Das Myranor-Crowdfunding und die Frage: Ist das Pen & Paper-Rollenspiel auf dem Weg in die Regelwerk-Monokultur?

Das Myranor-Crowdfunding

Es wird wieder neue Myranor-Produkte geben: Vor einigen Wochen schon startete der UhrwerkVerlag hierzu ein Crowdfunding-Projekt, dass augenscheinlich gut angenommen wird. Hierbei werden die beiden Regionalbände „Unter dem Sternenpfeiler“ und „Jenseits des Nebelwalds“ in Form von Nachdrucken neu aufgelegt. Zudem wird es insbesondere ein neues Regelwerk geben. Dieses soll auf D&D 5e (auch D20 genannt) basieren.

Da ich seit langem, mehr oder weniger insgeheim, finde, dass Myranor in vielerlei (aber nicht in jedweder) Hinsicht das „bessere DSA“ ist, freue ich mich außerordentlich, dass es bei Myranor weitergeht.

Das geht auch vielen anderen so – der Erfolg des Crowdfundings spricht für sich. Allein – ich habe alles, was bislang von Myranor erschienen ist. Die Nachdrucke sind daher für mich belanglos. Ich hätte mir eher eine neue Regionalspielhilfe oder Abenteuer gewünscht. Da dies für die meisten Alt-Spieler gelten dürfte, hat der Uhrwerk Verlag diese offenbar nicht im Blick. Ich muss sagen: Das kann ich gut nachvollziehen! Denn für „uns“ hätte der Verlag jede Menge Mühe in das Schreiben neuer Quellenbände oder Abenteuer stecken müssen – bei den Neuauflagen ist das naturgemäß nicht so. Da dieses Weniger an Produktionskosten mit Sicherheit nicht zu einem später günstigeren Verkaufspreis führen wird, ist es wahrscheinlich, dass sich die Nachdrucke für den Uhrwerk Verlag mehr lohnen (Grundsätzlich könnte es anders sein, nämlich dann, wenn die Nachfrage für die Neuauflagen viel geringer wäre. Das scheint aber nicht zuzutreffen).

Man richtet sich also offenkundig insbesondere an Spieler, die Myranor noch nicht spielen. Solche Spieler dürften auch die Regelwerke nicht haben. Und damit stellt(e) sich für die Uhrwerk Verlag die Frage, welche Regelwerksbände er für diese Neuspieler veröffentlicht.

D&D 5e als Regelwerk für Myranor

Und es sind Bände nach D&D 5e geworden! Kein DSA 5. Und auch keine Neuauflage der DSA 4.1-Bände. Letztere wären ebenfalls im Wege des Nachdrucks günstig machbar gewesen. Aber: Wir Altspieler haben diese Bücher schon. Und für die paar, welche die noch bei ebay für hohe Beträge kaufen (vermutlich getrieben von geringerem Angebot – aber auch nur geringer Nachfrage), lohnt sich ein Nachdrucken offenbar nicht.

DSA 5 wäre naheliegend gewesen, denke ich. Hierzu sagt der Uhrwerk Verlag, dass dieses System nicht vollständig sei. Zudem müssen die unterschiedlichen Regelwerkpräferenzen der DSA-Szene gesehen werden: Keineswegs alle spielen DSA 5. Jüngste Umfragen im Orkenspalter-Forum und im dsaforum deuten an, dass DSA 4.1 das am meist gespielte Regelwerk ist. Diese Umfragen sind sicherlich nicht repräsentativ – dennoch zeigt sich wieder einmal, dass DSA 5 keinesfalls vorbehaltlos von der Spielerschaft akzeptiert wird.

Was also tun? Ich kann den Schritt zu D&D 5e gut nachvollziehen. Neueinsteiger werden (angeblich, für mich aber naheliegend) über Youtube-Videos an das Hobby herangeführt – und dort spielt man meist D&D. Auch davon abgesehen ist D&D das mit Abstand größte Rollenspiel weltweit – wenn auch mit englischen Produkten. Gedanklich hat der Uhrwerk Verlag mit dieser Wahl des D&D-Regelwerks ein höheres Marktpotential. Zumal nicht übersehen werden darf, dass die Gruppe der DSA-Altspieler auch Individuen aufweist, die Sammler sind und die Myranor-D&D-Regelwerke daher dennoch kaufen dürften.

