. Ist man per se vorsichtig oder schüchtern, scheiden oft die meisten extrovertierten Rollen aus oder sind nur mit Zugeständnissen darstellbar.

Freilich kann man sich hierüber hinwegsetzen. Ich habe jedoch beobachtet, dass dies auf lange Zeit oft nicht zufriedenstellend ist – gerade wenn andere Spieler ihre Paraderolle spielen oder zumindest sonst eine gute Darstellung an den Tag legen. In gewisser Weise ist dies ein Jammer – weil Rollenspiel ja gerade die Erfahrung neuer Rollen ermöglichen soll.

Damit kommen wir zu dem Gegenteil der ikonischen Rolle: Der Fehlbesetzung. Wer einen Gelehrten spielen möchte, aber von der Spielwelt keine Ahnung hat, sollte das nicht tun. Es ist wenig stimmungsvoll, wenn der Spielleiter die Informationen aus dem Wissen des Gelehrten „vorsagt“, damit diese dann von dem Charakter und Spieler „nachgesagt“ werden.

In einem anderen Fall mag Pöbeln wichtig sein – und auch das will gelernt sein! Im Grunde gilt umgekehrt zur Paraderolle: Man sollte die direkte Rede für seinen Charakter so beherrschen, dass man die Darstellung überzeugend ist.

Abstraktere Fähigkeiten, die nicht oder nicht oft in Form der direkten Rede zur Schau kommen, sind hingegen zur Darstellung oft weniger wichtig. Als Beispiele mögen hier in erster Linie körperliche oder handwerkliche Fähigkeiten oder auch taktisches Verständnis dienen.

Ich weiß, dass dies ein nicht unumstrittener Standpunkt ist. Gleichwohl würde ich davon abraten, einen Charakter darzustellen, der einem schwerfällt. Ich habe mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ein intersubjektiv als unbefriedigend dargestellter Charakter für niemanden eine Freude ist. Und es muss ja nicht gleich die Paraderolle sein! Ich bin sicher, dass jeder eine Rolle findet, die er (intersubjektiv beurteilt) gut darstellt und dem Spieler Freude macht. Und vielleicht findet dieser ja doch noch seine ikonische Rolle.

Schwieriger wird es freilich beim LARP. Da muss neben der Rede auch die Erscheinung passen. Daher ist mein Zwergen-Champion nie etwas geworden…

Von einem, der auszog, auf ein LARP zu gehen

Irgendwann in der Mittelstufe kamen zwei meiner Freunde mit dem Liverollenspiel in Berührung – und das fanden wir alle gleich großartig! Wir übten fechten (mit Stöcken, nur später mit Polsterwaffen) und joggten sogar, um unsere Helden gut darstellen zu können. Denn wir wollten zunächst im Grunde unsere DSA-Charaktere spielen oder hatten zumindest das Bild einer Heldengruppe vor Augen. Ich wollte einen Zwerg spielen. Und so zerbrach ich mir den Kopf, wie ich ein Kettenhemd beschaffe (geworden ist es nur eine Lederweste), sowie eine Zweihand-Doppelkopfaxt bekomme. Letztlich bin ich nie als Zwerg aufs Liverollenspiel gegangen – ich konnte die Ausrüstung nicht zusammenbringen, wähnte mich nicht gut genug im Kampf und war zudem zu groß. Als ich 1999 dann zum ersten Mal auf einem „richtigen“ LARP war, merkte ich zudem, dass es ohnehin alles ganz anders ist, als ich es mir vorgestellt hatte…

1.) Fast jeder ist Protagonist

Ich hatte, wie erwähnt, eine Heldengruppe vor Augen und wollte meinen DSA-Charakter spielen. Das war nunmehr ein Magier (und kein Zwerg mehr), der mit dem Gasthaus „Zum lachenden Shruuf“ übrigens eine enge Verbindung hat. Ich dachte, wir würde auf dem LARP ähnliche Abenteuer erleben wie am Tische zuvor.

Das ist grob unzutreffend.

