In meinem ersten Beitrag beschwerte ich mich ausführlich über die „Plage“ neuer Editionen. Ich schilderte dort auch, dass diese für Verlage wichtig sein können, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Das aus meiner Sicht (der Sicht des Marktgläubigen) frappierende ist, dass bei Rollenspiel- und Tabletop-Systemen nach einiger Zeit die Präferenzen von Kunden und Produzenten diametral auseinander liegen. Während die Kunden mit einem System möglicherweise noch glücklich sind, „braucht“ der Produzent eine neue Edition, um Umsatz zu erzielen.
Als Ökonom fragte ich mich daher lange, wie dieses Dilemma gelöst werden kann. Einen ersten Ansatz zeigte ich im ursprünglichen Artikel auch auf: Der Wechsel auf eine Abonnement-Modell. In den letzten Monaten habe ich diesen Gedanken weiter verfolgt. Viel Dank geht an das Team vom eskapodcast, die bereits vor einiger Zeit eine Folge veröffentlicht hatten, die ich nun hörte und viele ähnliche Gedanken aufnehmen konnte.
In dieser Folge wurden zunächst Parallelen zu anderen Medieninhalten gezogen, die mittlerweile im in der Regel im Abonnement konsumiert werden. Genannt wurden Musik, Filme und auch Videospiele. Warum sollte nicht also auch Rollenspiele diesen Weg gehen?
Meines Erachtens ist das eine solche Entwicklung in der Tat wahrscheinlich und unter einem bestimmten Blickwinkel auch wünschenswert. Wenden wir uns zunächst dem Editionsproblem zu. Gelänge es über eine Abonnement-Modell für die Verlage einen dauerhaften Zahlungsstrom zu generieren, wäre das Editionsproblem lösbar. Inhalte könnten sein:
- Zugriff auf alle Regelwerke. Diese könnten so miteinander verknüpft sein, dass verwandte Regeln nur einen Klick entfernt sind.
- Zugriff auf weitere Inhalte, wie Karten, Abenteuer, Regionalbeschreibungen – ebenfalls mit dem vorstehenden Vorteil. Vor allem bei Stadtplänen könnte bei einem Klick auf ein Haus dessen Beschreibung folgen.
- Sofort einsetzbare Inhalte für Programme wie VTT oder roll20.
- Passende Hintergrundmusik.
- Ein Verwaltungsprogramm für den Spielleiter, dass nicht nur die vorstehenden Funktionen umfasst, sondern auch eine Datenbank mit Nichtspielercharakteren.
All dies freilich regelmäßig aktualisiert.
Des Weiteren könnte man anbieten:
- „Miete“ von kleineren Gebieten durch Spieler mit entsprecherr Möglichkeit, auf die Welt Einfluss zu nehmen.
- Einfügen von Spielercharakteren (gegen eine monatliche Gebühr) in die Welt, die damit offiziell werden.
Ich könnte mir vorstellen, dass Angebote wie die beiden Letzten nicht nur Freude hervorrufen. Gleichwohl glaube ich, dass gerade diese Angebote für viele andere reizvoll sind.
Bei einer geschickten Preisgestaltung bestünde somit die Möglichkeit, das Editionsproblem zu lösen. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahlungsbereitschaft der Spielerschaft sehr uneinheitlich ist. Daher wären unterschiedliche Pakete hilfreich.
Als Nebeneffekt würden weitere Probleme gelöst werden:
- Digitale Inhalte sind nie „vergriffen“. Wer einfach nur alte Abenteuer spielen möchte, braucht hierzu nicht mühevoll auf eBay zu suchen, sondern kann zum Beispiel das „Retro-Paket“ dazubuchen – und schon stehen alle Abenteuer zur Verfügung.
- Rollenspielwerke sind selten arm an Fehlern. Redaktionelle Fehler können in digitalen Produkten sehr einfach korrigiert werden.
- Notorisch schlecht strukturierte Werke werden durch Hyperlinks deutlich zugänglicher.
- Denkbar wäre es auch, unterschiedliche Versionen von Werken anzubieten. Ein Freund von mir, der sich wirklich sehr an sog. Gender-Sprache stört, forderte jüngst, alle DSA-Werke (auch) orthographisch korrekt und nicht „gegendert“ anzubieten, damit er Letzterem entkommen kann. Eine solche Idee lässt sich bei digitalen Produkten viel einfacher und damit kostengünstiger umsetzen. In ähnlicher Weise könnten fallweise auch Jugendschutzüberlegungen berücksichtigt werden.
Gleichwohl stehen diese Idee Nachteile gegenüber:
- Gerade Fantasy-Rollenspiel ist mit der digitalen Welt meines Erachtens nur bedingt vereinbar. Realiter wird versucht, am Spieltisch eine bestimmte Atmosphäre aufzubauen; z.B. durch Kerzen, alte Möbel etc. Moderne, elektronische Komponenten könnten demgegenüber als störend empfunden werden.
- Viele Spieler dürften, schon aus Sammelleidenschaft, gedruckte Bücher bevorzugen. Ich gehe aber davon aus, dass diese ergänzend angeboten werden können.
- Wie auch in der Folge des eskapodcast geschildert, besteht bei derartigen digitalen Inhalten, die in der Regel auch ein digitales Spiel begünstigen, die zumindest latente Gefahr, dass sich das Spiel immer mehr zu einem Online-Rollenspiel hinentwickeln und hierdurch ihre Spieltiefe verlieren.
- Beide Aspekte bedeuten im Grunde, dass aus „Pen & Paper“ „Processor & Phablet“ werden könnte.
- Die Verlage werden du diskretionärem Verhalten ermuntert. So könnte einfach der Preis für die Nutzung des Dienstes erhöht werden oder sogar doch eine neue Edition eingeführt werden. Dieses Problem ist sehr relevant, da, im Gegenzug zu anderen Medien, die Verlage das Monopol über ihre Spielsysteme besitzen.
- Im Falle einer Verlagsinsolvenz oder der Einstellung des Spielsystems ist dieses nicht mehr zugänglich.
Einige dieser Nachteile dürften relativierbar sein. So ist es im Grunde jeder Runde selbst überlassen, ob sie sich in Richtung eines Online-Rollenspiels entwickelt oder nicht. In gleicher Weise genügt es, wenn nur der Spielleiter einen Rechner am Spieltisch hat. Bei uns ist das auch heute schon (nur) so. Auf dem Spielleiter-Rechner wird Musik abgespielt oder digitale Inhalte zur Unterstützung des Spielleiters angezeigt. In diesen Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass ich es sehr bevorzugen würde, wenn über VTT oder Roll20 nur eine (freilich bunte) Karte angezeigt werden kann, die in Form eines LCD-Monitors quasi die Tischplatte bildet. Hierauf könnten dann Zinnfiguren oder auch Gebäude gestellt werden, um zum Beispiel eine Kampfsituation darzustellen Dies wäre für mich die ideale Kombination aus digitaler und analoger Welt – und würde viel klassischen Rollenspielcharakter erhalten.
In gleicher Weise gibt es keine Erfordernis, Würfelwürfe über Software abzubilden. Selbst bei meinen Runden über Videokonferenz würfeln die Meisten ganz normal „für sich“ am Schreibtisch.
Lediglich die beiden letzten Punkte, das diskretionären Verlagsverhalten oder die Insolvenz bzw. Einstellung des Spielsystems, bleiben erhalten. Gleichwohl bestehen diese Probleme, in abgewandelter Form, auch im aktuellen Markt. Und zumindest die Plage der neuen Editionen wäre weit weniger virulent.