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Beowulf

Verhalten im Rollenspiel: Im Charakter bleiben. Sollen, können, wollen…?

Um es gleich vorwegzunehmen: Beim Rollenspiel sollte der Spaß immer im Vordergrund stehen.

Aber da fängt die Schwierigkeit schon an! Für den Einen reicht es, irgendeinen Charakter zu entwickeln und dadurch einfach eine gute Zeit zu haben und vielleicht sogar im Grunde sich selbst zu spielen oder so, wie der Spieler im echten Leben gerne wäre. Andere wieder nutzen den Rollenspielabend eher als spaßige Plauderstunde und Trinkrunde. Der nächste möchte einfach nur den Plot vorantreiben und achtet evtl. gar nicht auf die Welt und die Charaktere um sich herum. Ein wieder anderer würde am liebsten in einer mittelalterlichen Sprache sprechen. Andere wieder bevorzugen das Ausleben des erstellten Charakters in allen Details und der Plot ist eventuel gar nicht so wichtig.

Das „Problem“ ist, dass die meisten Gruppen aus Mitgliedern verschiedener Interessenlagen bestehen. Deshalb werde ich im Folgenden meine Sicht der Dinge wiedergeben.

Ich persönlich habe einen Leitsatz im Leben, dem ich folge und der sich bis jetzt immer bewährt hat: Extrem ist nie gut und die Wahrheit liegt immer in der Mitte. Also sollte es auch möglich sein, mit Toleranz und Rücksicht einen guten Kompromiss für alle Spieler zu finden.

Mir persönlich kann man jeden beliebigen Charakter in die Hand drücken und ich werde den schon einigermaßen gut spielen können. Nach fast 30 Jahren Rollenspiel, erkenne ich Stärken und Schwächen normalerweise schnell und weiß die Fähigkeiten und Eigenschaften auszuspielen. Schwieriger wird es allerdings den jeweiligen Charakter als dessen „wahre“ Persönlichkeit im Kontext der jeweiligen Welt und der kulturellen Interaktion zu spielen. Dies zu schaffen, ist ein wahres Meisterwerk und muss vielleicht auch gar nicht das oberste Ziel sein. Dennoch finde ich es wichtig, eine Annäherung zu schaffen. Dafür sind viele Systeme leider jedoch nicht ausgelegt. Eine sehr ausführliche Weltbeschreibung, Fähigkeiten und Sonderfertigkeiten, hunderte von unterschiedlichen Waffen und Rüstungen, Stammbäume, die weit zurückreichen, komplexe Götter- und Kultbeschreibungen, Historie bis ins Kleinste, kulturelle Abhandlungen und dergleichen – alles kein Problem. Aber etwas konkretere Charakterzüge sind oft Fehlanzeige. Klar, die kann man sich selber ausdenken aber nach meiner Erfahrung machen viele das nicht und die Meisten werfen dieser erdachten Eigenschaften schnell in verschiedenen Situationen über Bord. Aspekte wie Vor- und Nachteile gehen in verregelter Form in diese Richtung, sind dann aber oft auch gleich extrem. Wie z.B. bei DSA der Fall: Goldiger, Jähzorn, Raumangst und so weiter.

Aber warum nicht sowas:

  1. Still, zurückhaltend, vorsichtig aber auch berechnend
  2. Selbstbewusst, mutig, wachsam aber auch streitlustig
  3. Wissbegierig, neugierig, gelehrt aber auch unachtsam

Solche und ähnliche Eigenschaft, bringen doch gleich viel mehr Würze in die Charakterdarstellung ohne gleich extrem penibel zu werden und helfen dem Charakter in verschiedenen Situationen auch den Charakter zu spielen und nicht sich selbst.

Ein weiterer Punkt, den ich auch oft beobachte, ist der Umgang mit Sozialstatus, Wissen und Kulturkreisen. Spieler – besonders solche, die auch Spielleiter sind und/oder die Regeln sehr gut kennen – sind oft viel zu forsch bis hin zu arrogant, übermütig gegenüber Nichtspielercharaktern und agieren im Spiel mit einem Wissen, dass der von Ihnen gespielte Charakter gar nicht haben dürfte. Ein einfacher Soldat weiß eben nicht viel von der Welt. Obrigkeit (Adel, Militär und Geistig) wird geachtet und auf Befehle gehört. Ein Waldläufer kennt vielleicht eher die Welt, kann aber wahrscheinlich mit Etikette und sozialem Gebaren nur wenig anfangen und wird oft ins Fettnäpfchen treten. Gelehrte, wie Magier, sind wahrscheinlich vielwissens aber oft nur in der Theorie. Auch solche Aspekte spiegeln sich in der Darstellung oft nur bedingt wieder.