Naturgemäß fahren nämlich zum LARP fast nur „Helden“ – man ist also einer vor Vielen und keineswegs zwingend im Zentrum des Geschehens, wie es beim Tischrollenspiel der Fall ist. Allerdings nehmen sich schon sehr viele sehr wichtig und erwarten ihren Charakteren gegenüber ein bestimmtes Auftreten. Das führt mich zum Zweiten…

2.) Auf dem LARP ist „Anything goes Fantasy“

Die überwiegende Zahl der Cons spielt nicht in einem geschlossenen Setting. Das Conquest of Mythodea zum Beispiel spielt zwar in einem bestimmten Setting – es wird aber keineswegs darauf geachtet, dass Charaktere, die aus einer anderen Welt kommen, an der Veranstaltung nicht teilnehmen. Es kann also Jeder mit Allem dorthin – und regelmäßig auch auf andere Cons. Von diesem Regelfall wird im Folgenden ausgegangen – auch weil ich es kaum anders kenne.

Daher sind die LARPs oft ein Gemisch von Epochen, Welten und dergleichen. Es kann gut sein, dass sich ein rechtschaffender Ritter plötzlich einem Mob aus dem Zeitalter der Revolution gegenübersieht. Oder dass römische Legionäre mit Musketen angegangen werden.

Es ist also ratsam, möglichst wenig Erwartungen an eine Con oder die Erlebnisse dort zu haben. Jeder hat seinen eigenen Mikrokosmos und diese Kosmen sind oft nicht einmal in den Grundlagen aufeinander abgestimmt.

Hieraus ergibt sich auch, dass es oft eine andere Erwartungshaltung an das „Fantasy-Level“ gibt. Es gibt Spieler, die lehnen zum Beispiel mit großer Inbrunst Lederhosen ab – weil solche im Mittelalter (offenbar) nicht getragen wurden. Da Lederhosen aber von zahlreichen ikonischen Fantasy-Helden getragen werden (Herkules in der TV-Serie, Conan in den Filmen, Faramir in der Herr der Ringe-Verfilmung..), ist für mich gut nachvollziehbar, dass andere Spieler, diese für sehr stimmig halten.

Auch bestehen, wie angedeutet, ganz andere Vorstellungen von dem, was man spielen kann. Besonders gut in Erinnerung ist mir eine Spielerin, die einen Gott-Imperator spielte, beziehungsweise spielen wollte. Die hiermit verbundenen Erwartungen wurden von den anderen Spieler (wenig verwunderlich) nicht erfüllt. Im Gegenteil – diese fanden das Konzept in jeder Hinsicht schlecht. Auf dem Conquest gab es früher ein Lied unter Nichtspielercharakteren, dass diese auseinanderfallenden Vorstellungen überspitzt beschreibt:

„Hast mich gar nicht kommen sehen,
bin ein Nachtelf-Paladin,
Mein Flammenschwert macht Vier-Direkt –
SL schaff‘ diesen Spieler weg“

Auch wenn unsichtbare, flammenschwertschwingende Nachtelfen-Paladine sicher (meist) überzeichnete Extremfälle sind, wird hoffentlich klar, dass die Vorstellungen, was möglich, sinnvoll oder auch nur verständlich ist, weit auseinandergehen.

Hart trifft es auch die, die irgendeine Form von klerikalem Charakter spielen. Da die Gottheit im Zweifel keine kennt (manchmal hat man einen Outtime-Vorteil, wenn man zum Beispiel eine DSA-Gottheit wählt), ist jede Form der Verehrung unwahrscheinlich.

3.) LARP-Plots sind in der Regel unplausibel motiviert

Als LARP-Orga steht man initial vor der Frage, wie man es schafft, diese Herrscharen von Individuuen aus unterschiedlichen Welten, Zeiten und Dimensionen nun „intime“ in die Länder zu schaffen, in der die Con spielt. Hierzu werden die großen Probleme (wie Zeit und Dimension aber auch Geographie) üblicherweise übergangen und zum Beispiel Turniere bemüht, zu denen alle eingeladen werden. Auch sehr geläufig sind Hilfegesuche zum Beispiel eines Adligen (den freilich keiner kennt). Letztlich ist es aber so, dass sehr viele Spielercharaktere de facto keinen Grund haben, auf der Veranstaltung zu sein – weil sie vielleicht an keinem Turnier teilnehmen, realiter nie eingeladen werden würden oder auf ein bloßes Hilfsgesuch eigentlich nicht reagieren.