Insgesamt entsprechen diese Entwicklung etwa meinen Vermutungen von vor einem Jahr, als die Trennung von Regel- und Hintergrundbänden für Ulisses-Produkte angekündigt wurde.

Regelwerk-Monokultur?

Die Entscheidung des Uhrwerk Verlages im Blick, könnten andere Verlage ähnliche Schlüsse ziehen und ebenfalls ihre Produkte für das D&D 5e-Regelwerk anbieten. Vielleicht wäre dies sogar, neben dem grundsätzlich größeren Marktpotential, besonders risikolos, weil der de-facto-Standard D&D 5e vielen bekannt und damit auch als solcher akzeptiert ist. Ergänzend: Je mehr Verlage diesen Weg wählen, desto mehr greifen diese Argumente. Netzwerkeffekte tun ihr Übriges.

Man kann sicherlich einer solchen (ja nur möglichen) Entwicklung mit Schrecken entgegenblicken: Das liebgewonnene Regelwerk möchten nur wenig aufgeben. Zumal das D&D-Regelwerk (nicht nur) meines Erachtens Schwächen im Aufbau hat. Auch sonst wird gerne angeführt, dass das D&D-Regelwerk vor allem für Dungeons und Kämpfe geeignet sei – nicht aber für subjektiv als hochwertig empfundenes Charakterspiel, das seine Stärke aus Interaktion zieht.

Exkurs: Der Versuch eines Gegenbeispiels

Letzterem Vorbringen versucht der
Uhrwerk Verlag ein Stück weit entgegenzutreten. Auf seiner Webseite findet man eine Beschreibung, wie ein Myranor-Charakter mit D&D-Regeln erstellt werden könnte. Hierbei geht es darum zu zeigen, dass nicht nur eindimensionale und flache, sondern komplexe Charaktere erstellt werden können. Dies gelingt einigermaßen. Ich, der kein Experte für das D&D-Regelwerk bin, erkenne aber auch, dass das Beispiel einen Leonir-Kämpfer erstellt – also einen Charakter, dessen Fokus gerade qua Klasse nicht auf sozialer Interaktion liegt – auch wenn der Ersteller ihm einen hohen Charisma-Wert gibt. Dies ändert sich auch nicht durch die weiteren Ausgestaltungen (Schaukämpfer, Kleriker…).

Eine bessere Idee wäre es vielleicht gewesen, einen sozial- oder wissensorientierten Charakter ohne relevante kämpferische Fähigkeiten zu erstellen; vielleicht einen Ravesaran-Scholar. Für mich ist das Beispiel daher zumindest unglücklich: Der Kritik, dass das Regelwerk einen Fokus auf Kämpfen hat, wird meines Erachtens nach nicht begegnet. Es wird (immerhin zielkongruent) nur gezeigt, dass rollenspielerisch auch nicht-flache Charaktere möglich sind. Das geht aber praktisch immer. Fraglich ist für mich, ob das Regelwerk dies fördert.

Mit Blick auf
Planescape: Torment, weiß ich aber auch, dass das D&D-Regelwerk komplexe Interaktionen keineswegs ausschließt (aber auch, dass hierfür in diesem Falle vor allem ein Wert, nämlich Weisheit, relevant ist).

Diesem, weitgehend subjektiven, Nachteil steht aber ein ganz gewichtiger Vorteil entgegen: Würde ein Regelwerk der de facto-Standard werden, würde das gemeinsame Spielen oder das Gründen einer neuen Gruppe viel leichter werden. Diskussionen ob des Systems fielen oftmals weg. Man könnte beispielsweise nach einem Umzug in eine andere Stadt viel leichter mit dem eigenen Charakter einer anderen Gruppe dort beitreten. Das fände ich großartig! Durch den Multiversum-Gedanken der D&D-/ Planescape-Welt wäre dies auch innerweltlich (im Fantasy-Bereich) möglich.

Insofern hat eine mögliche Regelwerk-Monokultur auch ihr Gutes – und könnte langfristig der Rollenspielszene die ein oder andere Systemdiskussion sparen.