„You seem trustworthy“ – so begrüßen die Charaktere im Film „The Gamers“ ihren neuen Magier nach sehr kurzer Vorstellung, der damit Teil der Heldengruppe wird. In der Film-Parodie wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Charakter, weil er ein Spielercharakter und kein Nichtspielercharakter ist, sofort Teil der Gruppe wird.
Logisch ist dies freilich nicht. In der Spielwelt können die Charaktere realistischerweise nicht erkennen, ob eine Figur von einem Spieler oder von dem Spielleiter geführt wird. Dennoch ist eine solche Unterscheidung immer wieder zu beobachten: Eine Spielerfigur liegt in ihrem Blut? – Kein Problem, der Spielermagier hilft aus, auch wenn dies so anstrengend ist, dass es seine Zauberkraft dauerhaft schwächt. Eine Nichtspielerfigur in der sonst identischen Szene (mit vergleichbarer Vorgeschichte) – muss sterben. C’est la vie. Oder eben: C’est la mort.
Ich finde das zumindest unglücklich. Ich kann in Einzelfällen verstehen, dass auf einer sehr abstrakten Metaebene Unterscheidungen getroffen werden (dazu später mehr) – aber die plumpe Art der vorstehenden Beispiele ist für mich nicht wünschenswert. Wie ist das innerweltlich zu erklären? Ich kenne kein Rollenspielsystem, wo innerweltlich zwischen Figuren erster Klasse (Spielercharakteren) und Figuren zweiter Klasse (Nichtspielercharakteren) unterschieden wird.
Leider pflegen, der fehlenden Entsprechung in der Spielwelt ungeachtet, auch viele Rollenspielregelwerke einer solche Unterscheidung:
- Bei DSA stand zumindest in alten Versionen bei bestimmten Zaubern, dass diese nur mächtigen Nichtspielercharakteren vorbehalten seien. Man fragt sich, was wohl geschähe, wenn die Spielercharaktere einen solchen Nichtspielercharakter träfen und überzeugen (oder zwingen) sein Wissen zu teilen – was geschieht dann?
- In Hexxen erfüllt es mich immer wieder aufs Neue mit Verwunderung, dass Spielercharaktere nicht sterben können, wenn nicht die ganze Gruppe im Sterben liegt. Nichtspielercharaktere aber schon! Ich habe deshalb schon angeregt, dass ein Spielercharakter Kämpfen doch fernbleiben sollte, um die anderen unbesiegbar werden zu lassen. Die Resonanz auf diesen Vorschlag war nur bedingt positiv.
Im Internet stieß ich kürzlich auf eine Diskussion, in der erörtert wurde, ob die Eltern eines Spielercharakters sterben dürften, wenn dies der Handlung dienlich wäre. Mir ist in weiten Teilen völlig unklar, was dagegen sprechen könnte. Sollte es der Lebenserfahrung der in der Spielwelt Lebenden entsprechen, dass bestimmte Familien geschützt werden, weil eines der Kinder auf Abenteuer auszieht. Falls dies bejaht wird: Warum senden die anderen Familien dann nicht auch jemanden aus…?
Zum Glück bin ich häufig Spielleiter und kann Auswüchse wie die Vorstehenden recht gut beschneiden. Natürlich kann bei DSA jeder Spielercharakter theoretisch jeden Zauber beimir erlernen. Es kann allerdings sehr schwer sein – nicht aber schwerer, als es für Nichtspielercharaktere ist.
Als besonders gelungen fand ich, dass ich mal einen Gastspieler in eine Spielgruppe einschleuste, der sich später als Verräter herausstellte. Da sich alle Spieler im Realleben kannten und der Gastspieler einen den Spielern (nicht aber den Charakteren) bekannten Charakter spielte, wurde dieser nach dem oben stehenden Motto „You seem trustworthy“ unmittelbar in die Gruppe aufgenommen. Er konnte von dort wunderbar alle möglichen Geheimnisse erfahren und an die Antagonisten der Spielercharakter spiegeln. Im Endkampf, der kritisch verlief, stellte sich der eingeschleuste Spielercharakter plötzlich gegen die Gruppe. Das Entsetzen war natürlich groß. Aber gelobt wurde die Sache im Nachgang auch. Zudem ist dies nun eine der meist erinnerten Rollenspielszenen überhaupt.
In einer Dark Heresy-Runde, in der ich war, gab es etwas Ähnliches – allerdings war der entsprechende Verräter-Charakter bereits von Anfang an bei den anderen Charakteren und die Überraschung vielleicht noch etwas größer.
Eine andere Idee, die ich dem (überaus gelungenen) DSA-Abenteuer „Die Unsichtbaren Herrscher“ entnahm, ist die Spielercharaktere ob ihrer Taten zu Rede zu stellen: Eine weitere Imparität besteht nämlich darin, dass diese auf ihren Abenteuern regelmäßig jede Menge Nichtspielercharaktere erschlagen, dies jedoch folgenlos bleibt. Realiter sollten dies aber alles Personen mit einer Familie und Freunden sein. Je nach Handlung sind die Antagonisten der Spielercharaktere auch nicht klar böse. Dies im Blick war das Geschehen nur naheliegend: Die Spielercharaktere wurden von einem Familienangehörigen gejagt – schließlich von einer anderen Heldengruppe, welche die „Mörder“ der Gerichtsbarkeit überstellen wollte. Das Spieler- und Charakterverhalten war überaus interessant.
Es zeigt sich also: Ich bin der Meinung, dass innerhalb der Spielwelt keine Unterscheidung zwischen Spieler- und Nichtspielercharakteren gemacht werden sollte.
Der entscheidende Punkt, und damit kommen wir zur Ausnahme, ist der Einschub „innerhalb der Spielwelt“. Wie auch schon beim meinem Plädoyer für Simulationismus in der Spielwelt bzw. dem -system, kann außerhalb der Spielwelt, eine Unterscheidung erfolgen – und sogar hilfreich sein.
So erwarte ich von Spielleiter und Spielerschaft auf einer dem Spiel vorgelagerten Ebene beispielsweise, dass eine Kompatibilität zwischen Charakteren zu der Geschichte bestehen muss. Wenn nämlich klar ist, dass, um das oben stehende Beispiel aufzugreifen, das Überleben der Familie eines Spielercharakters für dessen Konzept wichtig ist, sollte diese natürlich nicht dahingerafft werden. Allein – in diesem Falle sollte dies auch nicht hilfreich für die Handlung sein, sondern es sollte sinnvoll sein, dass die Familie am Leben bleibt!
In ähnlicher Weise erwarte ich auch, dass die Charaktere untereinander so zusammengestellt sind, dass es zwar gerne Konflikte geben darf – aber bitte keine, die gar nicht oder nur mit der de facto Verunmöglichung der Darstellung eines Charakters lösbar sind.
Bei einer Gestaltung auf einer der Spielwert übergeordnete Ebene, wird die gekünstelte Unterscheidung zwischen den Spieler- und Nichtspielercharakteren aus „Metagründen“ in der Regel gar nicht benötigt. Darüber hinaus ist sie meines Erachtens ohnehin verfehlt.