Dennoch sollen im nächsten Schritt diese sich fremden Weltenbummler unter Einsatz ihres Lebens gemeinsam den Plot lösen. Auch hier ist von einem zu tiefergehenden Hinterfragen dringend Abstand zu nehmen. In vielen Fällen haben die Charaktere nämlich keine, wirklich keine, Motivation, dies zu tun. Zugegeben: Die kann man sich Outtime vorab zusammenstricken, wenn man den Charakter erstellt oder auch dann überlegen, wenn man sich anmeldet.

4.) Die Darstellung ist oft mäßig

Viele Gewandungen (das sind die Kostüme) sind wirklich klasse. Ich persönlich finde aber auch, dass viele einfallslos sind – jedoch mittlerweile wirklich nur noch selten welche handwerklich schlecht. Darüber hinaus muss man in aller Regel schon Abstriche machen: LARP finden gerne auf Burgen statt – ganz klassisch ist hier die Burg Bilstein zu nennen. Diese Burg sieht schön aus und die Außenanlagen ist in weitern Teilen auch so gestaltet als ob sie in einem Fantasy-Film Platz finden könnten. Allein – es gibt auch Innenräume und bei denen ist es überwiegend anders: Gekachelte Jugendherbergs-Flure mit hellen Holztüren sind nun mal keine stimmigen Räumlichkeiten für einen epischen Kampf gegen Orks oder für phantastische Begegnungen mit Feen.

Und auf Cons gibt es praktisch nie Reittiere (ich kenne löbliche Ausnahmen!). Dabei wären gerade Pferde für Ritter mehr als nur stimmungsvoll.

Auf Zeltcons ist es meiner Meinung nach im Durchschnitt besser um das Ambiente bestellt. Die meisten Zelte sind „Intime“-Zelte, viele auch stimmig eingerichtet. Aber auch hier gibt es Tiefpunkte. Mein Negativ-Favorit in dieser Hinsicht ist das sogenannte Flatterband. Das ist eine etwa auf Brusthöhe gespannte Schnur, die eine Palisade (sic!) anzeigen soll.

Grundsätzlich gibt es zudem das damit verwandte Phänomen des „Telling“. Hierbei wird, aus Ermangelung einer Darstellung, flux von der Spielleitung (im Einzelfall auch von anderen) erzählt, was geschieht – willkommen im Pen & Paper-Rollenspiel (allerdings ohne Pen und Paper).

„Telling“ ist freilich höchst unpopulär. Dennoch zeigt es die (natürlichen) Grenzen von LARP auf. Vor vielen Jahren war ich Zeuge eines Gespräches im dem es darum ging, wo die Immersion besser wäre – beim LARP oder beim Pen & Paper-Rollenspiel. Mit Blick auf das Vorstehende sollte klar sein, dass diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann: Beim LARP werden die Möglichkeiten oft nicht genutzt (Stichwort: Flatterband) oder die Darstellung ist nicht oder nur mit prohibitivem Aufwand möglich (Teleportation bzw. fliegende Teppiche) und die Immersion kann geringer sein, als sie beim Pen & Paper-Rollenspiel üblicherweise ist. Schließlich ist die Unzulänglichkeit viel offenbarer und trifft zudem auf höhere Erwartungen. Das Pen & Paper-Rollenspiel kennt keine Darstellungsgrenzen, ist jedoch regelmäßig weniger immersiv in seiner grundsätzlichen Anlage.

Warum dennoch LARP?