Barbaren haben nicht den Durchblick im adligen Intrigenspiel, Eine Gruppe von Lowlevel-Charakteren reagiert cool und routiniert bei Ihrem ersten Kampf oder bei Kreaturen die sie nicht kennen. Der erste Untote wird einfach niedergekloppt. Magier benehmen sich oft arrogant und anmaßend. Das Alles hat mit einer Wirklichkeit nichts zu tun (auch wenn sie fiktiv ist). Das finde ich oft schade. Warum dann überhaupt Charaktere mit Klassen und Kulturhintergrund entwickeln? Dann reicht doch ein Einheitscharakter mit wenigen stark ausgeprägtem Schwerpunkten und sehr grober Hintergrundgeschichte.

Zum Thema Wissen hat Shadowrun einen guten Ansatz. Hier gibt es eine Palette von vorgefertigter Wissensfähigkeiten aber der Spieler kann sich auch welche ausdenken. So ergeben sich auch weiter Detaillierungsgrade von Spielern.

Beispiel, welche nicht unbedingt regeltechnisch vorhanden sein müssen

  • Dieb: Gassenwissen, Stadtwissen der Stadt X…; Gildenwissen, Hehler wissen, Wissen über Verstecke/Geheimgänge, Geheimnisse Adlige, Wissen Straßenkinder, Schwarzmärkte usw.
  • Söldner: Waffenkunde, Rüstungskunde, Militärwesen, Kriegskunde, Allgemeinwissen, Belagerungsgeräte, Rassenkunde, Kulturwissen, Wissen Söldnereinheiten usw.
  • Magier: Allgemeinwissen, Magiekunde, Kreaturenkunde, Kulturen, Rasen, Wissen magische Gegenstände, Wissen Mythen und Legenden usw.
  • Waldläufer: Kreaturenkunde, Allgemeinwissen, Wissen Natur und Naturphänomene, Wissen Schusswaffen, Wissen lokale Gerüchte und Geheimnisse in der Region X…, und wo weiter

Das würde wiederum dazu führen, dass ein weiter Detaillierungsgrad entsteht, an dem sich die Spieler orientieren können. Und wenn der Dieb nun mal kein Wissen über Kreaturen hat, erstarrt er halt vor seinem ersten Zombie. Klar kann man sich das Alles ausdenken auch ohne Alles aufzuschreiben aber nach meiner Erfahrung (mich eingeschlossen) verfällt man schnell wieder zu dem „Allwissenden Ich“ zurück. Hier entsteht natürlich auch das ewige Thema zwischen zu detaillierten Charakteren/Systemen und zu simple Charaktere/Systemen.

Mein Fazit:
Tja das ist jetzt gar nicht so leicht. Einfach aber nicht simpel. Detailliert aber nicht streng und dogmatisch. Komplex aber nicht kompliziert. Lustig aber nicht albern. Unterhaltsam aber nicht langatmig
Berechnen wie lange das Feuerholz brennt. Beim Schuss, Sichtverhältnisse, Windgeschwindigkeit, Sonnenstand, Nebel usw. einfließen lassen. Ein Soldat weiß außer dem Kriegshandwerk nichts – definitiv nein.
Ein Barbar der weiß, wo man Einhörner fängt, Schwachstellen von Dämonen kennt, sich bei Hofe richtig verhält und auch in der Stadt eine Idee hat, wo man die Diebgilden findet. Zugleich je nach Situation mal forsch, mal zurückhaltend, mal wissbegierig mal uninteressiert. Mal nach vorne rennt, mal zwei Schritt zurückgeht. Wie es halt situativ am besten für den Charakter ist – definitiv auch nein.
Bleibt mir nur noch zu sagen: Die Wahrheit liegt in der Mitte und Spaß ist, was ihr draus macht.