Allen Schwächen zum Trotze ist LARP dennoch eine tolle Sache. Allein der Geruch des Leders der Ausrüstung, das Schmecken der Lagerfeuer in der Luft lassen Vorfreude aufkommen. Die Stimmung, die zum Beispiel eine Taverne mit einem Barden mit sich bringt, ist sonst unerreicht. Gefährliche Situationen sind auch viel authentischer bedrohlich: Ein dunkler Wald, in dem man sich tatsächlich verlaufen hat und in dem es Untote gibt, ist etwas anderes, als dies, vergleichsweise theoretisch, bei Tischrollenspiel zu erleben. Auch geht ein LARP Tage, nicht nur Stunden. Und, idealerweise zumindest, ohne Pause. Viele Situation sind urkomisch – ohne aus der Welt zu fallen. Hervorheben möchte ich auch die Zeit, die man mit Freunden verbringt und einen die Freundschaft nochmals anders, vielleicht sogar intensiver erfahren lässt. Und diese Erinnerungen halten ewig – gerade auch wegen der oben geschilderten Unzulänglichkeiten. Wie sagte jüngst ein guter Freund von mir: „Auch wenn die Con nicht so geil war – irgendwie war’s geil!”

Die Degeneration des Rollenspiels im Liverollenspiel

Zum letzten Mal auf dem Epic Empires war ich im Jahre 2013. Wir waren damals, nachdem einige meiner Gruppe nicht mehr in das neutrale Lager wollten, im Lager des Königs.

Auf dem Epic Empires geht es darum, an einem Wettbewerb auf Seiten eines (regelmäßg des eigenen) Lagers teilzunehmen. Die ganze Geschichte ist einigermaßen absurd, weil es im Grunde keinen Grund gibt, an diesem (lebensgefährlichen!) Wettbewerb teilzunehmen, aber okay – LARP-Plots leben auch sonst in Teilen davon, nicht hinterfragt zu werden. Im Grunde ist aber auch das Teil des Problems.

Jedenfalls kann man das eigene Lager im Wettbewerb nach vorne bringen, indem man andere Lager angreift, um dort Trophäen zu erringen. Diesen Plan verfolgte unser Lager eines Morgens. Es sollte das Lager des Chaos (Warhammer Fantasy entlehnt) angegriffen werden.

Nach langem Hin und Her ging es schließlich los. Aus Gründen, die ich nicht kenne musste vor dem, nicht zu weit gelegenen Lager des Chaos, gewartet werden. Während wir da so herumstanden, marschierte, einen Steinwurf entfernt, das Lager des Imperiums (ebenfalls Warhammer Fantasy entlehnt, und damit Erzfeind des Chaoas) auf das Chaos-Lager zu und griff dieses an. Vor unserem Augen wurde nun das Chaos-Lager angegriffen, besiegt und die ersehnte Trophäe entwendet.

Warum wir nicht als lachender Dritter vom Platze gingen, weiß ich nicht mehr – vermutlich Müßiggang. Nun müsste eigentlich jeder vor Scham im Boden versinken und seine eigene Existenz – und mehr noch die der Führer – in Frage gestellt werden. Natürlich geschah das nicht. Ein besonder gesegneter Mensch hatte vielmehr den grandiosen Vorschlag, das Lager des Chaos anzugreifen „um diesem noch mal einen schönen Kampf zu liefern“. Das geschah dann auch. Dass dieses Unterfangen, aus dem Blickwinkel der Charaktere betrachtet, völlig wahnsinnig war, wurde übergangen. Dass bei diesem Angriff das eigene Leben in Gefahr war, gleichzeitig aber nichts, auch nichts (aus der Sicht der Charaktere) Ideeles gewonnen werden konnte, war egal.

Ich hatte ein wenig Glück, weil mein Charakter („Xarxe“) sich nicht mit solch pragmatischen Fragen befasst und sie ihn auch nicht kümmern. Ich nahm auch an diesem Kampfe nicht teil. Dennoch – tief im Herzen weiß ich ja, dass das, was da gerade geschieht, völlig ideotisch ist.

Diese Beobachtung, dass Charakere aus Outtime-Erwägungen heraus etwas völlig Dämliches tun, ist für mich die Abkehr vom Rollenspiel. Denn beim Rollenspiel geht es meiner Meinung vielmehr darum, eine Rolle in einer Welt glaubwürdig auszufüllen. Das kann im Einzelfall natürlich auch mal ein wahn- oder stumpfsinniger Charakter sein (wer mag – viel Spaß!), dann passt die oben geschilderte Verhaltensweise gut. Sonst aber nie.

Daher mein Aufruf: Zurück zum Rollenspiel im LARP!

Die LARP-Stasi

Aufgrund von Corona, einem langen Auslandsaufenthalt und allgemeiner Trägheit besuchte ich Anfang September 2022 nach seit sechs Jahren zum ersten Mal wieder eine Liverollenspiel-Con. Im Gepäck hatte ich meinen Magier, der auch mein erster LARP-Charakter überhaupt ist.

Xarxordur von Zerabul („Xarxe“) ist damit rund 24 Jahre alt und seit ca. elf Jahren Großmeister. Xarxe ist ein Schwarzmagier. Kein böser Bube, der Jungfauen opfert oder Untote kommandiert – aber eben einer, der auch die coolen Zauber wirken möchte. Vor allem finde ich es viel lustiger, ohne moralische Einschränkungen wirre Theorien aufzustellen.

Nach dem Abitur arbeitete ich ein paar Monate lang als Tagelöhner in zahlreichen Unternehmen, um mir das Geld für den ikonischen Zauberstab Xarxes zusammenzusparen. Diese Zeit war in vielerlei Hinsicht lehrreich und der Stab mit großem Arbeitsleid erarbeitet.

Dieser Zauberstab verfügt über einen geschnitzten Echtholzstab. Etwa auf Schulterhöhe ist eine goldene Metallkonstruktion angebracht, die grob wie zwei aufrechte Flügel aussieht, die je von einem kugelförmigen Halbedelstein gekrönt werden (einer Rot, einer Blau, wie damals bei Diablo I). Zwischen den Flügeln ist ein gehörnter Schädel. Seit einer Elektrifizierung des Stabes im Jahre 2015 kann der Schädel mit einem MP3-Spieler sprechen und die Augen können dämonisch leuchten.

Eigene Aufnahme

Früher störten sich alle paar Jahre bestimmte andere Charaktere, wie Paladine oder Priester, an Xarxe. Das führte zu Ingame-Konflikten, die in der Regel damit endeten, dass meine waffenstarrenden Freunde die üblen Gesellen in Schach hielten. Im Laufe der Zeit wurde die LARP-Szene aber toleranter (oder egalitärer), und es störte sich keiner mehr an dem Stab. Ich fand dieses Konfliktspiel auch zunehmend lästig. Meine Freude am LARP ziehe ich im Wesentlichen daher, mit Xarxe absurde Theorien zu spinnen und anderweitig hochgestochen dummess Zeug zu reden.

Ich brachte den Schädel damals auch vor allem an dem Magierstab an, da die andere Idee, ein großer tropfenförmiger Edelstein, nicht finanzierbar war (das ganze Projekt war ohnehin unverschämt teuer – gerade für eine Abiturienten). Später stellte es sich heraus, dass die Sprechfunktion großartig ist und ich war froh, keinen Edelstein angebracht zu haben.

Xarxe ließ im Wege seiner Großmeisterprüfung einen Dämonen in den Stab einfahren lies – das finde ich recht charmant, weil der Charakter dadurch erneut einen gewissen mysteriösen und leicht größenwahnsinnigen Anstrich erhält, zum anderen der Schädel aber eine spieltechnische Bedeutung erlangte. Ich finde das auch nicht „böse“, sondern klasse, weil der Dämon so (in der Logik der Spielwelt) keine üblen Taten mehr vollbringen kann. Zudem ist die Stimme des MP3-Spielers beziehungsweise des Schädel natürlich der Dämon. Die sarkastischen Kommentare haben nicht nur mir schon häufig große Freude gemacht! Insgesamt ist der Magierstab damit ikonisch für meinen Charakter geworden.

Vor ein paar Wochen war es jedoch wieder soweit: Ein anderer Charakter, samt Gefolge, störte sich an meinem Stab und damit an meinem Charakter. Da ich diesmal fast alleine war, konnten die Jungs die Rabauken nicht vermöbeln und ich hatte ein Problem. Mir wurde der Stab weggenommen, um ihn zu vernichten. Ich wollte noch eine rechtsdogmatische Diskussion anfangen (mein Magier ist auch Richter und es gibt sogar ein Gesetzeswerk!), aber die anderen Charaktere (oder auch Spieler) wussten möglicherweise nicht, was Kollisionsrecht ist, oder wollten mal „die Harten“ markieren. So wurde aus dieser, wie ich finde, sehr unterhaltsamen Idee, nichts.

Letztlich bekam ich, beziehungsweise Xarxe, den Stab am kommenden Tag zurück, weil Xarxe Informationen hatte, die für die Lösung des Plots erforderlich waren und er sich im Wald versteckt hatte. Um den Plot noch zu lösen, wurde daher vereinbart, dass er unbehelligt bleibt aber an der Lösung mitwirkt. Dennoch wurde Xarxe gebeten, den Stab nicht mehr mit mir zu führen, um die Gemüter zu beruhigen. Dem kam ich nach.

Ex post habe ich mich über das ganze Erlebnis jedoch wiederholt geärgert. Im Kern geht es hierbei darum, dass ich es übergriffig finde, dass andere Spieler meinen, über die Darstellung meines Charakters entscheiden zu wollen. Dafür fahre ich nämlich nicht drei Stunden zur Con und opfere ein langes Wochenende. Auch habe ich den Stab sicher nicht dafür in unzähligen Nachtschichten erarbeitet.

Mir ist klar, dass diese anderen Spieler sich darauf beziehen, dass sie eben ihre Charaktere konsequent gespielt haben. Ich finde das sogar grundsätzlich gut. Ich möchte ausdrücklich jeden bekräftigen, nicht aus der Rolle zu fallen. Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: Der Gestaltung der Rolle. Dies ist eine reine Outtime-Entscheidung.

Dies wird sonst auch so gesehen: Würde jemand einen Sklavenhändler spielen und daher, konsequenterweise, möglichst viele Spielercharaktere einfangen oder würde ein Nekromant erschlagene Spielercharakter nicht heilen, sondern töten um sie, konsequenterweise, als Untote in seine Dienste zu zwingen, wäre das Verständnis für konsequentes Spiel plötzlich vermutlich überschaubar.

In ähnlicher Weise wird ja auch gerne gefordert, dass Diebe nicht anderer Charaktere Sachen dieben, sondern sich hierfür etwas mitbringen. Und wer einen König spielen will, muss seine Dienerschaft, Gefolge und dergleichen ebenfalls in Form anderer Spieler dabei haben.

Infolgedessen frage ich mich, warum die Paladin-Stasi nicht auch ihre eigenen Opfer mitbringen sollte, die sie dann nach Lust und Laune schickanieren kann.

Der vermeintliche Hinweis, dass Leute wie ich eben keinen Schwarzmagier spielen sollten, verfängt nicht: Mein Charakter hat nämlich mit kein derartiges Outtime-Problem. Die Rolle ist nicht, im Gegensatz zu der Paladin-Stasi, darauf ausgelegt, andere Figuren herabzusetzen. Der Charakter ist vielmehr in einer Weise ausgestaltet, dass er nervt, aber niemandem etwas antut. Schon gar nicht nimmt er anderen Charakteren etwas ab oder erzwingt ein bestimmtes Verhalten. Das ist bei der LARP-Stasi anders: Deren Charaktere sind so ausgestaltet, dass sie auf Kosten Anderer Profilierung suchen. Deren Spieler wären also gut beraten, kompatible Charaktere zu erschaffen.

Für mich wird fortan die Lösung wie folgt aussehen: Da ich ja einen sehr fähigen Großmeister-Magier spiele, werde ich mich in einer künftigen ähnlichen Situation einfach mit Hilfe eines Knickfokus in Nebel auflösen und mich anderswo zurück materialisieren. Mein Kostüm beinhaltet eine Mini-Nebelmaschine, so dass die Darstellung gut gelingen wird. Hierdurch kann die LARP-Stasi so konsequent sein wie sie will – sie wird stets konsequent daran scheitern, mir ihr Spiel aufzuzwingen.

Eine Freundin, die beruflich in der LARP-Szene aktiv ist, sagte mir in diesem Zusammenhang, die Lösung sei „nicht konsequent sondern interessant“ zu spielen. Das klingt gut. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob meine Lösung das abbildet.

Änderung am 28. Januar 2023: Bild eingefügt